Zwei unabhängige Gesundheits-Organisationen, Health-Action-International (HAI) und European Public-Health Alliance (EPHA), hatten zu einem Treffen am 10. Januar 2002 in Brüssel eingeladen, an dem Fachleute aus Forschung, Verbraucherverbänden, Mitgliedern der WHO, Vertretern der pharmazeutischen Industrie und der Krankenversicherungen teilnahmen. Es sollte die Frage diskutiert werden: Ist Werbung bei Laien für verordnungspflichtige Medikamente wirklich ein Fortschritt? Für einen Test-Zeitraum von 5 Jahren soll nämlich die direkte Werbung für Medikamente gegen AIDS, Asthma und Diabetes möglich gemacht werden. Dies ist z.Z. in der ganzen Welt verboten, außer in den USA und Neuseeland.
In den Diskussionen der Fachleute wurde folgendes deutlich: verständliche, ausgewogene, wahrheitsgemäße Informationen über Medikamente sind dringend erforderlich. Die Werbung der Hersteller ist allerdings keine Information in diesem Sinne. Von Laien ist die aus der Werbung bei Ärzten hinreichend bekannte ”Werbelyrik” schwer zu durchschauen. Daher ist mit dem Vorhaben des Europäischen Parlaments, Werbung für Arzneimittel gegen AIDS, Asthma und Diabetes zuzulassen, keine Besserung der Versorgungssituation zu erwarten. Im Gegenteil, es ist zu befürchten, daß zur Behandlung ihrer Krankheiten von den Patienten mehr Medikamente gefordert werden in Abhängigkeit von der Intensität der Werbung als vom Schweregrad der Erkrankung. Die Hersteller neigen bekanntermaßen dazu, den Nutzen ihrer Pharmaka in den strahlendsten Farben zu schildern und über die Risiken eher zurückhaltend zu informieren.
Übrigens: Bei dem Treffen der Fachleute war nicht zu eruieren, wer eigentlich den Vorschlag zur Gesetzesänderung bei der Europäischen Union (EU) eingebracht hat! Die anwesenden Vertreter der Ärzteschaft, die WHO, die Vertreter von Patienten (Selbsthilfegruppen), nationale Gesundheitsbehörden (speziell die Niederländer) gaben zu erkennen, daß sie die Gesetzesvorlage nicht gutheißen und nicht unterstützen. Die Industrie, die wohl von dieser Regelung als einzige profitiert, hielt sich bedeckt.
Am Ende der Konferenz formulierten die Teilnehmer eine Stellungnahme für die Mitglieder des Parlaments der EU und seiner Kommissionen. Es wurde dringend gefordert, daß die Gesetze der EU den ethischen Kriterien genügen müßten, die die WHO für Werbung auf dem Arzneimittelmarkt im Jahre 1988 festgeschrieben und verabschiedet hat. Das Europäische Parlament solle darauf achten, daß die geltende Gesetzgebung mehr als bisher beachtet wird und Vergehen verfolgt würden. Auf der anderen Seite solle mehr als bisher dafür gesorgt werden, daß es eine unabhängige Arzneimittelinformation für Patienten gebe. Ansatzpunkte sind objektive Produktinformationen als Packungsbeilage, die Entwicklung von Methoden, die Erwachsenenbildung auf diesem Gebiet zu überprüfen, ganz allgemein Weiterentwicklung von Methoden, mit denen in der gesamten Bevölkerung das Wissen um Gesundheit, Krankheit und Behandlungsmöglichkeiten verbessert werden kann. DER ARZNEIMITTELBRIEF hat sich – auch im Namen seiner Leser – der Meinung der Kongreßteilnehmer angeschlossen und deren Eingabe unterstützt.
