Zusammenfassung: Acarbose und Miglitol sind Alpha-Glukosidase-Hemmer (AGH), die im Dünndarm die Aufspaltung kurzkettiger Kohlenhydrate hemmen und damit die Glukoseresorption vermindern. Die in das Kolon gelangenden Kohlenhydrate führen zu vermehrter Flatulenz, weichem Stuhl und gelegentlich Bauchschmerzen. Bei einschleichender Dosierung lassen sich diese UAW reduzieren, aber nicht ganz vermeiden. Viele Diabetiker brechen die Therapie mit Acarbose wegen dieser UAW ab. Die besser untersuchte Substanz Acarbose senkt den postprandialen Blutzucker um durchschnittlich 50-60 mg/dl und nach einiger Zeit den Nüchternblutzucker um 20-40 mg/dl. Der HbA1C-Wert nimmt bei längerer Medikation um 0,5-1,4 Prozentpunkte ab. In dieser Hinsicht ist es weniger wirksam als Metformin und Sulfonylharnstoffe, mit denen es kombiniert (auch mit Insulin) verabreicht werden darf. Ähnlich wie Metformin erhöht es nicht das Körpergewicht (anders als Insulin und Sulfonylharnstoffe) und führt bei Monotherapie (wie auch Metformin) nicht zu Hypoglykämien. Gleiche oder bessere Effekte wie mit Acarbose lassen sich auch mit einer an Ballaststoffen reichen Diät erzielen. Mit Acarbose, aber auch mit einer ballaststoffreichen Diät oder mit Metformin, läßt sich der Übergang von einer verminderten Kohlenhydrattoleranz zu einem manifesten Diabetes verzögern, jedoch wird der Diabetes nach Beendigung der Acarbosetherapie sehr schnell manifest. Neuere Daten, nach denen eine mehrjährige Behandlung mit Acarbose bei verminderter Kohlenhydrattoleranz oder bei manifestem Diabetes mellitus Typ 2 das Herzinfarktrisiko und das kardiovaskuläre Gesamtrisiko senkt, sind statistisch nicht abgesichert und sollten nicht dazu führen, Acarbose bei oraler Diabetes-Therapie einzusetzen. Für Metformin ist der kardioprotektive Effekt besser gesichert. Aus unserer Sicht ist Acarbose ein Medikament der zweiten oder dritten Präferenz, nicht nur aus Kostengründen.
Diabetes mellitus Typ 2 ist pathophysiologisch gekennzeichnet durch Insulinresistenz des Muskel- und Fettgewebes, Dysfunktion der Betazellen und vermehrte Glukoseausschüttung der Leber (Insulinresistenz der Leber) mit der Folge einer prä- und postprandialen (2, 3) Hyperglykämie.
Neben den Grundpfeilern Diabetes-gerechte Ernährung, körperliche Aktivität und Insulin stehen derzeit zahlreiche orale Antidiabetika mit 4 verschiedenen Wirkprinzipien zur Verfügung: 1. Sulfonylharnstoffe (z.B. Glibenclamid = Euglucon N u.v.a., Glimepirid = Amaryl) und Sulfonylharnstoff-Analoga (Nateglinid = Starlix, Repaglinid = NovoNorm) zur Steigerung der Insulinausschüttung, 2. Metformin (Glucophage, Siofor u.v.a.) zur Hemmung der hepatischen Glukoseproduktion, 3. Thiazolidindione (Pioglitazon = Actos, Rosiglitazon = Avandia) zur Minderung der Insulinresistenz von Muskel-, Fettgewebe und Leber und 4. Alpha-Glukosidase-Hemmer (AGH; Acarbose = Glucobay, Miglitol = Diastabol) zur Verzögerung der Kohlenhydrataufnahme.
