Zusammenfassung: Insulinanaloga wurden entwickelt, um die physiologische Insulininkretion therapeutisch besser nachzuahmen. Dadurch soll eine bessere Einstellung der Glukose im Blut erreicht werden. Derzeit befinden sich zwei kurzwirksame Insulinanaloga, Insulin aspart (NovoRapid) und Insulin lispro (Humalog), und ein langwirksames Insulinanalogon, Insulin glargin (Lantus), auf dem Markt. Die beiden kurzwirksamen Insulinanaloga sind gleichwertig. Der einfache Austausch von Normalinsulin durch kurzwirksame Insulinanaloga ergibt keine bessere Einstellung der Blutglukose. Um dies zu erreichen, müssen auch die NPH-Insuline zu den Hauptmahlzeiten gegeben werden, was zu einer komplizierten Therapie mit 7-8 Injektionen/d führt und diabetologisches Fachwissen voraussetzt. Hinweise auf ein zunächst vermutetes erhöhtes Tumorrisiko haben sich nach über 5 Jahren Therapie mit Insulin lispro nicht ergeben. Das langwirksame Insulin glargin wird nur einmal am Tag injiziert, während NPH-Insuline meist zweimal am Tag gegeben werden. Es führt zu keiner besseren Einstellung der Blutglukose im Vergleich mit NPH-Insulinen. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und rezidivierenden Hypoglykämien ist Insulin glargin jedoch eine sinnvolle Alternative. Die Frage nach einem erhöhten Tumorrisiko unter Insulin glargin ist noch nicht geklärt. Die höhere Flexibilität in der Therapie und die etwas selteneren Hypoglykämien unter Insulinanaloga müssen gegen die 30% höheren Therapiekosten abgewogen werden. Fast alle bisher publizierten klinischen Studien über Insulinanaloga wurden durch die Hersteller mitfinanziert, wodurch das Abschätzen praktischer therapeutischer Vorteile erschwert wird.
Die Grundkomponenten der Insulintherapie, sowohl der intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT = intensivierte konventionelle Insulintherapie, Basis-Bolus-Therapie) als auch der konventionellen Insulintherapie mit Mischinsulin (CT) sind die kurzwirksamen (Wirkdauer 3-6 h) und die langwirksamen Insuline (Wirkdauer 10-24 h).
Die konventionellen kurzwirksamen Insuline haben jedoch die Eigenschaft, daß ihre Wirkung verzögert eintritt und daß sie länger wirken, als dies zum Abdecken einer Mahlzeit nötig ist. Deshalb wird ein Spritz-Eß-Abstand und eine Zwischenmahlzeit empfohlen. Die konventionellen langwirksamen NPH- (neutrales Protamin Hagedorn) oder zinkverzögerten Insuline haben das Problem, daß sie einen deutlichen Wirkungsgipfel haben und ihre Wirkung in der späten Phase abfällt. Die Folge können nächtliche Hypo- und morgendliche Hyperglykämien sein. Somit ist die Wirkungskinetik der herkömmlichen tierischen oder humanen Insuline weit von der physiologischen Insulinkinetik beim Gesunden entfernt.
Das Ziel der Entwicklung von Analoga der Insuline ist es, der physiologischen Kinetik der Insulininkretion näher zu kommen. Dadurch sollen der Stoffwechsel besser eingestellt und Folgeschäden verringert werden. Mit der Umstellung auf die gentechnologische Produktion von Insulin, die mittlerweile von fast allen Insulinherstellern genutzt wird, ist es einfach geworden, Aminosäuren des Insulinmoleküls zu modifizieren und sogenannte Insulinanaloga herzustellen.
In Deutschland gibt es mindestens 4 Millionen Diabetiker, was einer Prävalenz von 5% entspricht. Davon werden über 800000 Patienten mit Insulin behandelt. Der Anteil aller Insulinanaloga am gesamten Insulinmarkt (nach verkauften Einheiten) beträgt in Deutschland derzeit rund 19%. Bei den kurzwirksamen Insulinen liegt der Anteil der Insulinanaloga (nach Einheiten) bei 36%, bei den langwirksamen Insulinen bei 22% und bei den Mischinsulinen bei 5%.
