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Mittelfristige neurobiologische Effekte von Amalgam-Zahnfüllungen bei Kindern?

Amalgam wird seit 150 Jahren in der Zahnheilkunde angewendet. Es enthält zu 50% das neuro- und nephrotoxische Schwermetall Quecksilber. Die Sorgen um gesundheitliche Langzeitschäden haben zur Entwicklung von weniger haltbaren Ersatzstoffen (Composites) geführt und zu Empfehlungen, sich alte Amalgamfüllungen entfernen und ersetzen zu lassen.

DeRouen et al. von der Zahnklinik der Universität Washington haben in einer prospektiven, randomisierten Studie nach den Auswirkungen von Amalgamfüllungen auf das Verhalten und die Entwicklung von Kindern gesucht (1). Hierzu wurden 507 Kinder im Alter zwischen 8-10 Jahren aus Lissabon, die wegen Karies behandelt wurden, zu Amalgam- (n = 253) oder Composite-Füllungen (n = 254) randomisiert und sieben Jahre lang nachbeobachtet. Die Autoren haben Lissabon u.a. deshalb ausgewählt, weil die Zahngesundheit dort besonders schlecht und die Migrationsrate aus dieser schönen Stadt besonders gering ist.

Insgesamt wurden in beiden Gruppen initial jeweils zehn kariöse Zahnoberflächen pro Kind in beiden Gruppen behandelt. Als weitere Ausgangsbefunde wurden diverse neuropsychologische Tests und die Quecksilberausscheidung im Urin bestimmt. Primäre Studienendpunkte waren die Ergebnisse aus verschiedenen Gedächtnis-, Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Visomotor-Tests sowie die Nervenleitgeschwindigkeit. Diese Untersuchungen wurden jährlich wiederholt.

Ergebnisse: In der Amalgam-Gruppe mussten innerhalb von sieben Jahren 45% der Kinder erneut wegen Karies behandelt werden (kumulativ im Mittel 8,6 weitere Zahnoberflächen) und in der Composite-Gruppe 51% (im Mittel 11,4 weitere Oberflächen). Das Risiko, erneut Karies zu bekommen, war, gemessen an den befallenen Zähnen, in der Composite-Gruppe etwa um 25% höher und signifikant.

Zugleich kam es innerhalb der ersten zwei Jahre bei den mit Amalgam behandelten Kindern als Ausdruck einer systemischen Verteilung des Schwermetalls zu einem signifikanten Anstieg der Quecksilberausscheidung im Urin von 1,8 µg/g Kreatinin auf 3,2 µg/g Kreatinin. Im weiteren Verlauf fiel die Ausscheidung von Quecksilber dann langsam wieder ab.

Bei den neuropsychologischen Tests und der Nervenleitgeschwindigkeit zeigten sich zu keinem Zeitpunkt signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Die Autoren schließen aus diesen Befunden, dass Amalgam eine bessere Zahnfüllung ist als das verwendete Composite und dass Amalgam wegen der nicht nachweisbaren Gesundheitsrisiken auch für Kinder eine gute Behandlungsoption bei Karies ist.

Diese Ergebnisse werden von einer zweiten Studie aus Neuengland mit 534 Kindern zwischen 6-10 Jahren bestätigt (2). Auch die amerikanischen Kinder hatten zu Beginn ca. zehn behandlungsbedürftige Zahnoberflächen. Im weiteren fünfjährigen Verlauf mussten in der Amalgam-Gruppe im Mittel 5,3 und in der Composite-Gruppe 6,1 weitere Zahnoberflächen saniert werden. Der Quecksilbergehalt im Urin war nach fünf Jahren in der Amalgam-Gruppe signifikant höher als in der Composite-Gruppe (0,9 µg/g Kreatinin vs. 0,6 µg/g Kreatinin). Wie in Lissabon wurden keine Unterschiede zwischen den Gruppen bei den neuropsychologischen Tests gefunden. So kommt auch die Bostoner Gruppe zu dem Schluss, dass die Angst vor den gesundheitlichen Folgen von Amalgamfüllungen bei Kindern kein Argument gegen dieses Material sein sollte.

In einem sehr guten, begleitenden Kommentar (3) schwächt H.L. Needleman diese Schlussfolgerungen aber deutlich ab. Er weist darauf hin, dass der Beobachtungszeitraum zu kurz ist, um mögliche Langzeitschäden (z.B. Entwicklung von Alzheimer-Demenz im höheren Lebensalter) zu erfassen. Weiterhin sind die Fallzahlen in beiden Studien zu klein, um solide Aussagen über die Sicherheit machen zu können. Mit 250 Kindern in jeder Gruppe kann ein Unterschied unter 1% statistisch nicht erfasst werden. Bei mehr als 50 Millionen Kindern mit Amalgamfüllungen würde aber ein 1%iges Risiko 500000 Kinder betreffen. Zudem gibt es Hinweise, dass die Quecksilbertoxizität von einer bestimmten genetischen Prädisposition abhängt (CPOX4 Gen) und somit Risikogruppen existieren könnten, die in beiden Studien zu gering repräsentiert sind.

Fazit: Zwei neuere prospektive Studien versuchen nachzuweisen, dass Amalgamfüllungen bei Kindern über einen fünf- bzw. siebenjährigen Zeitraum keine Schäden anrichten. Allerdings sind die Fallzahlen in beiden Studien viel zu klein, um ein Risiko unter 1% nachzuweisen. Es können auch wegen der beschränkten Beobachtungsdauer keine definitiven Aussagen zu möglichen Langzeitschäden gemacht werden, zumal eine erhöhte Quecksilberausscheidung im Urin langfristig nachzuweisen war. Somit sind diese ambitionierten Studien leider ungeeignet, um die Diskussion über schädliche Langzeitwirkungen von Amalgamfüllungen wesentlich zu bereichern. Immerhin konnte aber gezeigt werden, dass Kinder mit Amalgamfüllungen mehr (toxisches) Quecksilber ausscheiden und dass die verwendeten Ersatzmaterialien hinsichtlich der Kariesrückfälle dem Amalgam (noch) unterlegen sind.

Literatur

  1. DeRouen, T.A., et al.: JAMA 2006, 295, 1784. Link zur Quelle
  2. Bellinger, C.D., et al.: JAMA 2006, 295, 1775. Link zur Quelle
  3. Needleman, H.L.: JAMA 2006, 295, 1835. Link zur Quelle