Ziel ist das Erreichen der Normoglykämie, d.h. präprandiale Blutglukosewerte (kapilläres Vollblut) von 90-120 mg/dl und postprandiale Werte bis maximal 160 mg/dl (1). Erhöhte postprandiale Blutglukosewerte werden z.Zt. mehr ins Bewußtsein gebracht, weil in Studien gezeigt wurde, daß diese mit häufigeren kardiovaskulären Komplikationen assoziiert sind (2, 3), und weil mittlerweile Medikamente angeboten werden, die auf die Senkung der postprandialen Hyperglykämie abzielen. Dabei liegen nach den Leitlinien der AkdÄ keine Untersuchungen vor, die einen eigenständigen Vorteil der medikamentösen Senkung postprandialer Hyperglykämien auf die Häufigkeit diabetischer Komplikationen nachweisen (1).
Wirkprinzip der AGH: AGH sind orale Antidiabetika, die primär die postprandialen Blutglukoseanstiege mindern. Kohlenhydrate liegen in unserer Nahrung überwiegend als Disaccharide (z.B. Saccharose), Oligosaccharide oder komplexe Kohlenhydrate (z.B. Stärke) vor. Bevor diese Kohlenhydrate im Dünndarm aufgenommen werden können, müssen sie von Alpha-Glukosidasen, die an den Mikrovilli des Dünndarms lokalisiert sind, in Monosaccharide gespalten werden. Die Alpha-Glukosidasen haben im Duodenum und im proximalen Jejunum die höchste Dichte am Bürstensaum der Enterozyten; sie finden sich auch in geringerer Dichte im distalen Jejunum und im Ileum. Das Monosaccharid Glukose wird direkt in die Enterozyten aufgenommen und nicht von AGH beeinflußt. Eine Hemmung der Alpha-Glukosidasen verzögert Spaltung und Aufnahme der Kohlenhydrate. Die Folge ist ein verzögerter Anstieg und ein geringerer Spitzenwert der Blutglukose nach dem Essen. Die Insulinsekretion wird nicht verstärkt. AGH werden vor allem bei Diabetikern mit hohen postprandialen Blutglukosewerten empfohlen. Durch die Hemmung der Alpha-Glukosidasen gelangen vermehrt Kohlenhydrate ins Kolon, wo sie von der Darmflora zu kurzkettigen Fettsäuren unter Gasbildung metabolisiert werden. Die Fettsäuren können resorbiert werden, womit dem Körper keine Energie verloren geht. Das Gas führt zu den typischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) der AGH: Flatulenz, Meteorismus und Bauchschmerzen.
In Deutschland sind derzeit zwei AGH zugelassen: Acarbose (Glucobay) und Miglitol (Diastabol). Acarbose wird nur zu ca. 2% resorbiert, Miglitol dagegen zu 90% und unverändert renal eliminiert. Beide Substanzen hemmen die meisten Alpha-Glukosidasen, wobei nur Acarbose die Pankreas-Amylase und nur Miglitol die Laktase und Isomaltase hemmt. Trotz dieser Unterschiede ist die Wirksamkeit beider Substanzen praktisch gleich. Zur Acarbose liegen jedoch weitaus mehr Studien vor als zu Miglitol. Beide Substanzen sind zur Monotherapie zugelassen. Acarbose ist zur Kombination mit Metformin, Sulfonylharnstoffen und Insulin, Miglitol nur zur Kombination mit Sulfonylharnstoffen zugelassen. Beide AGH sollen vor jeder größeren Mahlzeit, in aller Regel dreimal täglich, eingenommen werden. Die Zeitpunkte sollten zwischen 15 Minuten und unmittelbar vor den Mahlzeiten liegen (4).
Um die intestinalen UAW gering zu halten, sollte mit einmal 25-50 mg/d zur Mahlzeit mit der höchsten postprandialen Blutglukose (meist Frühstück) begonnen und dann wöchentlich um 25-50 mg gesteigert werden. Die höchste sinnvolle Dosis liegt für beide AGH bei dreimal 100 mg/d und die am häufigsten verwendete Dosis bei dreimal 50 mg (12). Die Wirkungsdauer beträgt 4-6 Stunden.