In Deutschland sind derzeit drei Insulinanaloga erhältlich. An kurzwirksamen Insulinanaloga sind Insulin lispro (s.a. AMB 1997, 31, 9) seit 1996 und Insulin aspart seit 1999 auf dem Markt. Insulin lispro ist zur Diabetes-mellitus-Therapie für alle Altersgruppen und für die Pumpentherapie (CSII = kontinuierliche subkutane Insulininfusion) zugelassen. Für die Therapie während der Schwangerschaft besteht keine Zulassung. Insulin lispro wird auch als Mischinsulin Mix 25 oder Mix 50 angeboten, wobei es sich beim langwirksamen Anteil ebenfalls um Insulin lispro handelt, das an Protamin gebunden ist. Eine Mischung von Insulinanaloga und normalem NPH-Insulin ist nicht sinnvoll. Insulin aspart ist für die Diabetes-mellitus-Therapie ab dem 6. Lebensjahr und für die Pumpentherapie zugelassen. Eine Zulassung für eine Therapie während der Schwangerschaft besteht derzeit noch nicht. Das langwirksame Insulin glargin ist seit Juni 2000 auf dem Markt und zur Therapie des Diabetes mellitus bei Erwachsenen zugelassen. Eine Zulassung zur Therapie während der Schwangerschaft besteht nicht.
Studien, die den Einfluß einer Therapie mit Insulinanaloga auf die klinisch relevanten Endpunkte, nämlich die diabetischen Folgeschäden, zeigt, liegen nicht vor. Jedoch gibt es zahlreiche Arbeiten, die die Wirkung der Insulinanaloga auf postprandiale Glukosewerte, HbA1C, Hypoglykämien, Lipidwerte, ”Lebensqualität” und in der Pumpentherapie untersucht haben.
Kurzwirksame Insulinanaloga: Die Moleküle der beiden kurzwirksamen Insulinanaloga haben eine verminderte Eigenbindung im Vergleich zum Normalinsulin. Beim Insulin lispro sind in der B-Kette an den Positionen 28 und 29 Lysin und Prolin vertauscht. Beim Insulin aspart ist in der B-Kette an Position 28 Prolin durch Asparaginsäure ersetzt. Durch diese Modifikationen zerfallen die Insulinhexamere sofort nach s.c. Injektion in Di- bzw. Monomere, die schnell resorbiert werden. Die Folge ist ein rascher Wirkungsbeginn (nach 10-15 Minuten), ein schnelles Erreichen des Wirkungsmaximums (nach einer Stunde) und eine Gesamtwirkungsdauer von ca. 3 Stunden. Das Wirkungsprofil läßt eine genauere Einstellung der Blutglukose, insbesondere niedrigere postprandiale Werte, erwarten. Aufgrund dieser Kinetik ist kein Spritz-Eß-Abstand notwendig, und bei unvorhersehbarer Eßmenge eine postprandiale Gabe genauso effektiv wie eine präprandiale Injektion von Normalinsulin (1). Dadurch scheint eine flexiblere Lebensführung möglich. Ebenso sind keine Zwischenmahlzeiten notwendig, auf die gerne bei übergewichtigen Patienten verzichtet wird.
Insulin lispro: Insulin lispro ist am längsten in der praktischen Anwendung. Mittlerweile liegen auch zahlreiche klinische Studien vor. Eine davon war sogar verblindet, was die Aussagekraft erhöht (2).
Wirkung auf die postprandiale Blutglukose: In zahlreichen Studien mit Typ-1- und Typ-2-Diabetikern waren die Blutglukosewerte 2 Stunden postprandial zwischen 15 und 40 mg/dl niedriger als in der Normalinsulin-Gruppe. Die Blutglukosewerte lagen zwischen 150 und 250 mg/dl (2, 3).
Chronisch hohe postprandiale Blutglukosewerte sollen das Risiko für Todesfälle durch kardiovaskuläre Ereignisse erhöhen (7, 8, 33). Die These, daß tödliche Myokardinfarkte bei Diabetikern durch kurzwirksame Insulinanaloga verhindert werden könnten, ist bisher nicht bewiesen.
