Lumiracoxib (LU; in Deutschland noch nicht auf dem Markt) soll der Zyklooxygenase-2(COX-2)-Hemmer mit der größten Selektivität hinsichtlich Aktivität gegen COX-2:COX-1 sein (1, 2). In einer von Novartis gesponserten und mitverfaßten Riesenstudie, die kürzlich im Lancet in zwei Teilen veröffentlicht wurde, wurde LU in einer einmal gegebenen Tagesdosis von 400 mg (angeblich das zwei- bis vierfache der empfohlenen Dosis bei Arthroseschmerz) mit zweimal 500 mg Naproxen (NA) und dreimal 800 mg Ibuprofen (IBU) pro Tag hinsichtlich gastrointestinaler (2) und kardiovaskulärer (3) Komplikationen verglichen. 9156 Patienten (Alter > 50 Jahre) mit Arthrosen von Hüften, Knien oder Händen („Osteoarthritis”) sollten LU nehmen, 4754 NA und 4415 IBU. Die multizentrische randomisierte Studie lief über 52 Wochen. Primärer gastrointestinaler Endpunkt waren definitive oder wahrscheinliche Ulkuskomplikationen (Blutung, Perforation, Magen-/Duodenal-Obstruktion). Sekundärer Endpunkt waren unkomplizierte Ulzera und Anämie durch Blutung (2). Die kardiovaskulären Endpunkte werden weiter unten mitgeteilt. Patienten mit erheblichem Risiko für obere gastrointestinale Ulzera oder Blutungen, solche mit KHK-Anamnese oder erheblichem KHK-Risiko sowie antikoagulierte Patienten wurden nicht eingeschlossen. Die Einnahme niedrig dosierter Azetylsalizylsäure (ASS; 24% der Patienten), nicht aber von anderen Plättchenhemmern, war erlaubt. Eine Subpopulation, die ASS seit mindestens drei Monaten vor Studienbeginn einnahm, durfte ein gewisses KHK-Risiko haben und wurde getrennt evaluiert.
Nach Randomisierung nahmen 0,44% der Patienten nicht an der Studie teil, 39% beendeten sie nicht, wobei der Abbruch wegen UAW unter LU 15%, unter NA und IBU jeweils 18% betrug. Bei Patienten, die keine ASS einnahmen, war die kumulative Einjahresrate gastrointestinaler Ulkuskomplikationen bei Einnahme von NA oder IBU insgesamt 1,09% gegenüber 0,25% mit LU (RR: 0,21; CI: 0,12-0,37; p < 0,0001 zugunsten von LU). Bei gleichzeitiger ASS-Einnahme war der Unterschied zwischen NA und IBU einerseits und LU andererseits nicht mehr signifikant (RR: 0,79; CI: 0,4-1,55; p = 0,4876). Merkwürdigerweise nahm bei Kombination von LU mit ASS die gastrointestinale Komplikationsrate deutlich zu, nicht aber bei Kombination der beiden anderen NSAID mit ASS. Große Unterschiede zwischen NA und IBU hinsichtlich gastrointestinaler Komplikationen waren, obwohl nicht statistisch ausgewertet, nicht erkennbar.
Kardiovaskuläre Endpunkte waren Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris, Schlaganfälle, transitorische ischämische Attacken und thromboembolische Ereignisse (3). Vermutlich wegen des designbedingten niedrigen Risikoprofils der im Durchschnitt 63 Jahre alten Patienten war die Zahl der erreichten kardiovaskulären Endpunkte bemerkenswert klein: 59 Ereignisse unter LU (0,65%) und 50 (0,55%) unter NA und IBU zusammen. Im Vergleich mit NA (das ähnlich wie ASS einen gewissen kardioprotektiven Effekt haben könnte) waren Herzinfarkte unter Behandlung mit LU etwas häufiger (RR: 1,77). Bei ASS-Patienten war das RR sogar 2,37. Wegen der geringen Zahl der eingetretenen Endpunkte erreichten diese Unterschiede aber keine Signifikanz (p > 0,1). Herzinsuffizienz trat etwas seltener unter LU als unter NA und IBU auf (alle < 0,5%), und der Blutdruck, der bei jeder Visite gemessen wurde, stieg weniger an als unter den beiden NSAID.
LU ist offenbar hepatotoxischer als NA und IBU: Unter LU stiegen bei 2,57% der Patienten die Transaminasen über das Dreifache der oberen Normgrenze an, unter NA bzw. IBU nur bei 0,63%. Sechs von neun durch Medikamente induzierte Hepatitiden waren durch LU verursacht.
Insgesamt ziehen die Autoren der beiden Arbeiten eine für LU sehr positive Bilanz beim Vergleich der Risikoprofile. Mit diesem günstigen Urteil geht ein Editorial in der gleichen Nummer des Lancet hart ins Gericht (1). Die beiden Autoren bemängeln, daß Patienten mit Zustand nach Herzinfarkt, Interventionen an den Koronarien, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall wahrscheinlich aus gutem Grund nicht eingeschlossen wurden. Daher die auffällig niedrige Rate kardiovaskulärer Komplikationen und die fehlende Signifikanz der höheren Infarktrate unter LU, speziell wenn keine ASS gleichzeitig eingenommen wurde. Wird aber ASS eingenommen, dann verschwindet die Überlegenheit von LU bezüglich der gastrointestinalen Komplikationen. Ein Patient mit Atherosklerose hat also keinen Vorteil von der Therapie mit LU. Es wird aber auch auf die deutlich höhere Hepatotoxizität hingewiesen, zumindest in der gewählten Studien-Dosierung, die im oberen therapeutischen Bereich liegt. Der markanteste Satz des Editorials lautet: „Man kann sich schwer vorstellen, wodurch die außerordentlich gute Annahme der Coxibe gerechtfertigt ist angesichts der marginalen Effektivität, der höheren Risiken und exzessiven Kosten im Vergleich mit den traditionellen NSAID”. Diesen Satz hat der Lancet als Wochenspruch auf die Umschlagseite seiner Nummer 9435 gesetzt. Wir schließen uns dem Staunen und der Verwunderung des Lancet über seine eigene Veröffentlichung an.
Fazit: Die vorgestellte TARGET-Studie zu Lumiracoxib enthält – auch angesichts der großen Preisunterschiede im Vergleich mit älteren NSAID – keine Botschaften, die uns veranlassen, von früher gegebenen Empfehlungen abzuweichen: Verordnung von Coxiben bei strenger Indikation nur an ältere Patienten mit erhöhtem Risiko für gastrointestinale UAW (4). Auf gastrointestinale, hepatische und kardiale UAW ist zu achten (4-7). Es ist außerdem empfehlenswert, NSAID und Coxibe nicht ohne Behandlungspausen einzunehmen.
Literatur
- Topol, E.J., und Falk, G.W.: Lancet 2004, 364, 639.
- Schnitzer, T.J., et al. (TARGET = Therapeutic Arthritis Research and Gastrointestinal Event Trial): Lancet 2004, 364, 665.
- Farkouh, M.E., et al. (TARGET = Therapeutic Arthritis Research and Gastrointestinal Event Trial): Lancet 2004, 364, 675.
- AMB 2000, 34, 73.
- AMB 2001, 35, 38.
- AMB 2002, 36, 41.
- AMB 2003, 37,1.