Wirkung auf die Hyperglykämie: Zu Acarbose liegen zahlreiche Studien (5-9) und bereits Metaanalysen (10) zur Wirksamkeit in Mono- und Kombinationstherapie vor. Acarbose kann den postprandialen Blutglukosewert durchschnittlich um 50-60 mg/dl senken (10), wobei diese Werte teilweise so hoch lagen, daß sie auch unter AGH weit vom Therapieziel entfernt waren (6). Die Senkung der postprandialen Werte setzt sofort mit Therapiebeginn ein. Nach einigen Wochen sinkt auch die Nüchternblutglukose um durchschnittlich 20-40 mg/dl (9, 10). Der HbA1C-Wert nimmt um 0,5-1,4 Prozentpunkte, durchschnittlich um 0,9 ab. Die AGH senken sowohl das HbA1C als auch die prä- und postprandialen Blutglukosewerte schwächer als Metformin oder Sulfonylharnstoffe bei Monotherapie (11, 12).
Wegen des unterschiedlichen Wirkmechanismus und der geringen Arzneimittelinteraktion lassen sich AGH mit anderen blutzuckersenkenden Therapeutika kombinieren. Nach zusätzlicher Gabe eines AGH bei vorbestehender Insulin-Therapie sank das HbA1C um durchschnittlich 0,5%, bei vorbestehender Metformin-Therapie um 0,8% und bei vorbestehender Sulfonylharnstoff-Therapie um 1,1% (13-15).
Die blutzuckersenkenden Effekte der AGH – sei es bei Mono-, sei es bei Kombinationstherapie – sind für einen längeren Zeitraum (> 3 Jahre) gezeigt, auch wenn nach Intention-to-treat ausgewertet wurde (8). Eine Toleranzentwicklung ist nicht bekannt.
Effekte auf andere metabolische Parameter: Die Nüchtern-Insulinspiegel werden nicht beeinflußt. Ob die postprandialen Insulinspiegel gesenkt werden, ist nicht eindeutig geklärt. Einige Studien zeigten eine signifikante Senkung (5, 13, 17), andere nicht (6, 16). Es kann jedoch als gesichert gelten, daß AGH zu keiner Zunahme der postprandialen Insulinspiegel führen. Damit wird auch erklärt, daß es unter AGH – auch bei längerer Therapie (3 Jahre) – zu keiner Gewichtszunahme kommt (8, 18). Neben Metformin sind die AGH die einzigen oralen Antidiabetika, die zu keiner Gewichtzunahme führen.
Eine Senkung der Triglyzeride wird in Lehrbüchern und Übersichtsarbeiten beschrieben (13). Wie bei den Insulinspiegeln ergaben einige Studien eine signifikante Senkung der Triglyzeride (5, 15), andere aber nicht (6, 16). Bei kritischer Betrachtung ist eine Triglyzeridsenkung also nicht gesichert. Eine Verbesserung der Insulinsensitivität durch AGH wurde in früheren Studien nicht gefunden (19, 20), jedoch in einer neueren Studie (9).
Des weiteren konnte in einer kleinen Studie an 17 Typ-2-Diabetikern gezeigt werden, daß Acarbose die durch postprandiale Hyperglykämie bedingte Aktivierung der Gerinnung vermindert (21). Es ist nicht klar, ob dieser Effekt klinisch relevant ist.
Ferner gibt es Hinweise, daß unter Acarbose die endogenen GLP-1(Glukagon-like peptid)-Spiegel postprandial steigen (22). GLP-1 führt wiederum zur Stimulation der Insulinsekretion, aber in Abhängigkeit vom Blutglukosespiegel.
Zusammengefaßt kommt es durch AGH eher zu einer günstigen Beeinflussung der metabolischen Parameter, wobei die Veränderungen nur gering sind. Wesentlicher Vorteil ist, wie bei Metformin, die fehlende Gewichtszunahme unter AGH.
