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Aktuelles zur FSME-Immunisierung in Österreich und Deutschland

Alljährlich in den Wintermonaten laufen in Österreich groß angelegte Werbekampagnen für die Impfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (= FSME; englisch: tick-borne encephalitis = TBE) an, die regelmäßig von Diskussionen in der Laien- und Fachpresse über Nutzen und Risiken der FSME-Prophylaxe begleitet werden.

Das Risiko einer schweren (d.h. bleibende Schäden oder Tod) FSME-Erkrankung ist grundsätzlich als sehr gering anzusehen, wie aus den folgenden Fakten hervorgeht. Angaben zur Prävalenz der FSME-Virus-Infektion in der Zeckenpopulation schwanken – auch in Risikogebieten – erheblich zwischen 1:20 000 (Baden-Württemberg) und 1:2 (Einzelbericht über punktuelle Beobachtung aus der Steiermark). Das Infektionsrisiko nach Biss einer infizierten Zecke liegt lediglich bei 30-40%. Bei ca. 70% der Infizierten verläuft die Infektion asymptomatisch, bei 30% entwickeln sich nach 1-2 Wochen grippale Symptome. Das Risiko einer Erkrankung nach einem Zeckenbiss in einem FSME-Risikogebiet mit einer Zeckendurchseuchung von 0,1% liegt somit bei 1:10 000. Nur bei 30% der Erkrankten kommt es nach einer weiteren Woche zur Ausbildung der klassischen FSME mit ZNS-Symptomatik. Die Letalität der manifesten FSME liegt bei 1%. Mit länger anhaltenden oder bleibenden Komplikationen muss bei Erwachsenen in 30-40% gerechnet werden (1). Bei Kindern sind Defektheilungen nach einer FSME sehr selten. Sie fanden sich in einer Analyse der in den letzten 30 Jahren publizierten Daten auffälligerweise bei unter Sechsjährigen nur bei solchen Kindern, die nach einem Zeckenbiss eine (mittlerweile nicht mehr erhältliche) passive Immunisierung erhalten hatten und/oder unter dem anfänglichen Verdacht einer bakteriellen Meningitis zusätzlich zur Antibiose auch eine Behandlung mit hoch dosiertem Dexamethason bekommen hatten (2). Generell gilt: je älter der Patient ist, desto schwerer verläuft die Erkrankung. Die Infektion hinterlässt lebenslange Immunität.

Österreich (unterhalb 1000 m) zählt aus epidemiologischer Sicht zu den Kernländern der FSME-Verbreitung. Die Zahl der im Jahre 2006 in Österreich gemeldeten FSME-Fälle wird mit 84 angegeben. Im Jahre 2005 waren es 100 (3). Seitens des Impfausschusses des Obersten Sanitätsrats gibt es eine Impfempfehlung für alle in Endemiegebieten („Gebiete, in denen virusinfizierte Zecken endemisch vorkommen”) lebenden Personen („Indikationsimpfung”) sowie für Personen mit möglicher temporärer Exposition in Endemiegebieten („Reiseimpfung”; 4). Die FSME-Durchimpfungsrate der österreichischen Bevölkerung liegt bei beachtlichen 90% (5), was auch auf die alljährlich in allen Medien geführte Werbekampagne zurückzuführen ist. Diese propagiert die FSME-Impfung mit z.T. sehr drastischen Aussagen und Bildern. Laienwerbung ist in Österreich nach §51 Abs.2 des Arzneimittelgesetzes für „von Gebietskörperschaften durchgeführte oder unterstützte Impfkampagnen” zwar erlaubt, muss aber „so gestaltet sein, dass der Werbecharakter deutlich zum Ausdruck kommt und das Produkt eindeutig als Arzneimittel dargestellt wird. Werbung und redaktionelle Beiträge sind deutlich zu trennen”. In diesem Sinne bewegt sich die Werbeaktion zumindest in einem legalen Graubereich. Marktführer Baxter steht nicht nur hinter der genannten Marketingaktion, sondern auch hinter den erst bei genauem Hinsehen als Werbung erkennbaren Websites (z.B. www.zecken.at und www.tick-victims.com) und Selbsthilfegruppen. Die historischen, ökonomischen und politischen Hintergründe wurden in einem im April 2007 in der Online-Ausgabe der renommierten Tageszeitung „Der Standard” erschienenen Artikel aufschlussreich dargestellt (6). Das weltweit einzigartige Phänomen einer 90%igen Durchimpfungsrate hat nämlich durchaus österreichspezifische Wurzeln: 1956 erstmals Isolation des FSME-Virus durch zwei österreichische Ärzte, 1976 Gründung der österreichischen Immuno-AG und industrielle Herstellung eines FSME-Impfstoffes, Ende der Neunzigerjahre Übernahme der Immuno-AG durch Baxter.

