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Was hat Scheibenbrot mit Antidepressiva zu tun?

Diese Frage werden sich auch die Leser eines medizinischen Artikels gestellt haben, der in einem Supplementband die Ergebnisse eines Symposiums zum Antidepressivum Venlafaxin (Trevilor) zusammenfaßt, das von Wyeth veranstaltet worden war. Der letzte Satz dieses Artikels betont, daß das von Wyeth hergestellte Venlafaxin ”die beste Sache seit Scheibenbrot sei”. Mit der Entstehungsgeschichte dieser Arbeit, einem Paradebeispiel für Ghostwriter-Artikel, beschäftigte sich die englische Zeitschrift ”The Guardian” in ihrer Ausgabe vom 7. Februar 2002 (1). Dr. D. H., Direktor einer Abteilung für psychologische Medizin in Wales, wurde von einem Psychiater der Universität von Toronto eingeladen, anläßlich eines Symposiums zu Venlafaxin einen Vortrag zu halten und einen Artikel über Venlafaxin zu verfassen. Nach diesem Symposium erhielten Dr. D. H. und sein Kollege Dr. R. T. eine E-mail mit einem ersten Entwurf ihres Artikels über Venlafaxin, der von einem professionellen Schreiber einer kommerziellen medizinischen Agentur erstellt worden war und in dem Supplementband zum Symposium erscheinen sollte. Die Mediziner aus Wales wurden gebeten, alle ihnen notwendig erscheinenden Änderungen vorzunehmen. Dr. H. und Dr. T. nahmen einige Änderungen vor und betonten, daß die Aussage von Wyeth – ”Venlafaxin kann im Unterschied zu anderen Antidepressiva Patienten mit Depression heilen” – durch Studien mit ähnlichen Antidepressiva, wie z.B. Mirtazapin (Remergil), nicht gestützt wird und, im Gegenteil, Antidepressiva bei einigen Patienten die Depression verstärken und sogar die Suizidgefährdung erhöhen können. Als die endgültige Fassung des Manuskripts Dr. H. und Dr. T. per Post erreichte, waren wesentliche Änderungen von dem Ghostwriter vorgenommen und der Satz: ”Venlafaxin induziert komplette Remissionen bei einer großen Zahl von Patienten” hinzugefügt worden. Dr. H. protestierte scharf gegen diese Formulierung und veranlaßte, daß er nicht mehr als Autor des Artikels genannt wurde. Er vermutete, daß für diese Pro-Wyeth-Version der Psychiater der Universität in Toronto, der das Symposium organisiert hatte, verantwortlich war.

Wyeth hat bereits früher durch derartige Publikationen über ihre Produkte Aufsehen erregt. Der Lancet hatte 1999 in einem Feature über bezahlte Ghostwriter-Artikel berichtet, in denen eine Behandlung mit dem von Wyeth hergestellten Appetitzügler Dexfenfluramin (Isomeride) propagiert und die unter dem Namen prominenter Wissenschaftler in medizinischen Zeitschriften veröffentlicht wurden (2). Dexfenfluramin wurde 1997 wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen an den Herzklappen (s. AMB 1998, 32,87b) vom Markt genommen.

Bereits früher war Dr. H. von einer für Pierre Fabre Pharma arbeitenden Agentur kontaktiert und eingeladen worden, auf einem von Fabre gesponserten Symposium des ”European College of Neuropsychopharmacology” im September 1999 zu dem neuen Antidepressivum Milnacipran (in Deutschland nicht zugelassen) zu sprechen und eine Arbeit über seinen Vortrag zu verfassen. Die Vorträge des Symposiums sollten in einem Supplementband der Zeitschrift ”International Journal of Psychiatry in Clinical Practice” erscheinen. Die Agentur schlug vor, um die Arbeitsbelastung für Dr. H. auf ein Minimum zu reduzieren, eine erste Fassung von einem Ghostwriter basierend auf früheren Publikationen von Dr. H. vorzubereiten. Dr. H. lehnte dies ab und schickte eine eigene Fassung an die Agentur. Einen Monat später teilte die Agentur Dr. H. mit, daß sein Artikel leider etwas verändert werden müßte, da ”ein oder zwei Punkte in dem Manuskript nicht ausreichend hervorgehoben sind”. Die Agentur hatte deshalb entschieden, den Artikel von Dr. H. separat in dem Supplementband zu veröffentlichen. Der Artikel des Ghostwriters, der laut Agentur die ”wesentlichen kommerziellen Punkte” beschrieb, erschien ebenfalls in diesem Heft, und als Autor fungierte Prof. S. K., Psychiater an der Universität Wien und Mitherausgeber der zuvor genannten Zeitschrift.

Das ”Guest-ghost-Syndrom”, d.h. die Berücksichtigung von Autoren, deren Beitrag zu einer Arbeit nicht ausreicht, um eine Autorenschaft zu rechtfertigen, ist ein zunehmendes Phänomen (3). Eine 1998 publizierte Analyse von insgesamt 809 Artikeln, die in ”Peer-reviewed”-Zeitschriften erschienen waren, ergab, daß 159 Artikel (19%) Ehrenautoren oder Ghostwriter hatten (4) und somit die klaren Vorgaben für eine Autorenschaft in medizinischen Artikeln mißachtet wurden (5). Unsere Erwartung, daß die Autoren medizinischer Artikel wesentliche Ergebnisse der Arbeit beigesteuert, den Artikel selber verfaßt haben und für deren Inhalt verantwortlich sind, erweist sich leider immer häufiger als Illusion.

Literatur

  1. Boseley, S.: The Guardian, Thursday February 7, 2002.
  2. Larkin, M.: Lancet 1999, 354, 136.
  3. Bodenheimer, T.: N. Engl. J. Med. 2000, 342, 1539.
  4. Flanagin, A., et al.: JAMA 1998, 280, 222.
  5. Davidoff, F., et al.: Lancet 2001, 358, 854.