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Wie gefährlich ist Metamizol?

In den Jahren 1986 und 1987 gab es in Deutschland eine große Diskussion zu diesem Thema. Die sog. Boston-Studie war erschienen (1), an der mehr als 300 Kliniken teilgenommen hatten. Die Datenverarbeitung erfolgte in Boston. Die Hoechst AG war der Sponsor. 221 im Krankenhaus behandelte Patienten mit Agranulozytose wurden mit 1425 Kontroll-Patienten verglichen. In einem ziemlich schwierigen Verfahren errechnete sich insgesamt eine Häufigkeit von 6,2 Agranulozytosen pro 1 Mio. Einwohner/Jahr mit großen lokalen Unterschieden. Bei Einnahme von Metamizol (Novalginu.a.) betrug das Exzeßrisiko (nur) 1,1/Mio./Woche (2). Diese Studie führte dazu, daß Metamizol in Schweden wieder zugelassen wurde. Im März 1974 war es vom Markt genommen worden, weil aus den früheren Erhebungen viel höhere Inzidenzen von UAW berechnet worden waren. In Großbritannien war es daher niemals zugelassen worden und wird bis heute nicht eingesetzt. In anderen Ländern wird es sehr häufig verwandt, speziell im Fernen Osten, Afrika und Lateinamerika. In Deutschland ist es seit Anfang der 90er Jahre rezeptpflichtig, wird aber nach dem Arzneiverordnungs-Report 2001 doch recht häufig eingesetzt (5,6 Mio. Verordnungen, 55 Mio. DM Umsatz).

1999 wurde Metamizol in Schweden wieder aus dem Handel genommen. Begründet wurde dieser Schritt mit Nebenwirkungsmeldungen, die bei der schwedischen Arzneimittelbehörde eingegangen waren. Die Zahlen wurden jetzt veröffentlicht (3).

Schweden verfügt über eine ausgefeilte Arzneimittelstatistik. Mit einem Barcode-System können die Verordnungen gezählt und einzelnen Patienten zugeordnet werden. UAW-Meldungen für ungewöhnliche oder ernsthafte Ereignisse sind zwingend. Jeder einzelne Fall wird sorgfältig analysiert und nach vorher festgelegten Kriterien in die Gruppen: Zusammenhang wahrscheinlich oder nicht auszuschließen, unwahrscheinlich oder auszuschließen eingeteilt. Die Fälle der ersten beiden Gruppen werden gezählt. Auch die Anamnesen der Patienten werden berücksichtigt, um Risikofaktoren erkennen zu können.

Zwischen 1966 und 1974, dem Jahr der ersten Rücknahme vom Markt, waren 50 Patienten mit ernstzunehmenden UAW von Metamizol auf das Blutbild registriert worden. In den darauffolgenden 15 Jahren ohne Zulassung wurden zwei Patienten mit Agranulozytose gesehen; beide hatten das Medikament im Ausland gekauft. Von 1995 bis 1999 wurden 14 Fälle gesehen. Die Letalität war insgesamt 23%. Die Sterbefälle beschränkten sich allerdings auf den Zeitraum bis 1994. Die Patienten mit der UAW waren zuvor ziemlich lange behandelt worden, nämlich im Mittel 14 Tage. Insgesamt zeigte sich, daß die Inzidenz mit der Dauer der Therapie zunahm. Neutropenie wurde bei 8% der Patienten beobachtet, Agranulozytose bei 79% und der Befall von zwei oder sogar drei hämatopoetischen Zellreihen bei 14%.

Bei 36% der Patienten gab es Risikofaktoren, wie z.B. gleichzeitige Einnahme mit anderen potentiell gefährlichen Substanzen, frühere Allergien oder auch familiäre Häufung von Allergien.

Bei insgesamt 10892 Verordnungen von 1995 bis 1999 konnte auf diese Weise errechnet werden, daß es auf 1439 Verordnungen einen Fall von bedrohlichen Blutbildveränderungen gab (Konfidenzintervall: 850-4684).

Patienten, die Metamizol im Krankenhaus erhielten, wurden nicht erfaßt. Dadurch wäre die Inzidenz der UAW möglicherweise noch gestiegen. In der Boston-Studie andererseits wurden nur im Krankenhaus behandelte Patienten mit Agranulozytose erfaßt, also nicht die, die vorher an einer UAW von Metamizol gestorben oder wegen einer UAW nicht eingewiesen worden waren. Dadurch allein ist die Nebenwirkungsrate hier wahrscheinlich eher zu niedrig gemessen worden; andererseits mag sie in Schweden besonders hoch gewesen sein, weil es dort 20 Jahre kein Metamizol gegeben hatte oder weil die Schweden genetisch zu besonderer Empfindlichkeit prädisponiert sind. Auch die Definition der „Fälle“ wich in beiden Studien voneinander ab. In der Boston-Studie wurden nur symptomatische Patienten gezählt, d.h. solche, die Fieber wegen Agranulozytose bekommen hatten, nicht solche, die wegen Fieber Metamizol eingenommen hatten und dann möglicherweise eine Leukopenie entwickelten, die aber ohne Symptome blieb.

Fazit: Bei einer unabhängigen pharmakoepidemiologischen Untersuchung in Schweden hat sich dort ein höheres Risiko gefunden, eine bedrohliche Störung des weißen Blutbilds nach der Einnahme von Metamizol zu entwickeln als zur Zeit angenommen wird (1 pro 1439 Verordnungen). Nach der sog. Boston-Studie aus dem Jahre 1986 war ein Exzeßrisiko von 1,1/1 Mio. Anwender pro Woche abgeleitet worden. In Schweden ist Metamizol im Jahre 1999 wieder aus dem Handel genommen worden. Auch in Deutschland sollte es sehr restriktiv verwendet werden, z.B. im Rahmen der Schmerztherapie bei Tumorpatienten.

Literatur

  1. The International Agranulocytosis and Aplastic Anemia Study: JAMA 1986, 256, 1749.
  2. AMB 1987, 21, 5.
  3. Hedenmalm, K., und Spigset, O.: Eur. J. Clin. Pharmacol. 2002, 58, 265.