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Schutz von Daten oder Schutz von Legenden?

Pharmafirmen haben erfolgreich verhindert, daß Wissenschaftler von NICE (National Institute for Clinical Excellence, das sich um Therapiestandards in Großbritannien bemüht) die Patientendaten aus den Beta-Interferon-Studien bei Multipler Sklerose (MS) einsehen dürfen (Burke, K.: http://bmj.com/cgi/content/full/324/7333/320/b). Die Anwendung von Interferon beta bei MS ist umstritten, da der Langzeitnutzen zweifelhaft ist, die Therapiekosten aber eminent hoch sind. Die Nachforschungen von NICE hatten zum Ziel, eine Kosten-Nutzen-Analyse zu erstellen.

Die offizielle Begründung der Firmen für ihre Weigerung, die Rohdaten zur Verfügung zu stellen, war, daß die Daten vertraulich seien und deren Weitergabe nicht in der Einverständniserklärung der Patienten zur Studienteilnahme enthalten sei. Diese Argumentation mag formal richtig sein, inhaltlich ist sie aber kontraproduktiv und abzulehnen. Für die Allgemeinheit relevante Daten, die im Rahmen von klinischen Studien erhoben werden, sollten nicht das geistige Eigentum von Firmen sein, das je nach Firmeninteressen publiziert werden kann oder nicht. Hier muß das Gemeinwohl über dem Firmenwohl stehen. Und für die Anwender der Medikamente muß gelten: wenn Studiendaten nicht von unabhängigen Gremien überprüft werden dürfen, dann muß man prinzipiell davon ausgehen, daß eine Manipulation stattgefunden haben kann. Eine Konsequenz aus dieser Affäre muß sein, daß die Daten aus relevanten Studien einer unabhängigen Institution zur Verfügung gestellt werden müssen und die Patienten dies bei der Studieneinwilligung auch genehmigen.

Die Affäre hat in Großbritannien zu einer Anhörung im Gesundheitsausschuß im Parlament geführt. In Deutschland ist es schwieriger, über die Kosteneffektivität teurer Therapien zu diskutieren. Viele Ärzte werten solche Gedanken als unethisch. So führte z.B. die Besprechung einer solchen Untersuchung zum Thema Interferon beta bei MS (Brit. Med. J. 1999, 319, 1529) im ARZNEIMITTELBRIEF zu einer heftigen Resonanz aus der Leserschaft (AMB 2000, 34, 23a; 2001, 35, 16b).