Die Alzheimer-Krankheit wird häufiger in der älter werdenden Bevölkerung. Die Suche und Evaluation neuer wirksamer Therapieansätze ist deshalb klinisch und gesundheitspolitisch wichtig. Die Beobachtung, daß bei M. Alzheimer typische Amyloidablagerungen eine frühe Zerstörung zentraler cholinerger Neurone verursachen, führte zur therapeutischen Erprobung spezifischer Cholinesterasehemmer. Die bisher mit den Substanzen Donepezil (Aricept®), Rivastigmin (Exelon®) und Galanatamin durchgeführten industriegesponserten Interventionsstudien von kürzerer Dauer (3-12 Monate) zeigten eine moderate Besserung von Kognition und Alltagskompetenz. International ist die Therapie v.a. mit Donepezil etabliert; die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfehlen Donepezil als Mittel erster Wahl zur Therapie des M. Alzheimer. Vielfach wurden aber auch die Mängel der bisher vorliegenden Studien, insbesondere der Umgang mit „Drop-outs” und die Patientenselektion, kritisiert und die klinische und langzeitige Relevanz der Effekte in Frage gestellt. So betrug der Zuwachs an Kognition zumeist < 5% auf den jeweils gewählten Skalen. Von großer Bedeutung sind daher die kürzlich im Lancet publizierten Ergebnisse einer unabhängigen, vom National Health Service in England in Auftrag gegebenen, randomisierten Doppeltblind-Studie zur Langzeitwirkung von Donepezil bei M. Alzheimer (1).
Eingeschlossen wurden 566 Patienten (Durchschnittsalter 75 Jahre) mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz (DSM-IV-Kriterien), die einer Memory-Klinik zugewiesen wurden und bisher nicht heimbedürftig waren. Zunächst erfolgte eine zwölfwöchige „Run-in-Phase”, in der die Patienten randomisiert doppeltblind 5 mg/d Donepezil oder Plazebo erhielten. Danach wurden 486 verbleibende Patienten erneut randomisiert und einer Behandlungsphase von 48 Wochen Donepezil (5 mg/d oder 10 mg/d; n = 242) oder Plazebo (n = 244) zugeordnet, gefolgt von einer sechswöchigen Auswaschphase. Danach konnte die Studienmedikation über weitere drei jeweils 52-wöchige Behandlungsphasen fortgeführt werden, wenn Patient/Betreuer und Behandler dies für sinnvoll hielten. Primäre Endpunkte waren die Zahl an Pflegeheimeinweisungen und das Fortschreiten krankheitsbedingter funktioneller Einschränkungen (Bristol Activities of Daily Living Scale, BADLS). Sekundäre Endpunkte waren u.a. die kognitive Funktion, gemessen mittels Mini-Mental State (MMSE), die neuropsychiatrische Evaluation (Neuropsychiatric Inventory, NPI) und die von der Studienmedikation unabhängigen Kosten.
Die Ergebnisse der Studie konnten keinen direkten und klinisch relevanten Nutzen der Donepezil-Medikation belegen. Unter Donepezil mußten 9% im ersten Jahr und 42% der Gruppenteilnehmer nach drei Jahren in ein Pflegeheim verlegt werden, unter Plazebo 14% und 44% (Jahr 3: p = 0,4). Das Relative Risiko für eine Unterbringung in einem Pflegeheim in den ersten drei Jahren war mit 0,97 (95%-CI: 0,72-1,30) für Patienten unter Donepezil nicht signifikant geringer als für Patienten unter Plazebo. Entsprechend erlitten in den Gruppen vergleichbar 53% bzw. 55% in den ersten drei Jahren ein Fortschreiten der funktionellen Einschränkung im Alltag (RR 1,02; 95%-CI: 0,72-1,45; p = 0,9). Der mittlere BADLS-Score war in den ersten 12 Wochen etwa gleich in beiden Gruppen, danach aber statistisch signifikant um etwa einen Scorepunkt höher unter Donepezil. Der MMSE war in den ersten zwei Studienjahren statistisch signifikant, absolut aber nur leicht höher unter Donepezil. Hierbei zeigte sich in den ersten Wochen eine Verbesserung im MMSE für die Patienten mit Donepezil, danach aber eine zur Plazebo-Gruppe parallele Verschlechterung über die Zeit. Die Verbesserung der Kognition war etwas deutlicher in der Subgruppe mit 10 mg/d Donepezil (n = 117) gegenüber der Subgruppe mit 5 mg/d (n = 125). Kein signifikanter Unterschied fand sich im gesamten Studienzeitraum zwischen den Gruppen in Hinblick auf psychische Symptome, den neuropsychiatrischen Status und Verhaltensweisen sowie in der Letalität (63 Todesfälle unter Donepezil, 50 unter Plazebo). Die jährlichen Gesundheitskosten ohne die Kosten für die Studienmedikation betrugen 2842 Pfund pro Patient in der Donepezil- und 2344 Pfund in der Plazebo-Gruppe, bedingt durch häufigere Krankenhausbehandlung unter dem Verum.