UAW, das große Hindernis der AGH: Durch die Hemmung der Alpha-Glukosidase gelangen Kohlenhydrate in den Dickdarm, wo sie von Bakterien unter Bildung von Gasen metabolisiert werden. Aus diesem Grund haben fast alle Patienten unter AGH intestinale UAW: Flatulenz 70-90%, Diarrhö 30-40%, Bauchschmerzen 20-25% (6, 7). Wegen belästigender intestinaler UAW haben nach einem Jahr 50% und nach 3 Jahren 60% die Acarbosetherapie abgebrochen (8). Eine einschleichende Dosierung soll die intestinalen UAW vermindern. Dies wird damit erklärt, daß die Alpha-Glukosidasen im distalen Jejunum und im Ileum unter der Therapie zunehmen, wodurch mehr Kohlenhydrate im distalen Dünndarm resorbiert werden und weniger in den Dickdarm gelangen. Außerdem kann bei langsamem Titrieren leichter die individuelle Dosis abgeschätzt werden, ab der die Flatulenz deutlich zunimmt. Dennoch traten selbst bei langsamer Dosissteigerung Flatulenz (68%), Diarrhö (32%) und Bauchschmerzen (17%) immer noch häufig auf, und die Abbruchquote lag mit 30% fast doppelt so hoch wie in der Plazebo-Gruppe (18). Hauptgrund für den vorzeitigen Abbruch waren die intestinalen UAW. Dies zeigt, daß sich die AGH in der Praxis nicht so dosieren lassen, daß keine Kohlenhydrate ins Kolon gelangen. Auch das Argument von Befürwortern der AGH, daß eine ballaststoffreiche Ernährung mit komplexen Kohlenhydraten ja ebenfalls zu Flatulenz führt, stellt eher die AGH-Therapie in Frage, denn diese Kost alleine senkt die postprandiale Hyperglykämie und bessert die Blutglukosewerte.
Ansonsten haben die AGH kaum UAW. Insbesondere Acarbose hat wegen der geringen Resorption nur wenige systemische UAW oder Arzneimittelinteraktionen. Auch die enterale Resorption anderer Arzneimittel wird nicht beeinträchtigt (13). Abgesehen von reversiblen Anstiegen der Transaminasen wurden bislang keine schwerwiegenden UAW beschrieben (7).
Die wenigen Kontraindikationen (Alter < 18 Jahre, Schwangerschaft, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, spastisches Kolon, Hernien, schwere Niereninsuffizienz) lassen prinzipiell eine Anwendung bei den meisten Typ-2-Diabetikern zu. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß bei 30-50% der Patienten mit einem Abbruch der Therapie gerechnet werden muß.
Kritische Betrachtung in der Diabetestherapie: AGH sind grundsätzlich wirksam zur Senkung der postprandialen Hyperglykämie, die allerdings nach der Leitlinie der Arzneimittelkommission kein abgrenzbarer Risikofaktor ist (1). Wesentliche Vorteile sind die fehlende Hypoglykämieneigung, die fehlende Gewichtszunahme, die geringen systemischen UAW und die Kombinierbarkeit mit anderen antihyperglykämischen Therapien. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft schlägt trotzdem in ihren Leitlinien die AGH zur First-line-Therapie als Alternative zum Metformin bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern vor (12). Die antihyperglykämische Wirksamkeit der AGH ist zwar belegt, jedoch sind sie Metformin und Sulfonylharnstoffen, auch bei der postprandialen Senkung der Blutglukose, unterlegen. Zudem liegen noch keine Endpunktstudien zu AGH bei Typ-2-Diabetikern vor. Außerdem ist zu beachten, daß die Tagestherapiekosten der AGH mit ca. 1 EUR erheblich über denen der Sulfonylharnstoffe (0,2 EUR) und von Metformin (0,36 EUR) liegen.
Schließlich muß noch bedacht werden, daß die wesentlichen Effekte der AGH auch durch eine ballaststoffreiche Ernährung mit niedrigem glykämischen Index erreicht werden können. Der Einsatz der AGH erscheint daher nur sinnvoll bei motivierten Diabetikern, die Flatulenz in Kauf nehmen und trotz ballaststoffreicher Diät und antihyperglykämischer Therapie mit Metformin, Sulfonylharnstoffen oder Insulin immer noch hohe postprandiale Blutglukosewerte haben.
