Infolge der für die chronische myeloische Leukämie (CML) charakteristischen Translokation t(9;22) (Philadelphia, Ph-Chromosom) entsteht ein Fusionsprotein (BCR-ABL) mit konstitutiver Tyrosinkinaseaktivität. In-vitro-Untersuchungen und tierexperimentelle Studien haben gezeigt, daß die Tyrosinkinase-Aktivität für das onkogene Potential von BCR-ABL entscheidend ist. Diese Erkenntnis hat zur Entwicklung eines spezifischen Inhibitors (Selective tyrosine kinase inhibitor = STI) dieser Tyrosinkinase geführt (STI571, Glivec; in Deutschland noch nicht zugelassen). Mit STI571 wurden in kurzer Zeit verschiedene Phase-I/II-Studien bei Patienten mit CML in chronischer bzw. akzelerierter Phase oder Blastenkrise durchgeführt; Zwischenergebnisse der Phase-I-Studien bzw. Pilotstudien wurden kürzlich publiziert (1, 2). Insbesondere die Ergebnisse bei Patienten mit CML in chronischer Phase sind sehr vielversprechend (1).
Insgesamt wurde über 83 Patienten mit CML in chronischer Phase berichtet, die auf eine Standardtherapie mit Interferon alfa (IFN-a; vgl. AMB 1994, 28, 9 bzw. 38 und 1997, 31, 69) nicht ansprachen, unter dieser Therapie rezidivierten oder IFN-á nicht vertrugen. Prim?re Endpunkte dieser Phase-I-Studie waren Sicherheit und Verträglichkeit von STI571, sekundärer Endpunkt die antileukämische Wirksamkeit. STI571 wurde oral in Dosen von 25-1000 mg/d verabreicht. Ein hämatologisches Ansprechen zeigten alle Patienten, die mit Dosen = 140 mg/d behandelt wurden. Ein komplettes hämatologisches Ansprechen (Leukozyten < 10/nl und Thrombozyten < 450/nl mindestens 4 Wochen lang) konnte bei 53 von 54 Patienten, die täglich = 300 mg erhielten, erreicht werden. Auch hinsichtlich des zytogenetischen Ansprechens fand sich eine Dosisabhängigkeit, wobei 17 der 54 Patienten mit täglicher Gabe von = 300 mg STI571 ein komplettes (zytogenetisch kein Nachweis Ph-positiver Zellen) oder partielles Ansprechen (1-35% Ph-positive Zellen) zeigten. Die Verträglichkeit von STI571 war insgesamt gut; eine maximal tolerierte Dosis (MTD) wurde nicht ermittelt. Häufigste unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) waren Übelkeit, Ödeme, Hautveränderungen, Myalgien und Diarrhö. Bei 7 Patienten kam es zu einer Erhöhung der Leberenzyme (= Grad 2 nach den Kriterien des National Cancer Institute), und bei etwa einem Viertel der Patienten trat eine Myelosuppression auf. Da die Beobachtungszeit noch kurz ist und STI571 auch andere Tyrosinkinasen (c-kit, Platelet-derived growth factor receptor = PDGFR) hemmt, muß jedoch mit weiteren UAW gerechnet werden und eine sorgfältige Analyse der UAW in den laufenden Phase-II/III-Studien erfolgen. Anhand begleitender pharmakokinetischer Untersuchungen und der in vitro analysierten antileukämischen Wirksamkeit wurde von den Autoren eine Dosis von 400 mg/d für zukünftige Studien empfohlen. Da STI571 in erster Linie über Zytochrom-P450-Enzyme (CYP3A4) metabolisiert wird, sollte unbedingt auf Interaktionen mit Substanzen geachtet werden, die CYP3A4 induzieren (z.B. Rifampicin, Phenytoin, Carbamazepin, Omeprazol) bzw. dessen Aktivität beeinflussen. Randomisierte Studien bei nicht vorbehandelten Patienten mit CML in chronischer Phase, in denen die Wirksamkeit von STI571 mit IFN-á plus niedrig dosiertem Cytarabin verglichen wird, haben inzwischen begonnen (3). Wichtige Fragen (z.B. hinsichtlich einer Verlängerung des Überlebens durch STI571, Resistenzmechanismen und langfristiger Verträglichkeit) werden durch diese Studien hoffentlich beantwortet werden. Auch bei soliden Tumoren (z.B. gastrointestinale Stromazell-Tumore) ist STI571 wirksam (4). Fazit: STI571 ist die erste Substanz, die gezielt zur Beeinflussung einer spezifischen molekularen Veränderung bei Leukämien entwickelt wurde und die in ersten klinischen Studien bei Patienten mit CML vielversprechende Wirksamkeit gezeigt hat.
Literatur
1. Druker, B.J., et al.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 1031.
2. Druker, B.J., et. al.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 1038.
3. Goldman, J.M. und Melo, J.V.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 1084.
4. Joensuu, H., et al.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 1052.