Wurde die Injektion von Basalinsulin in der Insulin-lispro-Gruppe nicht verändert, waren die spät-postprandialen (5-7 Stunden) Blutglukosewerte aber gegenüber der Normalinsulin-Gruppe um 5-30 mg/dl höher (2, 4, 5). Die höheren spät-postprandialen Blutglukosewerte konnten durch häufigere Gaben von NPH-Insulin (zu jeder Hauptmahlzeit) vermieden werden (4, 6). Eine über den ganzen Tag währende bessere Einstellung der Blutglukose mit Insulin lispro erfordert 3-4 mal tägliche Gaben von NPH-Insulin, so daß insgesamt 7-8 Insulininjektionen/d notwendig sind. Ergebnisse über die Kombination des 24 Stunden lang wirkenden Insulin glargin mit Insulin lispro liegen noch nicht vor.
Wirkung auf HbA1C-Wert, Hypoglykämien und Lipidwerte: In allen Arbeiten, in denen nur die kurzwirsamen Insuline ausgetauscht wurden und die NPH-Insulin-Dosis nicht verändert wurde, ist die Senkung des HbA1C unter Insulin lispro und Normalinsulin gleich (2, 3, 9). Dies ist durch die höheren spät-postprandialen Blutglukosewerte und die selteneren Hypoglykämien (s.u.) unter Insulin lispro zu erklären. Wurde die Dosis von NPH-Insulin angepaßt, dann zeigte sich eine stärkere Senkung des HbA1C mit Insulin lispro (um 0,4%-Punkte über 1 Jahr; 6).
Hypoglykämien, die die „Lebensqualität“ stark beeinträchtigen können, traten unter Insulin lispro um 10-30% seltener auf, vor allem nachts (2, 9, 10). Auch wenn die Therapie mit NPH-Insulin angepaßt wird und der HbA1C-Wert stärker sinkt, ist die Hypoglykämierate unter Insulin lispro um 25% geringer (6). Eine Verbesserung der postprandialen Blutglukosewerte unter Insulin lispro besert nicht die Lipidwerte (3, 11).
”Lebensqualität”: Da die Stoffwechseleinstellung unter Insulin lispro nicht grundlegend besser ist als unter Normalinsulin, stellt sich die Frage, ob mit dem nicht erforderlichen Spritz-Eß-Abstand und den selteneren Hypoglykämien die Lebensqualität steigt. Die Flexibilität der Therapie und die Zufriedenheit mit der Behandlung wird unter Insulin lispro höher bewertet (12, 13). Die allgemeine „Lebensqualität“ wurde unter Insulin lispro und Normalinsulin gleich bewertet.
Postprandiale Injektion von Insulin lispro: Wegen der rasch einsetzenden Wirkung von Insulin lispro ist auch eine postprandiale Injektion noch sinnvoll. Die postprandialen Blutglukosewerte sind bei postprandialer Gabe von Insulin lispro genauso hoch wie bei präprandialer Gabe von Normalinsulin (1, 14). Eine postprandiale Insulingabe ist dann sinnvoll, wenn die Eßmenge vorab nicht eingeschätzt werden kann. Bei Kindern zeigte sich kein Nachteil, aber auch kein Vorteil bei postprandialer Gabe von Insulin lispro gegenüber der präprandialen Gabe von Normalinsulin (14).
Insulinpumpen-Therapie (CSII) mit Insulin lispro: Die Pumpentherapie Insulin lispro ergab eine etwas verbesserte Diabeteseinstellung. Der HbA1C-Wert war um 0,1%-0,5%-Punkte niedriger als bei Therapie mit Normalinsulin (15, 16). Hypoglykämien waren nicht häufiger. Bei der kürzeren Wirkungsdauer von Insulin lispro wäre bei einem Defekt des Katheters eine schnellere Stoffwechselentgleisung zu erwarten. Dies hat sich in einer Untersuchung, bei der die Insulinpumpen um 3 Uhr nachts abgestellt wurden, jedoch nicht bestätigt (17).
