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Einführung in die Arzneimittelverbrauchsforschung

Im Februar 2004 ist vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) die deutsche Übersetzung der Publikation „Introduction to Drug Utilization Research” der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht worden (1). Im Vorwort betonen J. Klauber und H. Schröder vom WIdO, daß diese Einführung in die Arzneimittelverbrauchsforschung zeigen soll, wie die in Deutschland verfügbaren Daten im Arzneimittelbereich sinnvoll zur Herstellung von Transparenz genutzt werden können. Darüber hinaus soll das Thema Arzneimittelverbrauchsforschung mit seinen methodischen Grundlagen einem breiteren Publikum vermittelt werden. Die Arzneimittelverbrauchsforschung hat in den letzten 20 Jahren in Deutschland große Fortschritte gemacht, und Deutschland zählt heute in Europa zu den Ländern, die über die größte Transparenz im Arzneimittelmarkt verfügen. Als einen Meilenstein benennen J. Klauber und H. Schröder den im Jahre 1980 begonnenen Arzneimittelindex der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im WIdO, der von den Spitzenverbänden der GKV, der Ärzte- und der Apothekerschaft finanziert wird und das Ziel verfolgt, zu einer „Verbesserung der Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt zur Sicherstellung einer therapie- und bedarfsgerechten sowie wirtschaftlichen Arzneiversorgung beizutragen”. Ein weiterer Meilenstein ist der seit 1985 erscheinende Arzneiverordnungs-Report unter der Herausgeberschaft von U. Schwabe und D. Paffrath, in dem jährlich auf inzwischen mehr als 1000 Seiten der deutsche Arzneimittelmarkt beschrieben wird, und der Informationen über die 3000 verordnungsstärksten Arzneimittel, die vom GKV-Arzneimittelindex zur Verfügung gestellt werden, enthält (s.a. 2, 3). Der Arzneiverordnungs-Report enthält auch regelmäßig ausführliche Analysen des Arzneimittelmarktes in Deutschland sowie der Arzneimittelverordnungen nach Alter, Geschlecht und Arztgruppen (4).

Die Arzneimittelverbrauchsforschung wurde 1977 von der WHO definiert als Forschung zu „Vermarktung, Vertrieb, Verordnung und Anwendung von Arzneimitteln in einer Gesellschaft, mit besonderer Berücksichtigung der medizinischen, sozialen und ökonomischen Folgen”. Hauptziel der Arzneimittelverbrauchsforschung ist es, eine sinnvolle Arzneimittelanwendung zu fördern und dadurch eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung bei begrenzten finanziellen Ressourcen sicherzustellen. Die Arzneimittelverbrauchsforschung liefert nicht unbedingt selbst Antworten, sie trägt jedoch unverzichtbar zu einer sinnvollen Anwendung von Arzneimitteln bei. Um bewerten zu können, ob Arzneimittel sinnvoll eingesetzt werden oder nicht, benötigt man Methoden, mit deren Hilfe man die Behandlung mit Arzneimitteln auf ihren therapeutischen Nutzen hin überprüfen kann. Eine wichtige Voraussetzung für detaillierte Vergleiche der Arzneimittelverbrauchsdaten aus verschiedenen Ländern war die Entwicklung einer rechnerischen Maßeinheit, der definierten Tagesdosis (DDD). Hierunter versteht man die angenommene mittlere tägliche Erhaltungsdosis für die Hauptindikation eines Arzneimittels bei Erwachsenen, die möglichst in DDD pro 1000 Einwohner und Tag angegeben werden sollte. Neben der Definition der DDD war die Einführung eines einheitlichen anatomisch-therapeutisch-chemischen (ATC) Klassifikationssystems ein weiterer Schritt, der aussagekräftige Vergleiche des Arzneimittelverbrauchs in verschiedenen Ländern ermöglichte (s.a. 5). Im ATC-Klassifikationssystem werden Arzneimittel entsprechend dem Organ oder dem Organsystem, auf das sie einwirken, und nach ihren chemischen, pharmakologischen und therapeutischen Eigenschaften in verschiedene Gruppen eingeteilt. Selbstverständlich sind sowohl die Maßeinheit DDD als auch der ATC-Code als ein dynamisches System aufzufassen, das ständigen Änderungen unterliegt und deshalb regelmäßig aktualisiert werden muß.