STOP-NIDDM-Studie zur Diabetesprävention: Acarbose hat durch die Veröffentlichungen der STOP-NIDDM-Studie wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten (18, 23). Ausgangspunkt dieser Präventionsstudie ist die steigende Diabetesprävalenz mit einer erwarteten Verdoppelung in den nächsten 25 Jahren. Pathophysiologisch gesehen durchläuft jeder Typ-2-Diabetiker eine Phase der gestörten Glukosetoleranz. Liegt eine gestörte Glukosetoleranz vor, dann ist mit einem Übergang von 1,5-7,3% pro Jahr zum Diabetes mellitus Typ 2 (früher NIDDM: Non Insulin Dependent Diabetes Mellitus) zu rechnen. Da Acarbose die postprandialen Blutglukosespiegel senkt, sollte eine gestörte Glukosetoleranz gebessert und der Übergang zum Diabetes verzögert werden.
Der primäre Endpunkt der STOP-NIDDM-Studie war der Übergang von der gestörten Glukosetoleranz zum Diabetes mellitus, jährlich getestet im oralen Glukosetoleranztest (OGTT). Sekundäre Endpunkte waren: Änderung der Glukosetoleranz, der Insulinresistenz, der Insulinsekretion, der Blutdruckwerte, der Lipide und der Anthropometrie. Da die postprandiale Hyperglykämie das kardiovaskuläre Risiko erhöht, wurde als sekundärer Endpunkt das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse (Herzinfarkte, zerebrovaskuläre Insulte und dekompensierte Herzinsuffizienz) mit aufgenommen. Die Studie war doppeltblind und randomisiert, wobei eine Gruppe dreimal 100 mg Acarbose/d und die andere Gruppe Plazebo über mindestens 3 Jahre erhalten sollte. Am Ende folgte eine dreimonatige Auswaschphase. Aufgenommen wurden Frauen und Männer zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr, die eine gestörte Glukosetoleranz (im 75 g OGTT Plasmaglukose ≥ 140 mg/dl und < 200 mg/dl nach 2 Stunden) und eine Nüchtern-Plasmaglukose >100 mg/dl und < 140 mg/dl hatten. Als die Studie entworfen wurde, lag der untere Grenzwert der Nüchtern-Plasmaglukose für die Diagnose Diabetes noch bei 140 mg/dl (jetzt: 126 mg/dl). Durch diese Kriterien wollte man ein Kollektiv erhalten, bei dem eine hohe Übergangsrate zum Diabetes mellitus zu erwarten war (24).
Prävention des Diabetes durch Acarbose (18): Insgesamt wurden 1429 Frauen und Männer mit einem durchschnittlichen Alter von 54,4 Jahren randomisiert, 714 in die Acarbose- und 715 in die Plazebo-Gruppe. Nach Randomisierung wurden 61 Probanden (4,3%) ausgeschlossen (32 der Acarbose-Gruppe und 29 der Plazebo-Gruppe), so daß 682 Probanden der Acarbose-Gruppe, die durchschnittlich 194 mg Acarbose täglich einnahmen, und 686 Probanden der Plazebo-Gruppe ausgewertet wurden. Der Ausschluß wurde damit begründet, daß 17 Patienten gar keine gestörte Glukosetoleranz hatten und für 44 Probanden unzureichende Daten nach der Randomisierung vorlagen. Aus diesem Grund liegt eine modifizierte Intention-to-treat-Population vor. Ferner gab es eine große Anzahl von Studienabbrechern, 211 (30%) in der Acarbose-Gruppe, hauptsächlich wegen intestinaler UAW, und 130 (18%) in der Plazebo-Gruppe. Da es sich um eine Intention-to-treat-Auswertung handelte, wurden die Studienabbrecher in die Auswertung einbezogen, wobei 43 Studienabbrecher nicht nachverfolgt werden konnten. Die Studiendauer betrug durchschnittlich 3,3 Jahre.
