Artikel herunterladen

Blasenschwäche: Nutzen Anticholinergika?

Eine Überaktivität der Harnblase kann sich mit starkem Harndrang, häufigem Wasserlassen (> siebenmal/d), Dranginkontinenz und Nykturie äußern. Objektiv ist bei der urodynamischen Messung die Blasenkapazität vermindert, und es fehlt die Unterdrückbarkeit der Detrusorkontraktion. Von einer idiopathischen Blasenüberaktivität spricht man, wenn keine neurologische Erkrankung (z.B. Multiple Sklerose) zu Grunde liegt.

Es gibt Schätzungen, wonach 16% aller Erwachsenen an einer überaktiven Harnblase leiden („Blasenschwäche“). Bei wiederum 30% dieser Menschen liegt eine Dranginkontinenz vor, was die „Lebensqualität“ der Betroffenen erheblich mindert. Anticholinergika blockieren den Parasympathikus und vermindern die Aktivität des Detrusor vesicae. Sie werden seit vielen Jahren als ”Spasmolytika” in der symptomatischen Therapie der überaktiven Harnblase eingesetzt (z.B. Trospiumchlorid = Spasmex, Spasmo-Urgenin, Trospi; Oxybutynin = Dridase u.v.a.; Propiverin = Mictonorm, Tolterodin = Detrusitol u.v.m.). Da diese Substanzen unselektiv wirken, ist mit unerwünschten systemischen Wirkungen zu rechnen (z.B. Mundtrockenheit, Tachykardie, Akkommodationsstörungen, ZNS-Störungen). Als Alternative gibt es ein spezielles Blasen- und Verhaltenstraining, dessen Wirksamkeit als belegt gilt.

Eine aktuelle Metaanalyse aus Neuseeland (Herbison, P., et al.: Brit. Med. J. 2003, 326, 841) geht Nutzen und Gefahren der symptomatischen Pharmakotherapie mit Anticholinergika nach. Es wurden 32 Studien mit insgesamt 6800 Patienten (1529 Männer, 3938 Frauen; in einigen Studien fanden sich keine Angaben zum Geschlecht) identifiziert, deren publizierte Daten ausreichend auszuwerten waren und die die Qualitätskriterien der Cochrane Studiengruppe für randomisierte und plazebokontrollierte Studien erfüllten. In der Mehrzahl der Studien wurde Tolterodin, Oxybutynin und Trospiumchlorid gegen Plazebo getestet. In keiner dieser Studien wurde gegen ein Blasentraining getestet. Die Studiendauer war sehr unterschiedlich (12 Tage bis zu 12 Wochen). 12 von 32 Studien wurden von den Herstellern der getesteten Substanzen bezahlt.

Nur acht der analysierten Studien nahmen die subjektive Besserung der Beschwerden als Endpunkt. Bei 45% kam es mit Plazebo und bei 60% mit Verum zur Besserung der Symptome. Bis auf eine Studie schnitt das Verum besser als Plazebo ab (Relatives Risiko: 1,4). Neun von 32 Studien wählten als Endpunkt die Häufigkeit unwillkürlichen Harnabgangs. Bei allen Studien kam es sowohl mit Verum (-1,6 Episoden/d) als auch mit Plazebo (-1 Episode/d) zu einer Besserung, wobei der Effekt des Verums etwas größer war (Unterschied ca. eine Episode/d). Ähnlich war das Ergebnis bei der Zahl der Miktionen in 24 Stunden (-1,7 vs. -0,9).

12 Studien wählten zystometrische Endpunkte. Die maximale Blasenkapazität nahm in allen Studien durch Verum und Plazebo zu (71 ml vs. 12 ml), ebenso die Blasenfüllung bis zur ersten Detrusorkontraktion (77 ml vs. 23 ml).

Es trat also bei den untersuchten subjektiven und objektiven Parametern sowohl mit Plazebo als auch mit Verum eine Besserung ein, wobei Verum stets etwas besser als Plazebo abschnitt.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) durch die verwendeten Anticholinergika waren häufig, führten aber im Vergleich zu Plazebo nicht wesentlich häufiger zum Studienabbruch (6,5% vs. 6,2%). Ganz überwiegend wurde über Mundtrockenheit berichtet (36,7% vs. 15,1%; Relatives Risiko für Verum: 2,5). Andere UAW wurden nicht erwähnt.

Fazit: Bei überaktiver Harnblase führt allein schon die Gabe von Plazebo innerhalb von Studien zu einer deutlichen Besserung der Symptome. Anticholinergika haben im Vergleich zu Plazebo nur einen mäßig besseren Effekt. Ob dieser Unterschied auch gegenüber einem Blasentrainings-Programm besteht, sollte untersucht werden. Ein Blasentraining hat aber wahrscheinlich deutlich weniger UAW als die systemische Pharmakotherapie mit Anticholinergika.