Die Gründe für Studienabbrüche werden ausführlich beschrieben und analysiert. So beendeten in den ersten 12 Wochen 36 Patienten unter Donepezil und 20 Patienten unter Plazebo aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) die Studie (p = 0,02). In den folgenden 48 Wochen beendeten noch 18 von 242 Patienten unter Donepezil (7%) und 8 von 244 unter Plazebo (3%) die Einnahme der Medikation aufgrund UAW. Die kognitive Funktion bei den „Drop-outs” nach 60 Wochen war im Vergleich zur verbleibenden Studiengruppe signifikant schlechter als bei den in der Studie verbleibenden Patienten, und die Autoren konnten somit einen wichtigen Bias für mögliche falsch positive Studienergebnisse herausstellen. Insgesamt war die Abbruchrate wie bei den meisten Alzheimer-Studien aufgrund der hohen Komorbidität hoch. Durch eine geringer als erwartete Patientenrekrutierung wurde die ursprünglich angestrebte Teilnehmerzahl nicht erreicht, und nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Patienten nahm schließlich an den Drei-Jahres Auswertungen noch teil (n = 45 vs. 50). Interessanterweise war der Langzeit-Behandlungseffekt auf die kognitive Funktion nicht bei der Patientengruppe größer, die in den ersten 12 Wochen am deutlichsten reagierte. Vielmehr hatten die 43 Patienten mit einer initial guten Wirkung auf Donepezil danach einen deutlichen Wirkungsabfall. Die Autoren interpretieren dieses Phämomen als Ausdruck der Test-Retest-Variabilität („Regression to the mean”) und betonen, daß dies auch die Problematik von Studien kürzerer Laufzeit unterstreiche und impliziere, daß das kurzfristige Ansprechen klinisch nicht verwertbar sei.
In der sehr ausführlichen Diskussion folgern die Autoren, daß sich nach der AD2000-Studie (1) somit kein ausreichender Nutzen und keine positive Kosten-Nutzen Relation für Donepezil in der Therapie des M. Alzheimer finden läßt. Anhand des Vergleichs mit vorliegenden Studien wird berechnet, daß die geringe Verbesserung der kognitiven Funktion klinisch nicht relevant ist. Sie weisen die Schlußfolgerung der Industrie zurück, daß eine, wenn auch moderate, Verbesserung der Kognition zu selteneren späteren Heimeinweisungen und Funktionseinbußen führe. Vielmehr betonen sie die Notwendigkeit längerfristiger Studienbeobachtungen und genauer Analysen der „Drop-outs”, um die Wirksamkeit von Prüfmedikamenten bei Alzheimer-Demenz nicht zu überschätzen. Schließlich wird von den Autoren vorsichtig formuliert, daß die hohen Behandlungskosten der Cholinesterase-hemmenden Substanzen vermutlich besser in nicht-medikamentöse Leistungen investiert wären.
In einem begleitenden Editorial von L. Schneider aus Los Angeles, USA (2), werden diese Aussagen im Wesentlichen gestützt. Insbesondere wird nochmals hervorgehoben, daß in dieser Studie eine nur geringe Patientenselektion wegen weniger Ausschlußkriterien vorlag. Demgegenüber würden in den industriegesponserten Studien oft mehr als 90% der betroffenen Alzheimer-Patienten ausgeschlossen. Damit reflektiere die Studienpopulation von AD2000 besser den typischen Alzheimer-Patienten. Allerdings betont der Kommentator auch, daß die Studie aufgrund der nicht erreichten Patientenzahl keine ausreichende statistische „Power” in Bezug auf die Hauptendpunkte erreichte. In diesem Zusammenhang weist er andererseits darauf hin, daß die (nicht signifikant) höhere Sterberate unter Donepezil in einer größeren Studie möglicherweise signifikant wäre. Die Ergebnisse der AD2000-Studie führen zu stark kontroversen Diskussionen über den Nutzen von Cholinesterasehemmern bei Alzheimer-Demenz. Sie zeigen aber erneut auf, wie wichtig die Durchführung industrieunabhängiger Studien für die sorgfältige Einschätzung des Nutzens eines neuen Medikamentes ist.
Fazit: Das Ergebnis einer vom National Health Service finanzierten Studie stellt den Nutzen von Cholinesterasehemmern bei Demenzkranken in Frage. Mit Donepezil wurde zwar eine leichte, kurzfristige Besserung der Kognition erzielt, doch konnte weder die Zahl an Pflegeheimeinweisungen verringert noch das Fortschreiten der Funktionseinschränkung verhindert werden. Die Therapie mit Donepezil ist daher weitgehend unwirksam und daher unwirtschaftlich.
Literatur
- Courtney, C., et al. (AD2000 Collaborative Group): Lancet 2004, 363, 2105.
- Schneider, L.N: Lancet 2004, 363, 2100.