In der Acarbose-Gruppe entwickelten 221 der 682 Probanden (32%) einen Diabetes, in der Plazebogruppe 285 von 686 Probanden (42%). Somit reduzierte die Acarbose-Therapie das Risiko, einen Diabetes zu entwickeln, um 25% (10 Prozent-Punkte) in 3,3 Jahren. Dies ist weniger als unter Metformin bei Menschen mit gestörter Glukosetoleranz (Verminderung um 30%; 25). Es wird argumentiert, daß die präventive Wirksamkeit von Acarbose aufgrund der 30% Studienabbrecher unterschätzt wird. Im klinischen Alltag ist jedoch mit mindestens dieser Zahl von Therapieabbrüchen zu rechnen. In der Diskussion, ob Acarbose oder Änderung des Lebensstils wirksamer ist, wird als nachteilig angesehen, daß die Studien zur Wirksamkeit einer Diät oder Steigerung der körperlichen Aktivität nicht verblindet werden können und somit eine Voreingenommenheit besteht. Andererseits war auch die Acarbose-Studie nicht ganz verblindet, da 79% der Patienten und 69% der Ärzte errieten, welche Patienten in der Verum-Gruppe waren.
Das Körpergewicht nahm unter Acarbose im Mittel um 0,5 kg ab, unter Plazebo um 0,3 kg zu. Ferner erreichten in der Acarbose-Gruppe 241 Probanden (35%) wieder eine normale Glukosetoleranz; allerdings auch 212 Probanden (31%) der Plazebo-Gruppe. Interessant ist auch, daß nach der Auswaschphase 47 von 303 Probanden (15,5%) der Acarbose-Gruppe und 21 von 199 Probanden (10,6%) der Plazebo-Gruppe einen Diabetes entwickelten. Dies zeigt, daß die Wirkung von Acarbose nach Absetzen nicht anhält. Bei beabsichtigter Diabetesprävention mit Acarbose dürfen also keine längeren Therapiepausen eintreten.
Das Ergebnis der STOP-NIDDM-Studie zeigt, daß mit Acarbose und der mit der Therapie verbundenen Gewichtsreduktion das Diabetesrisiko zwar verringert werden kann, jedoch bei weitem nicht so effektiv wie durch Änderung der Ernährung und Steigerung der körperlichen Aktivität (25, 26).
Acarbose und Prävention kardiovaskulärer Ereignisse und arterieller Hypertonie: In einer zweiten Publikation der STOP-NIDDM-Studie wurden die Effekte der Acarbose-Therapie auf die Entwicklung kardiovaskulärer Ereignisse und arterieller Hypertonie mitgeteilt (23). In den beiden Probandengruppen waren die kardiovaskulären Risikofaktoren zu Beginn der Studie gleich häufig verteilt. Vor Beginn der Studie hatten bereits 46% eine arterielle Hypertonie. Während der Studie entwickelten 78 von 682 (11%) Probanden der Acarbose-Gruppe neu eine Hypertonie über 140/90 mmHg und 115 von 686 (17%) in der Plazebo-Gruppe. Acarbose senkte also das Risiko, einen Hypertonus zu entwickeln, um 6 Prozentpunkte. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die arterielle Hypertonie nicht preiswerter und nebenwirkungsärmer (Bewegung!) behandelt werden kann und muß.
Insgesamt kam es während der Studie nur bei 47 (3,4%) von 1368 Probanden zu kardiovaskulären Ereignissen, 15 in der Acarbose- und 32 in der Plazebo-Gruppe. Betrachtet man die Ereignisse im Einzelnen, zeigt sich nur für die Verhinderung von Herzinfarkten und für alle Ereignisse zusammen ein signifikanter Effekt, auch nach Korrektur für andere Risikofaktoren. Es fällt auf, daß kardiovaskuläre Ereignisse ausgewertet wurden, die initial nicht als Endpunkte vorgesehen waren (24). Dies sind Angina pectoris, Revaskularisationen, Plötzlicher Herztod und periphere arterielle Verschlußkrankheit. Warum diese neuen Endpunkte, bei denen sich nur ein Trend zugunsten der Acarbose, aber kein signifikanter Unterschied zur Plazebo-Gruppe fand, hinzugenommen wurden, wird nicht erwähnt. In der Diskussion wird darauf eingegangen, daß die Studie nicht für eine Aussage über kardiovaskuläre Ereignisse konzipiert wurde und daß dieses Ergebnis in weiteren Studien bestätigt werden muß. Das ist aber der springende Punkt. Die Daten sind zu unsicher, als daß sie bereits jetzt klinische Konsequenzen nach sich ziehen könnten.
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