Zum 1. Januar 2003 sind die neuen ”Richtlinien zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger” in Kraft getreten (sog. ”BUB-Richtlinien” = Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gem. § 135 SGB V). Damit findet die Auseinandersetzung über die Frage, wann die Substitutionsbehandlung Gegenstand einer Kassenleistung ist, ihr vorläufiges Ende.
Die ersten Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur Substitutionsbehandlung waren 1991 in Kraft getreten. Damals wie heute wurde in der Präambel festgehalten, daß oberstes Ziel der Behandlung die Suchtmittelfreiheit ist. Das alleinige Auswechseln des Opiats durch ein Substitutionsmittel wird nicht als geeignete Behandlungsmethode angesehen und wird von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfaßt.
Hatte sich der Bundesausschuß mit seiner Richtlinienkompetenz aber jahrelang auf den Standpunkt gestellt, nur das gleichzeitige Vorhandensein einer anderen schweren Erkrankung neben der Drogenabhängigkeit rechtfertige die Substitution, so wird jetzt anerkannt, daß die Substitution im Rahmen eines ”umfassenden Therapiekonzepts” eine zulässige Methode zur Behandlung der Suchterkrankung selbst ist (i.S.d. § 27 SGB V).
Damit ist die Erkenntnis in die Richtlinien aufgenommen worden, daß der Erfolg einer Substitutionsbehandlung im wesentlichen von der Qualität der Behandlung bestimmt wird (etwa vergleichbar der Psychotherapie). Zur Substitution sind nur noch Ärzte mit der Zusatzqualifikation ”Suchtmedizinische Grundversorgung” zugelassen. Der qualifizierte Arzt kann selbst über die Indikation zur Substitution entscheiden, muß aber zu Beginn der Behandlung für jeden Patienten ein umfassendes, individuelles Therapiekonzept unter Einbeziehung der notwendigen psycho-sozialen Betreuungsmaßnahmen erstellen und dieses im Verlauf kritisch überprüfen und anpassen.
Das bisherige Genehmigungsverfahren fällt weg; die Substitutionen müssen in der Regel nur noch ”angezeigt” werden. Es wird zukünftig die Aufgabe der bei den Kassenärztlichen Vereinigungen angesiedelten Methadon-Kommissionen sein – die paritätisch mit suchtmedizinisch erfahrenen Ärzten und Vertretern der Krankenkassen besetzt sind – stichprobenartig zu überprüfen, ob die in den Richtlinien festgelegten Qualitätsanforderungen eingehalten werden. Mindestens 2% aller „Behandlungsfälle“ pro Quartal und alle länger als fünf Jahre laufenden „Substitutionsfälle“ sollen von der Kommission geprüft werden.
Mit dieser Neuregelung folgt der Bundesausschuß der Bundesärztekammer. Diese hatte im Auftrag des Gesetz- und Verordnungsgebers im März 2002 den ”allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft” in ihren ”Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger” definiert. Neben detaillierten Vorgaben zur Durchführung der Behandlung hatte die Bundesärztekammer erstmals die Drogenabhängigkeit selbst ausdrücklich als Indikation für eine Substitution beschrieben: Eine Indikation zur Substitution könne dann bestehen,
· wenn eine manifeste Opiatabhängigkeit (gem. ICD 10) seit längerer Zeit vorliegt,
· wenn vorangegangene ärztlich geleitete Abstinenzversuche erfolglos waren,
· wenn eine drogenfreie Therapie derzeit nicht durchgeführt werden kann,
· wenn eine Substitution im Vergleich zu anderen Therapiemöglichkeiten die größeren Chancen zur Heilung oder Besserung bietet.
Suchtmittelfreiheit wird auch von der Bundesärztekammer als wünschenswerter Endpunkt einer Behandlung beschrieben, ist aber nicht mehr alleiniges Behandlungsziel. Mögliche Stufen auf dem Weg dorthin werden beschrieben:
· Sicherung des Überlebens
· gesundheitliche und soziale Stabilisierung
· berufliche Rehabilitation und soziale Integration
· Opiatfreiheit
Insgesamt ist dies eine zu begrüßende Entwicklung. Die Substitution ist unter Suchtmedizinern und -fachleuten längst als wirksame Behandlungsmethode anerkannt, wenngleich sie nur in begrenztem Umfang zu einer „Heilung“ führt und häufig nur eine ”Linderung” oder die ”Verhütung einer Verschlimmerung” erreicht wird, wie auch mit der Behandlung anderer chronischer Erkrankungen. Die Entscheidung, ob für den individuellen Patienten eine drogenfreie oder eine substitutionsgestützte Behandlung angezeigt ist, wird nun nicht mehr davon abhängig gemacht, ob beispielsweise eine Hepatitis-C-Infektion besteht, sondern kann unter suchtmedizinischen Gesichtspunkten getroffen werden.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung hatte bereits bei der letzten Änderung der BUB-Richtlinien darauf hingewirkt, daß die restriktive Indikationen-Regelung aufgegeben werden solle. Auf Veranlassung des Bundesministeriums für Gesundheit war ein Passus aufgenommen worden, der eine Substitution auch zur Behandlung der Abhängigkeitserkrankung als solcher ermöglichen sollte. Dieser Passus war jedoch so vage formuliert, daß er in verschiedenen Regionen Deutschlands völlig unterschiedlich ausgelegt und gehandhabt worden war. Im Sommer 2002 hatte das Ministerium auf dem Wege der ”Ersatzvornahme” den Bundesausschuß angewiesen, die BUB-Richtlinien im Sinne einer großzügigeren Indikationsstellung zu ändern. Widerstand gab es besonders von den Krankenkassen, die ein lawinenartiges Anwachsen unqualifizierter Substitutionsbehandlungen befürchteten. Nach einigem Hin und Her, bei dem auch Gerichte bemüht wurden, einigte man sich nun auf die vorliegenden Richtlinien, die das beste tun, was im Sinne der Patienten getan werden kann: die Zugangsschwelle senken, aber die Anforderungen an die Behandlungsqualität steigern.