Wir hatten Ende des vergangenen Jahres unsere Leser auf eine ungewöhnliche Pressemitteilung Ulmer Chirurgen hingewiesen, in der über die Wirksamkeit von Ukrain in der palliativen Behandlung des fortgeschrittenen Pankreaskarzinoms berichtet wurde (vgl. AMB 2001, 35, 87). Inzwischen wurden die Ergebnisse dieser Studie publiziert und können kritisch analysiert werden (Gansauge, F., et al.: Langenbeck’s Arch. Surg. 2002, 386, 570). Diese von Allgemeinchirurgen der Ulmer Universitätsklinik geplante und von August 1999 bis Juni 2001 monozentrisch durchgeführte, prospektive, randomisierte, unverblindete Phase-II-Studie sollte die Wirksamkeit von Gemcitabin (Gemzar; Arm A) mit Ukrain (NSC-631570; Arm B) und einer Kombination von Gemcitabin plus Ukrain (Arm C) vergleichen. Als Begründung für die Phase-II-Studie wurden von den Autoren vielversprechende Kasuistiken über antitumorale Wirkungen von Ukrain bei verschiedenen Krebserkrankungen und als Endpunkt das Gesamtüberleben genannt. Insgesamt wurden in jeden Behandlungsarm 30 Patienten randomisiert und das Ansprechen auf die Therapie mittels bildgebender Verfahren 3, 6, 9 und 12 Monate nach Beginn der Studie ausgewertet. Zusätzlich wurden die „Lebensqualität“ und der Verlauf des Tumormarkers CA19-9 analysiert. Alle für die Interpretation der Ergebnisse erforderlichen statistischen Angaben (z.B. primäre und sekundäre Zielkriterien, Fallzahlschätzung, Art der Randomisation, der für den Vergleich der Überlebenszeiten benutzte statistische Test, „Intention-to-treat“-Analyse, Rekrutierungs- und Nachbeobachtungszeit) fehlen vollständig (vgl. AMB 1991, 25, 49 und 2001, 35, 46). Die in den Arm A randomisierten Patienten waren im Mittel 5,5 Jahre älter als im Arm C und das männliche Geschlecht überwog im Arm A (73%), insbesondere im Vergleich zu Arm B (53%), so daß die Randomisierung sicher nicht optimal erfolgte. In jedem Therapiearm unterbrachen 2 Patienten die Therapie, ohne daß hierfür Gründe genannt werden. Als wichtigstes Ergebnis der Studie wurde von den Autoren die Verlängerung des medianen Überlebens in Arm B (Ukrain: 7,9 Monate) und Arm C (Gemcitabin plus Ukrain: 10,4 Monate) gegenüber Arm A (Gemcitabin: 5,2 Monate) genannt, wobei in Arm B und C z.T. signifikant mehr Zyklen der Therapie (5,6 bzw. 6,8) im Vergleich zu Arm A (3,8) verabreicht wurden. Die Therapie wurde von allen Patienten angeblich gut vertragen. Bei jeweils 2 Patienten der Arme B bzw. C traten Tumorblutungen auf, die angiographisch-interventionell behandelt werden mußten, und die die Autoren zur Empfehlung veranlaßten, daß die „Tumorbehandlung mit der potenten Substanz NSC-631570 unter medizinischer Kontrolle erfolgen sollte“. Signifikante Unterschiede in der „Lebensqualität“ und im Verlauf der Tumormarker ergaben sich 3 Monate nach Therapiebeginn nicht.
Der „Senior Author“ der Studie fungiert zugleich als verantwortlicher Herausgeber der chirurgischen Zeitschrift Langenbeck’s Archives of Surgery, in der diese fragwürdige Publikation erschienen ist. Für das „Monitoring“ der Studie war nach Angaben im Studienprotokoll, das uns vorliegt, der wissenschaftliche Direktor der Firma Medi Scene verantwortlich, der zugleich Erstautor der Studie und stellvertretender Herausgeber der chirurgischen Zeitschrift ist. Ob angesichts dieser Interessenkonflikte eine unabhängige Durchführung und Auswertung der Studie sowie ein korrektes Peer-review-Verfahren gewährleistet war, muß bezweifelt werden.
Fazit: Die Ergebnisse dieser Phase-II-Studie zur palliativen Behandlung des fortgeschrittenen Pankreaskarzinoms, die eine Verlängerung der Überlebenszeiten durch Ukrain bzw. Ukrain plus Gemcitabin im Vergleich zu einer Monotherapie mit Gemcitabin ergeben hat, sind auf Grund schwerwiegender Mängel in Planung, Durchführung und statistischer Auswertung nicht aussagekräftig. Es ist äußerst bedenklich, daß die Ethikkommission einer renommierten deutschen Universität dieser Studie ein positives Votum erteilt hat und Chirurgen der Universität Ulm diese qualitativ mangelhafte Studie publiziert haben. An der Empfehlung (vgl. Dt. Ärztebl. 2001, 98, B354) verschiedener deutscher Fachgremien (z.B. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Deutsche Krebsgesellschaft e.V.), Ukrain bei Tumorpatienten nicht einzusetzen, wird diese Studie mit Sicherheit nichts ändern.