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Kinderimpfung gegen Varizellen – aktueller Stand

Zusammenfassung: Deutschland ist im vergangenen Jahr durch eine entsprechende Empfehlung der ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) der Auffassung der Weltgesundheitsorganisation gefolgt, allen Ländern, die sich das leisten können, eine Kinderimpfung gegen Varizellen anzuraten (1, 2). In den USA werden bereits seit 1995 alle Kinder gegen Varizellen geimpft (3). Eine aktuelle epidemiologische Studie der amerikanischen Gesundheitsbehörde zur Letalität durch Varizellen vor und nach Einführung der generellen Kinderimpfung gegen Varizellen in den USA hat gezeigt, dass diese Impfung die Letalität senkt (4). Die Studie könnte helfen, die Skepsis vieler Kinderärzte in Deutschland gegen die Varizellenimpfung abzubauen und die Empfehlung der STIKO zu akzeptieren.

Zur Varizellen-Erkrankung: Windpocken sind eine üblicherweise im Kindesalter auftretende und in der Regel harmlos verlaufende Viruserkrankung. In manchen Fällen kommt es jedoch zu Komplikationen, die eine Behandlung im Krankenhaus erfordern. So wurden in den USA vor Einführung der Impfung ca. 12 000 Patienten pro Jahr wegen Varizellen hospitalisiert (5). Die Sterblichkeit an Varizellen wird laut Todesursachenstatistik in Deutschland, wo es bis 2004 keine generelle Empfehlung zur Varizellenimpfung bei Kindern gab, zwischen 1998 und 2002 mit jährlich durchschnittlich sechs Personen angegeben. In den USA starben in den Jahren vor der Einführung der Impfung (1970-1994) zwischen 47 und 138 Menschen/Jahr unmittelbar an den Folgen der Varizellen, meist Kinder unter einem Jahr (6).

Rationale Grundlage zur generellen Kinderimpfung gegen Varizellen: Da die Zahl der Krankenhausbehandlungen und der Todesfälle insgesamt niedrig ist, konnten erste statistische Untersuchungen nach Einführung der generellen Kinderimpfung gegen Varizellen in den USA keinen signifikanten Rückgang dieser Parameter finden (7, 8, 9). In einer weiteren Studie in drei Gemeinden mit aktiver Krankheitsüberwachung im Zeitraum 1995-2000 ergab sich zwar eine Korrelation des Rückgangs der Erkrankungen mit der Impfung, jedoch kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Krankenhausbehandlungen wegen Varizellen (10).

Diese Studien waren wegen der kleinen Fallzahlen nicht in der Lage, geringe Unterschiede hinsichtlich der Krankenhausbehandlungen statistisch zu sichern (7, 10). In anderen Studien wurden die Fallzahlen durch Zusammenlegen mehrerer Jahre erhöht, allerdings mit dem Nachteil, dass Veränderungen von Jahr zu Jahr nicht analysiert werden konnten (8, 9). Nationale Auswertungen über einen mittlerweile längeren Beobachtungszeitraum konnten nun statistisch signifikante Unterschiede sowohl hinsichtlich der Zahl der Krankenhausbehandlungen (11) als auch hinsichtlich der Letalität (4) nachweisen.

Rückgang der durch Varizellen bedingten Krankenhausbehandlungen nach Einführung der generellen Kinderimpfung gegen Varizellen in den USA: Die Studie basiert auf Daten, die zwischen 1993 und 2001 im Rahmen eines USA-weiten Programms (12) erhoben wurden. Die Auswertung beinhaltet drei Jahre bevor die Impfung generell in den USA eingeführt wurde. In die Studie gingen Daten von 6,4-7,5 Mio. Krankenhausaufenthalten/Jahr ein; dies entspricht ca. einem Fünftel aller Krankenhausaufenthalte in den USA. Die Studie zeigt, dass die durch Varizellen bedingten Krankenhausbehandlungen, die in den Jahren 1993-1995 bei > 0,5 pro 10 000 Einwohnern lag, auf 0,26 im Jahr 1999 und auf 0,13 im Jahr 2001 zurückgegangen ist (11). Der Rückgang war in allen Altersgruppen signifikant. Der stärkste Rückgang der Krankenhausbehandlungen zeigte sich bei den 0-4 jährigen Kindern. Gegen Ende des Beobachtungszeitraums kehrte sich die Altersverteilung bei den Krankenhausbehandlungen jedoch um. Während im Jahr 1993 insgesamt 41,3% der wegen Varizellen hospitalisierten Patienten zwischen 0-4 Jahre alt waren (und nur 32,6% 20 Jahre oder älter), ging die Zahl im Jahr 2001 auf 27,8% zurück, stieg aber in der Altersgruppe 20 Jahre und älter auf 46,1% an (11). Die bekannten Komplikationen einer schweren Varizellenerkrankung, z.B. Varizellen-Pneumonitis, Enzephalitis und Fasziitis, sind hingegen unverändert geblieben (11).