Mischinsulin-Therapie mit Insulin lispro: Viele Typ-2-Diabetiker werden mit Mischinsulinen therapiert. Insulin lispro ist auch als Humalog Mix25 und Mix50 erhältlich. Im Vergleich mit normalem Mischinsulin sind die postprandialen Blutglukosewerte niedriger. Der HbA1C-Wert war nach 6 Monaten jedoch nicht verschieden (18). Es stellt sich daher die Frage, ob bei konventioneller Insulintherapie der Einsatz von Insulinanaloga überhaupt sinnvoll ist, denn es handelt sich hierbei um eine Therapie ohne Anspruch auf eine genaue Einstellung der Blutglukose.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW): Die früher geäußerten Befürchtungen, daß unter Insulin lispro Tumore induziert werden könnten, haben sich bislang nicht bestätigt.
Insulin aspart: Insulin aspart ist ebenfalls ein kurzwirksames Insulin-Analogon. Im Vergleich zu Normalinsulin wirkt Insulin aspart wie Insulin lispro. Bei genauer Betrachtung ist die Wirkungskinetik im Vergleich zu Insulin lispro etwas verzögert (19).
Es gibt zwei große Studien, die Insulin aspart bei Typ-1-Diabetikern mit Normalinsulin verglichen haben. Beide Studien sind zwar nicht verblindet, aber durch ihre große Patientenzahl (714 bzw. 1070) aussagekräftig (20, 21). Die postprandialen Blutglukosewerte waren um 10-20 mg/dl niedriger als in der Normalinsulin-Gruppe, die späten postprandialen Werte lagen unter Insulin aspart jedoch höher (20). Die HbA1C-Senkung war in der Insulin aspart-Gruppe signifikant stärker, wobei der Unterschied bei 0,12%- (20) bzw. 0,14%-Punkte (21) bei absoluten HbA1C-Werten um 7,9% lag. Die klinische Relevanz dieser Unterschiede, insbesondere eine positive Auswirkung auf diabetische Folgeschäden, ist eher fraglich.
Das Risiko schwerer Hypoglykämien war in einer Arbeit vor allem nachts und spät-postprandial etwas geringer (Relatives Risiko bei Insulin aspart: 0,83; 20). Die andere Studie zeigte keinen Unterschied in der Häufigkeit von Hypoglykämien (21). Die Zufriedenheit mit der Therapie war in der Insulin-aspart-Gruppe höher. Auch wenn erst wenige Studien zu Insulin aspart vorliegen, zeichnet sich ab, daß beide kurzwirksamen Insulinanaloga etwa gleiche Therapieeffekte haben. Studien, in denen die beiden Insulinanaloga direkt verglichen werden, liegen nicht vor.
Fazit für die Praxis: Insulin aspart und Insulin lispro sind gleichwertige kurzwirksame Insulinanaloga. Mit beiden sind um 10-40 mg/dl niedrigere postprandiale (2 Stunden) Blutglukosewerte zu erreichen; jedoch sind die spät-postprandialen Werte höher als unter Normalinsulin, wenn die NPH-Insulin-Dosis oder die Zahl der NPH-Insulin-Injektionen nicht erhöht wird. Hypoglykämien sind bei beiden Insulinanaloga um 10-30% und vor allem nachts seltener. Eine Senkung des HbA1C-Wertes durch Umstellung auf Insulinanaloga ist nur zu erwarten, wenn gleichzeitig NPH-Insulin zu jeder Mahlzeit zusätzlich gegeben wird. Ein einfacher Austausch von Normalinsulin durch Insulin aspart oder Insulin lispro bringt keine Verbesserung des Glukosestoffwechsels. Die Patienten sind aber mit dieser Therapie zufriedener. Die Pumpentherapie mit Insulinanaloga bringt eine gering verbesserte Stoffwechseleinstellung und birgt keine größeren Risiken einer Ketoazidose.
Mit den kurzwirksamen Insulinanaloga kann also keine deutlich bessere Stoffwechseleinstellung erreicht werden. Die Unterschiede sind nur minimal, und mit Normalinsulin ist eine gleich gute Diabeteseinstellung möglich. Deshalb wird gerne in der Werbung auf die höhere Zufriedenheit der Patienten verwiesen. Ob dies 30% höhere Therapiekosten und einen Marktanteil von 36% rechtfertigt, muß bezweifelt werden.
