Auf die Ergebnisse der primären Therapie metastasierter kolorektaler Karzinome mit Irinotecan (Campto) in Kombination mit 5-Fluorouracil (5-FU) und Folinsäure (FS) im Rahmen von 2 randomisierten Phase-III-Studien sind wir kürzlich eingegangen (s. AMB 2001, 34, 86a). In diesen Studien wurde 5-FU entweder als Infusion (1) oder als Bolus (2) verabreicht. Beide Studien ergaben signifikante Unterschiede hinsichtlich Ansprechraten, progreßfreiem Überleben und Gesamtüberleben zugunsten der Irinotecan enthaltenden Schemata im Vergleich zur Standardtherapie mit 5-FU plus FS bzw. einer Monotherapie mit Irinotecan. Die Verlängerung des progreßfreien bzw. des Gesamtüberlebens durch Irinotecan um 2-3 Monate war jedoch nicht sehr beeindruckend und die Kostensteigerung der primären Therapie (4200-5600 DM/Monat) durch Irinotecan beträchtlich. In der europäischen Studie (1), in der ausführlich über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) berichtet wurde, führte Irinotecan häufig zu schweren Diarrhöen und Neutropenie. Demgegenüber berichtete die amerikanische Studie (2) nicht über signifikante Unterschiede in der Toxizität von Irinotecan plus 5-FU/FS gegenüber 5-FU/FS oder einer Monotherapie mit Irinotecan (Todesrate der Irinotecan-haltigen Kombination 0,9%). Die Kombinations-Chemotherapie mit Irinotecan und 5-FU/FS wurde daraufhin von der Food and Drug Administration (FDA) als initiale Behandlung metastasierter kolorektaler Karzinome zugelassen.
Über eine besorgniserregende Zunahme von Frühtodesfällen bei Patienten, die im Rahmen von zwei weiteren vom National Cancer Institute (NCI) unterstützten randomisierten Phase-III-Studien mit Irinotecan enthaltenden Schemata behandelt wurden, ist zunächst in einem Leserbrief von Sargent, D.J., et al. (3) berichtet worden. In der ersten Studie (N9741) wurden Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom mit Irinotecan plus 5-FU (5-FU als Bolus) und FS oder einer Kombination aus Oxaliplatin (Eloxatin) plus 5-FU/FS oder Oxaliplatin und Irinotecan behandelt. Die andere Studie (C89803) verglich in der adjuvanten Situation die Wirksamkeit von Irinotecan plus 5-FU (5-FU als Bolus) und FS mit 5-FU/FS. In beiden Studien war die Irinotecan-haltige Kombination mit etwa dreifach höheren Todesraten (im Vergleich zu den anderen Therapiearmen) innerhalb der ersten 60 Tage nach Therapiebeginn assoziiert. Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom, die nach der Irinotecan-haltigen Therapie starben, hatten häufig klinische Symptome wie Dehydratation (ausgelöst durch Diarrhö, Übelkeit und Erbrechen), Neutropenie und Sepsis. Bei adjuvant mit dem Irinotecan-haltigen Schema behandelten Patienten traten zusätzlich Todesfälle infolge eines vaskulären Syndroms (Myokardinfarkt oder Lungenembolie oder zerebrovaskuläre Ischämie) auf. Diese häufigeren Todesfälle in beiden Studien führten dazu, die Rekrutierung der Patienten für die adjuvante Studie C89803 zu beenden und für die Studie N9741 zu unterbrechen. Die im Zusammenhang mit der Irinotecan enthaltenden Chemotherapie in beiden Studien aufgetretenen Todesfälle wurden zusätzlich durch fünf Onkologen, die an diesen Studien nicht beteiligt waren, analysiert, der Zusammenhang mit dem jeweiligen Chemotherapie-Schema beurteilt und detaillierte Empfehlungen für die Überwachung der Patienten während der Therapie mit Irinotecan und 5-FU/FS gegeben (4). In der adjuvanten Studie kam es bei insgesamt 2,5% der mit Irinotecan plus 5-FU/FS und bei 0,8% der mit 5-FU/FS behandelten Patienten zu Frühtodesfällen, die fast ausschließlich der Chemotherapie zugeschrieben wurden. Bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom traten bei 4,5% der mit Irinotecan plus 5-FU/FS, bei 1,8% der mit Oxaliplatin plus 5-FU/FS und bei 1,8% der mit Oxaliplatin und Irinotecan behandelten Patienten Frühtodesfälle auf. Sie wurden im Irinotecan-haltigen Arm zu etwa zwei Dritteln als durch die Chemotherapie induziert und in den beiden anderen Therapiearmen als überwiegend nicht durch die Chemotherapie ausgelöst, gewertet. In den Empfehlungen werden behandelnde Ärzte auf das spezifische UAW-Profil der Kombination aus Irinotecan plus 5-FU/FS (gehäuft gastrointestinale und vaskuläre Syndrome) hingewiesen, eine wöchentliche klinische Untersuchung der Patienten (zumindest während der initialen Therapiephase) gefordert und detaillierte Anweisungen für die Behandlung der durch die Chemotherapie induzierten Diarrhö (vgl. AMB 1999, 33, 7) gegeben. Insbesondere ältere Patienten mit kolorektalem Karzinom sollten während der Chemotherapie engmaschig untersucht werden. In verschiedenen Dokumentationen hat der Hersteller von Irinotecan, Aventis, inzwischen deutsche Ärzte auf die Ergebnisse dieser amerikanischen Auswertung hingewiesen, die Empfehlungen der Onkologen ins Deutsche übersetzt und die Bedeutung einer individuellen Dosis-/Intervall-Anpassung Irinotecan-haltiger Schemata betont. Diese Informationen sind grundsätzlich zu begrüßen, erfolgen jedoch angesichts der für Irinotecan bereits länger bekannten UAW auf das Verdauungssytem (5) sehr spät. Auch die Formulierung in einer dieser Dokumentationen – „Campto first line in der Kombination und so früh wie möglich verlängert das Leben Ihrer Patienten. Vielleicht das Wichtigste, was es zu dokumentieren gibt“ – erscheint vor dem Hintergrund der oben geschilderten Frühtodesfälle nach Irinotecan zynisch.
Fazit: Die in Deutschland selten verabreichte Kombination von Irinotecan, 5-Fluorouracil (als Bolus) und Folinsäure führt bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom und in der adjuvanten Situation zu einer deutlichen Zunahme der Frühtodesfälle. Es ist unbedingt erforderlich, die mit diesem Schema behandelten Patienten klinisch engmaschig zu überwachen, eine medikamentös induzierte Toxizität frühzeitig zu erkennen und entsprechende supportive Maßnahmen einzuleiten. Die in europäischen Studien bei Kombination von Irinotecan mit 5-Fluorouracil (als Infusion verabreicht) und Folinsäure beobachtete niedrigere Rate Therapie-assoziierter Todesfälle (< 1%) muß durch laufende klinische Studien bestätigt werden. Irinotecan sollte in der adjuvanten Therapie nur innerhalb kontrollierter klinischer Studien eingesetzt werden.
Literatur
- Douillard, J.Y., et al.: Lancet 2000, 355, 1041.
- Saltz, L.B., et al.: N. Engl. J. Med. 2000, 343, 905.
- Sargent, D.J., et al.: N. Engl. J. Med. 2001, 345, 144.
- Rothenberg, M.L., et al.: J. Clin. Oncol. 2001, 19, 3801.
- Müller-Oerlinghausen, B., Lasek, R., Düppenbecker, H., Munter, K.-H.: Handbuch der unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Urban und Fischer, München. 1999, Kap 21, S. 504 ff.