Rückgang der durch Varizellen bedingten Letalität nach Einführung der generellen Kinderimpfung gegen Varizellen in den USA: In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden die durch Varizellen bedingten Todesfälle in den USA vor und nach Einführung der generellen Varizellenimpfung untersucht (4). In den Jahren 1990-1994 wurden im Mittel 105 Varizellen-bedingte Todesfälle/Jahr registriert. Hinzu kamen noch 40 Todesfälle/Jahr, bei denen die Varizelleninfektion zum letalen Verlauf einer anderen Erkrankung beigetragen hat. Die Mortalität von Varizelleninfektionen in den USA vor Einführung der Impfung lag bei 0,41 pro einer Mio. Einwohner (1990-1994). In den Jahren 1999-2001 wurde eine Mortalität von 0,14/Million Einwohner registriert; dies entspricht einem Rückgang von 66% (p < 0,001). Der Rückgang war in allen Altersgruppen bis 50 Jahre signifikant. Die größte Reduktion der Mortalität fand sich in der Altersgruppe 0-4 Jahre (92%; 4).

Noch bestehende Fragen: Eine mögliche Gefahr könnte darin bestehen, dass die Abnahme des Impfschutzes im Alter zu einer Verschiebung der Infektion in eine höhere Altersgruppe führt, bei der die Infektion in der Regel schwerer verläuft. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass der Impfschutz mit der Zeit abnimmt, und Infektionen bei geimpften Kindern („Breakthrough varicella”) werden in den USA zunehmend beobachtet (5). Allerdings verlaufen diese Infektionen wesentlich milder und mit weniger Hautläsionen. Eine Übertragung auf empfängliche Personen ist grundsätzlich möglich, jedoch extrem selten (5).

Hinsichtlich der späten Manifestation dieser Infektion, dem Herpes zoster (Gürtelrose), gibt es zurzeit unter den Experten Uneinigkeit darüber, ob sich die Impfung günstig oder ungünstig auswirkt. Einige Wissenschaftler nehmen an, dass die Varizellenviren bei der Erstinfektion nicht primär über das Blut die Ganglien erreichen, sondern über die Hautläsionen entlang sensorischer Nerven. Dies könnte bedeuten, dass bei Geimpften, die relativ selten Hautläsionen entwickeln (5-7%), Zostererkrankungen im höheren Alter seltener auftreten. Andere Experten sind der Meinung, dass durch wiederholten Kontakt mit dem Virus bei weiter Verbreitung der Infektion in der Bevölkerung das Immunsystem häufiger stimuliert wird und dadurch ein Schutz vor Herpes zoster resultiert. Herpes-zoster-Erkrankungen könnten dann zunehmen, wenn durch Impfungen die Varizellen-Infektionen in der Bevölkerung insgesamt abnehmen.

Diese Fragen können erst in der Zukunft beantwortet werden. Zusätzliche Auffrischimpfungen sind aber auch eine Möglichkeit, diesen eventuellen Problemen entgegenzutreten. Die generelle Kinderimpfung gegen Varizellen in den USA hat zu geringerer Letalität und selteneren Krankenhauseinweisungen geführt. Dies unterstreicht die Richtigkeit der STIKO-Empfehlung, alle Kinder in Deutschland gegen Varizellen impfen zu lassen.

Literatur

  1. Ziebold, C., et al.: Pediatrics 2001, 108, E79. Erratum: Pediatrics 2004, 113, 1470.
  2. STIKO Epidemiol. Bulletin 30/2004, 235.
  3. American Academy of Pediatrics. Recommendations for the use of live attenuated varicella vaccine. Pediatrics 1995, 95, 791.
  4. Nguyen, H.Q., et al.: N. Engl. J. Med. 2005, 352, 450.
  5. Vázquez, M., und Shapiro, E.D.: N. Engl. J. Med. 2005, 352, 439.
  6. Meyer, P.A., et al.: J. Infect. Dis. 2000, 182, 383.
  7. Rhein, L., et al.: Pediatr. Emerg. Care 2001, 17, 101.
  8. Galil, K., et al.: Pediatr. Infect. Dis. J. 2002, 21, 931.
  9. Ratner, A.J.: Pediatr. Infect. Dis. J. 2002, 21, 927.
  10. Seward, J.F., et al.: JAMA 2002, 287, 606.
  11. Davis, M.M., et al.: Pediatrics 2004, 114, 786.
  12. Nationwide Inpatient Sample (NIS). Healthcare Cost and Utilization in Project (HCUP). Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality; July 2003 (www.ahrq.gov/data/hcup/hcupnis.htm)