Langwirksame Insulinanaloga: Das langwirksame Insulinanalogon Insulin glargin hat an Position 21 der A-Kette Glycin anstatt Asparagin und am Ende der B-Kette zwei zusätzliche Argininmoleküle, was eine Verschiebung des isoelektrischen Punkts von pH 5,6 auf pH 6,7 zur Folge hat. Nach s.c. Injektion kommt es zur Präzipitation der Insulin-glargin-Hexamere. Aus den Präzipitaten werden die Moleküle relativ konstant abgegeben. Dadurch kommt es zu einer gleichmäßigen, nahezu linearen Wirkung ohne Wirkungsgipfel. Die Wirkung beginnt nach 1-1,5 Stunden, und die Wirkdauer beträgt nahezu 24 Stunden. Im Vergleich mit NPH-Insulin und dem sehr langwirkenden, zinkverzögerten Insulin Ultralente, die beide einen deutlichen Wirkgipfel haben, hat Insulin glargin die geringste intra- und interindividuelle Variabilität der Insulinkonzentration im Plasma (22).
Als wesentliche Vorteile von Insulin glargin gegenüber NPH-Insulin werden die nur einmal tägliche Gabe, die gleichmäßige Wirkung ohne Gipfel und eine geringere Absorptionsvarianz hervorgehoben. Letztere ist auch dadurch bedingt, daß Insulin glargin eine klare Lösung ist, die nicht durchmischt werden muß.
Da das Präparat noch nicht lange auf dem Markt ist, liegen erst wenige Studien vor, die sich über 4-32 Wochen erstrecken und in denen die Endpunkte HbA1C, Nüchtern-Blutglukose, Hypoglykämien und Lebensqualität untersucht wurden. Die Studien waren randomisiert, aber nicht verblindet. Es wurden 300-600 Patienten pro Studie untersucht.
Wirkung auf Nüchtern-Blutglukose: Bei Typ-1-Diabetikern wurde die morgendliche Nüchtern-Blutglukose durch Insulin glargin im Vergleich zu NPH-Insulin um 12-35 mg/dl stärker gesenkt. Es ist jedoch zu bemerken, daß die Nüchternwerte der Blutglukose zu Beginn der Studie sehr hoch lagen, nämlich zwischen 200 und 220 mg/dl. Eine Senkung um 35 mg/dl ist in dieser Situation noch kein befriedigendes Therapieergebnis (23-26). Bei Typ-2-Diabetikern gab es keinen Unterschied zwischen den Nüchternwerten, wenn Insulin glargin oder NPH-Insulin um 22 Uhr (Bed-time-Insulin) gegeben wurde (27, 28). Eine Studie mit über 400 Typ-2-Diabetikern zeigte, daß die abendlichen postprandialen Blutglukosewerte unter Insulin glargin signifikant niedriger lagen (178 vs. 192 mg/dl). Dieses Ergebnis war zu erwarten, da NPH-Insulin bzw. Insulin glargin nur einmal (um 22 Uhr) gegeben wurde und somit die Wirkung des NPH-Insulins am nächsten Abend längst abgeklungen war.
Wirkung auf den HbA1C-Wert: Durch Insulin glargin konnte in einer Studie mit Typ-1-Diabetikern, die zuvor NPH-Insulin injiziert hatten, eine etwas stärkere Senkung des HbA1C (von 7,96% auf 7,80%) erreicht werden als bei Fortsetzung der Therapie mit NPH (von 7,85 auf 7,79%; 23). Diese minimalen Unterschiede haben keine klinische Relevanz. Alle anderen Studien mit Typ-1- und Typ-2-Diabetikern zeigten keine stärkere HbA1C-Senkung unter Insulin glargin als unter NPH-Insulinen (24, 26-28).
Hypoglykämiehäufigkeit und „Lebensqualität“: Bei Typ-1-Diabetikern sind die Ergebnisse hinsichtlich der Hypoglykämiehäufigkeit unter Insulin glargin uneinheitlich. Die Studie mit dem längsten Beobachtungszeitraum (28 Wochen) ergab eine Reduktion der Hypoglykämien um 40% (24). Andere Studien zeigten beim Vergleich von Insulin glargin mit NPH-Insulin keinen Unterschied (26), oder nur nachts (23). Bei Typ-2-Diabetikern, die nur um 22 Uhr Insulin spritzten, konnte die nächtliche Hypoglykämierate von 24% in der NPH-Insulin-Gruppe auf 10% in der Insulin-glargin-Gruppe (27) bzw. von 35% auf 26% gesenkt werden (28).