Die von der WHO vorgelegte Broschüre enthält 6 Kapitel, die sich mit Zielen und Daten zur Förderung eines sinnvollen Arzneimittelverbrauchs beschäftigen, ökonomische Aspekte des Arzneimittelverbrauchs beleuchten und derzeit verwendete Arzneimittelklassifikationssysteme sowie Maßzahlen des Arzneimittelverbrauchs und ihre Anwendung diskutieren. Die Kapitel 2 bis 6 enthalten insgesamt 13 interessante, für den klinischen Einsatz von Arzneimitteln relevante Übungen bzw. Fragen, deren Lösungen in einem eigenen Kapitel ausführlich erläutert werden. Der Leser ist dadurch in der Lage, seinen eigenen Wissenszuwachs auf dem Gebiet der Arzneimittelverbrauchsforschung zu überprüfen und Lösungen, z.B. Vergleich von Antihypertonika oder von Celecoxib und Diclofenac, an praktischen Beispielen zu erarbeiten. Im ersten Kapitel dieser Broschüre wird am Beispiel des Arzneimittelverbrauchs in Estland verdeutlicht, wie die Arzneimittelverbrauchsforschung auf die Entwicklungen in der Arzneimittelpolitik unmittelbar Einfluß nehmen kann. Estland benötigte nach Erlangung der Unabhängigkeit Strategien für die Arzneimittelpolitik, und es wurden deshalb Studien zum Arzneimittelverbrauch durchgeführt. Hierzu wurde ein eigenes Arzneimittelklassifikationssystem für Estland entwickelt und zwischen 1992 und 1994 ein auf diesem Klassifikationssystem basierendes Berichtssystem über die Umsätze des Großhandels eingeführt, überprüft und validiert. Die jährlich überprüften Daten zum Arzneimittelverbrauch wurden u.a. von der Arzneimittel-Aufsichtsbehörde für die Einleitung von Schulungsmaßnahmen oder Beschränkungen bei bestimmten Arzneimitteln (z.B. Beendigung des Imports und Verbrauchs bestimmter gefährlicher Produkte wie Phenacetin, älterer Sulfonamide und Pyrazolone) genutzt. Bei der Planung der Kostenerstattungsregelungen wurde das Gesamtvolumen des Arzneimittelverbrauchs in DDD sorgfältig überwacht, das in den 1990er Jahren weniger als ein Drittel des Verbrauchs in den skandinavischen Ländern betrug. Ein wichtiger Grund hierfür war eine Unterdosierung bei bestimmten chronischen Erkrankungen (z.B. Bluthochdruck und Schizophrenie), so daß in der Folge die Verfügbarkeit und der Verbrauch von Arzneimitteln zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen und Psychosen gefördert wurde.

Natürlich machen Arzneimittelverbrauchsdaten nur einen Teil der Hintergrundinformationen aus, die bei Entscheidungen über Therapierichtlinien eine Rolle spielen. Da sie Fehlentwicklungen auf dem Arzneimittelmarkt frühzeitig erkennen, sind sie jedoch für unabhängige Informationsblätter wie den ARZNEIMITTELBRIEF und offizielle Gremien wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft unverzichtbar, um einen rationalen und kostenbewußten Arzneimittelverbrauch zu fördern. Die Arzneimittelverbrauchsforschung setzt eine enge Zusammenarbeit von verordnenden Ärzten, klinischen Pharmakologen, Apothekern und Epidemiologen voraus. Es bleibt zu hoffen, daß Deutschland nicht nur auf dem Gebiet der Arzneimittelverbrauchsforschung, sondern auch bei der Umsetzung der Arzneimittelverbrauchsdaten in eine effiziente und ökonomisch sinnvolle Verordnung von Arzneimitteln bald eine führende Rolle in Europa einnimmt.

Fazit: Die „Einführung in die Arzneimittelverbrauchsforschung” ist eine sehr informative Broschüre, die in komprimierter Form wichtige Aspekte der Arzneimittelverbrauchsforschung beleuchtet und allen Ärzten, die Arzneimittel verordnen, zur Lektüre empfohlen werden kann.

Literatur

  1. Einführung in die Arzneimittelverbrauchsforschung. KomPart Verlagsgesellschaft, Bonn/Bad Homburg, 2004 (ISBN 3-922093-34-5).
  2. AMB 2003, 37,1.
  3. AMB 2004, 38,1.
  4. Schwabe, U., und Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2003. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.
  5. AMB 1994, 28, 23.