Welch üppige Blüten die derzeitige Diskussion um die Therapie mit humanen adulten Stammzellen treibt, zeigt eine Publikation aus der kardiologischen Universitätsklinik in Düsseldorf (Strauer, B.E., et al.: Dtsch. med. Wschr. 2001, 126, 932). Dort wurden einem 46-jährigem Mann fünf Tage nach Vorderwand-Herzinfarkt (CK maximal 1172 U/L) mononukleäre Zellen aus dem eigenen Knochenmark (enthalten u.a. kleine Mengen von Knochenmark-Stammzellen) in die interventionell wiedereröffnete Koronararterie injiziert. Zum Nachweis des Therapieerfolgs wurde nach 5 Tagen und nach 10 Wochen eine umfangreiche kardiologische Diagnostik durchgeführt, bestehend aus Myokardszintigraphie und Radionuklid-Ventrikulographie, Ruhe- und Dobutamin-Streßechokardiographie sowie eine Rechtsherz-Katheteruntersuchung in Ruhe und unter Belastung.
Es zeigte sich, daß die szintigraphisch gemessene Infarktzone in diesen 10 Wochen um ca. ein Drittel kleiner geworden war. Auch die echokardiographischen Parameter, wie Ejektionsfraktion und Wandbewegungs-Analyse, sowie der Herzindex und der pulmonale Kapillardruck zeigten Verbesserungen.
Die Autoren führen diese Verbesserungen auf die intrakoronare Injektion der Stammzellen zurück. Sie postulieren, daß die Stammzellen durch die Gefäßwand in das abgestorbene Myokard migriert sind und über einen myokardialen Restfluß die Nekrosezone besiedelt haben. Experimentelle Beweise für die Transdifferenzierung der injizierten Knochenmark-Stammzellen (d.h. Entwicklung in Zellen anderer Gewebe), wie sie von kritischen, seriösen Wissenschaftlern gefordert werden (Anderson, D.J., et al.: Nat. Med. 2001, 7, 393), bleiben die Autoren jedoch schuldig. Die beobachtete Verbesserung der Ventrikelfunktion läßt sich auch ganz anders und viel einfacher erklären, nämlich durch das myokardiale „Stunning“, d.h. eine verzögerte spontane funktionelle Erholung von infarzierten, aber noch vitalen Myokardzellen.
Die Kasuistik wurde im Übrigen am 27. Juli 2001 eingereicht und schon 28 Tage später publiziert. Zugleich wurde eine ausführliche Berichterstattung in den Medien bis hin zur Tagesschau organisiert. Das Editorial des Chefredakteurs der DMW beginnt mit dem Ausruf: „Es geht doch auch ohne embryonale Stammzellen!“ Die hier publizierte Kasuistik wird als sehr großer Fortschritt in der kardiologischen Forschung gefeiert („klinisch äußerst relevant“, „hochinnovativ“), aus dem sich phantastische Möglichkeiten für die Zukunft eröffnen (Middeke, M.: Dtsch. med. Wschr. 2001, 126, 931).
Bei kritischem Nachdenken kann man die euphorische Einschätzung, daß hier „klinische Forschung auf höchstem Niveau“ betrieben wird, nicht teilen, denn die Autoren schulden uns bisher den wissenschaftlichen Beweis dafür, daß die injizierten Knochenmark-Stammzellen zur Neogenese von Koronarstrombahn und Herzmuskulatur im Infarktgebiet geführt haben und dadurch das Infarktareal verkleinert, die Durchblutung verbessert und die myokardiale Kontraktionskraft gestärkt wurde. Bevor dieser Nachweis nicht nachgereicht wird, hat diese schnell publizierte Kasuistik mehr den Charakter eines Spektakels, das an die ersten voreiligen und letztlich erfolglosen Einsätze der Gentherapie bei Tumorerkrankungen Mitte der 90er Jahre erinnert, und weniger den eines spektakulären Fortschritts in der Stammzell-Forschung. Werden nicht sauber isolierte organspezifische Stammzellen in dieser Weise verwendet und werden ihre eventuellen Wirkungen so wenig differenziert analysiert, haben wir uns von der ominösen Frischzellen-Therapie noch nicht weit entfernt.