Eine Studie mit über 500 Patienten zeigte eine höhere Therapiezufriedenheit mit Insulin glargin, während das psychische Wohlbefinden bei Insulin glargin und NPH-Insulin gleich war (29).
UAW von Insulin glargin: Für viel Aufregung hat eine Arbeit gesorgt, die eine 7,8fach höhere mitogene Potenz von Insulin glargin gegenüber Normalinsulin zeigte (30). Die erhöhte Mitogenität wird über die hohe Bindungsaffinität von Insulin glargin an den Rezeptor von Insulin-like growth factor 1 (IGF-1) erklärt. Das Modell, bei dem die mitogene Potenz geprüft wurde, ist eine humane Osteosarkom-Zelllinie mit sehr vielen IGF-1- und wenig Insulinrezeptoren. Eine andere Untersuchung mit Rattenfibroblasten, die viele Insulin- und wenig IGF-1-Rezeptoren haben, zeigte ebenfalls die erhöhte IGF-1-Rezeptor-Affinität von Insulin glargin, aber keine höhere Mitogenität (31). Eine Übertragung dieser In-vitro-Ergebnisse auf den Menschen ist schwierig. Eine stärkere mitogene Wirkung von Insulin glargin in vivo ist unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Ähnliche Befürchtungen wurden bei der Einführung von Insulin lispro geäußert, haben sich aber bis jetzt nicht bestätigt.
Eine andere Untersuchung zeigte eine Zunahme der diabetischen Retinopathie unter der Therapie mit Insulin glargin (32), was über die Wirkung auf den IGF-1-Rezeptor erklärt wird. Ein unabhängiges Expertengremium, das von der Herstellerfirma beauftragt wurde, sah keinen Zusammenhang zwischen der Progredienz der Retinopathie und der Gabe von Insulin glargin. Bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sind jedoch in den vergangenen Monaten mehrere Meldungen über ein Fortschreiten der diabetischen Retinopathie und über Glaskörperblutungen unter Therapie mit Insulin glargin eingegangen, die zur Vorsicht mahnen.
Fazit für die Praxis: Mit Insulin glargin steht ein pharmakokinetisch interssantes, über 24 Stunden konstant wirkendes Insulinanalogon zur Verfügung. Trotz der idealen linearen Kinetik konnte der HbA1C-Wert bei Typ-1- und Typ-2-Diabetikern nicht stärker gesenkt werden als mit NPH-Insulin. Deutlich erhöhte morgendliche Blutglukosewerte (um 200 mg/dl) können bei Typ-1-Diabetikern mit Insulin glargin um 15-35 mg/dl stärker gesenkt werden als mit NPH-Insulin.
Bei Typ-2-Diabetikern sind nächtliche Hypoglykämien unter Insulin glargin seltener; dies ist bei Typ-1-Diabetikern noch nicht eindeutig gezeigt. Patienten sind mit der Insulin-glargin-Therapie zufriedener, was durch seltenere Hypoglykämien und durch die nur einmal tägliche Injektion erklärt werden kann. Eine deutlich bessere Stoffwechseleinstellung ist nach einem Wechsel von NPH-Insulin auf Insulin glargin nicht zu erwarten. Bei rezidivierenden nächtlichen Hypoglykämien unter NPH-Insulin ist die Umstellung auf Insulin glargin sinnvoll. Die einmal tägliche Gabe von Insulin glargin wird immer als Vorteil angepriesen, kann aber auch die Flexibilität einschränken. Typ-1-Diabetiker, die vor körperlicher Aktivität auch die Dosis von Basalinsulin reduzieren, müssen bei Insulin glargin länger vorausplanen.
Alle Insulinanaloga sind nur als U100-Insuline (100 Einheiten Insulin/ml) erhältlich. Deshalb sollten speziell graduierte Einmalspritzen oder – besser – Insulin-Pens zur Injektion verwendet werden. Alle Insulinanaloga kosten gleich viel, sind aber 30% teurer als die herkömmlichen Normal- und NPH-Insuline.
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