Im N. Engl. J. Med. war eine Kostenanalyse der Laienwerbung für verschreibungspflichtige Medikamente in den USA zu lesen (1). Der Gesamtaufwand sei im Vergleich mit dem übrigen Werbeetat sehr gering. Über den Effekt und den Sinn des Verfahrens wird nicht reflektiert. Ein Editorial in derselben Nummer (2) weist darauf hin, daß Werbung keine gute Information für Patienten ist. Der Autor ist Mitglied einer Verbraucherorganisation. Patienten neigten dazu, emotional zu entscheiden und dann ihren Arzt unter Druck zu setzen. Bessere, unabhängige Patienteninformation sei dringend erforderlich. Diese aber könne nicht der Pharmaindustrie überlassen werden.
Ein zweites Editorial (3), von einem Vertreter der Pharmaindustrie verfaßt, sieht die Verantwortung bei den Ärzten. Sie müßten die Vorschläge der Laien im beratenden Gespräch aufarbeiten und in angemessene Verordnungen umsetzen. Das Gesundheitssystem werde dadurch gestärkt. Anm. der Red.: will sagen: der Umsatz der Pharmaindustrie. Dem Arzt bleibt der Schwarze Peter, die Werbeversprechungen der Industrie und unberechtigt geweckte Hoffnungen und Erwartungen bei den Patienten zur Realität zurückzuführen. Dies ist aus der Werbung für rezeptfreie Medikamente den Ärzten schon gut bekannt.
In einer dritten Stellungnahme (4) – sie stammt von Autoren der Harvard Medical School – werden schließlich ernste ethische und ökonomische Bedenken gegen einen besonderen Bereich der Laienwerbung geäußert, nämlich für neue, nicht endgültig evaluierte diagnostische Methoden in der Kardiologie und Pulmologie (z.B. Elektronenstrahl-CT zur Diagnostik der Koronaren Herzkrankheit und Spiral-CT zur Frühdiagnose des Bronchialkarzinoms). Sie könne dazu führen, daß die betroffenen und verängstigten Patienten unberechtigte Hoffnungen entwickelten und beim Arzt durchzusetzen versuchten. Andererseits sei es aber nicht zu finanzieren, die Methoden flächendeckend anzuwenden
Eine weitere Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob die Laienwerbung Einfluß nimmt auf Wünsche der Patienten, ein Medikament verschrieben zu bekommen, und wie der betreffende Arzt darauf reagiert (5). Die Daten wurden an Hand eines Fragebogens an Patienten und Ärzte in 38 Praxen in Sacramento, Kalifornien, und in 40 Praxen in Vancouver, Kanada, erhoben. Wenn diese Untersuchung auch methodische Mängel hat, so zeigen ihre Ergebnisse doch folgende, eigentlich triviale Tendenz: Der dringende Wunsch eines Patienten, ein spezielles Medikament zu erhalten, fördert sehr stark die Entscheidung des Arztes, ein solches auch zu rezeptieren. Viele Ärzte sind in dieser Situation (im Nachhinein befragt) jedoch ambivalent in der Wahl ihres therapeutischen Vorgehens. Wenn Ärzte also, trotz persönlicher Bedenken, unter dem Druck der durch direkte Werbung beeinflußten Patienten Medikamente verschreiben, könnte nicht nur die Zahl der Verordnungen steigen, sondern auch die Qualität leiden.
Laienwerbung erschwert, ja behindert unseres Erachtens die rationale Indikationsstellung, der wir Ärzte verpflichtet sind und leistet außerdem einer ”Medikamentalisierung” der Gesellschaft Vorschub. Eine Pille für jedes Problem nach Ratschlag des Herstellers? Man sollte diese Art der Werbung in Europa nicht zulassen, um mit Ressourcen möglichst vernünftig und gerecht umgehen zu können. Die Macht der Pharmariesen darf nicht ausufern.
Literatur
- Rosenthal, M.B., et al.: N. Engl. J. Med. 2002, 346, 498.
- Wolfe, S.M.: N. Engl. J. Med. 2002, 346, 524.
- Holmer, A.F.: N. Engl. J. Med. 2002, 346, 526.
- Lee, T.H., und Brennan, T.A.: N. Engl. J. Med. 2002, 346, 529.
- Mintzes, B., et al.: Brit. Med. J. 2002, 324, 278.