In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (RKI) die FSME-Impfung für alle Personen, die in FSME-Risikogebieten beruflich (Forst-, Landwirtschaft; Laborpersonal) oder im Rahmen von Freizeitaktivitäten zeckenexponiert sind. Dieses Jahr werden vom RKI insgesamt 129 Landkreise (überwiegend in Bayern und Baden-Württemberg) als Risikogebiete ausgewiesen, 33 mehr als im Jahr zuvor. Diese Zunahme ist allerdings vorrangig durch eine im April 2007 vorgestellte Neudefinition des Begriffes „FSME-Risikogebiet” bedingt. Die neue Definition richtet sich nicht – wie bisher – direkt nach absoluten Fallzahlen, sondern nach der kreisbezogenen FSME-Inzidenz, wenn sie signifikant (p < 0,05) über 1/100 000 liegt (7). Die Durchimpfungsrate im Jahr 2006 wird für Bayern mit 25% angegeben, die Zahl der bundesweiten Neuerkrankungen mit 546 (1, s.a. 12). Im Jahr 2005 waren es 432.

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland stehen Impfstoffe zweier Firmen aus inaktivierten, nicht vermehrungsfähigen FSME-Viren zur Verfügung (FSME-Immun®, FSME-Immun Junior®, Baxter; Encepur®, Encepur Kinder®, Novartis Behring). Die Grundimmunisierung besteht aus drei i.m. verabreichten Impfdosen mit einer geschätzten Wirksamkeit von 96-99%. Die Impfung gilt generell als verhältnismäßig gut verträglich. Allerdings betrafen mehr als 10% (932 von 8147) aller 2001-2007 in Deutschland an das Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Verdachtsfälle von Impfkomplikationen FSME-Impfstoffe (8). Häufige UAW (1-10% aller geimpften Erwachsenen) sind laut Fachinformation: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit sowie Muskel- und Gelenksschmerzen; gelegentliche UAW (0,1-1%): Lymphadenopathien, Erbrechen, Fieber und lokale Hautreaktionen. Sehr selten (< 0,01%) wurden schwere Komplikationen berichtet: Guillain-Barré-Syndrom (9), akute disseminierte Enzephalomyelitis (10). Bei Kindern bis drei Jahren treten laut Gebrauchsinformationen folgende UAW sehr häufig (> 10%) auf: Kopfschmerzen, Fieber, Müdigkeit, lokale Schmerzen. In der vergangenen Saison kam es aus verschiedenen Gründen (vorangegangener milder Winter, Neudefintion von Risikogebieten in Deutschland) zu einem Engpass in der Versorgung mit FSME-Impfstoffen, so dass vom Paul-Ehrlich-Institut im Mai 2007 eine „Entscheidungshilfe bei vorübergehender Knappheit von FSME-Impfstoff” publiziert wurde (11).

Fazit: Das individuelle Nutzen-Risiko-Verhältnis und die Kosteneffizienz der FSME-Impfung erscheinen unklar angesichts unscharfer und sich ändernder Definitionen von Risikogruppen und -gebieten, des relativ benignen Krankheitsverlaufs und der UAW. Industriegestützte Kampagnen, wie sie in Österreich alljährlich mit drastischen Mitteln zur Aufrechterhaltung der seit Jahren üblichen Massenimpfungen lanciert werden, tragen nicht zur seriösen Information der Bevölkerung bei. Eine gute Orientierung bietet die vom Paul-Ehrlich-Institut im Mai 2007 publizierte „Entscheidungshilfe bei vorübergehender Knappheit von FSME-Impfstoff”. Insbesondere bei Kindern unter drei Jahren sollte in Anbetracht des milden Krankheitsverlaufs und der potenziellen Impfreaktionen die Indikation sehr zurückhaltend gestellt werden.

Literatur

  1. Robert-Koch-Institut: http://www.rki.de/cln_048/nn_467538/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Mbl_FSME.html Link zur Quelle
  2. Kaiser, R.: Dtsch. Arztebl. 2004, 101, C1822.
  3. ARGE Gesundheitsvorsorge: www.zecken.at Link zur Quelle
  4. Impfplan 2007 Österreich. 21.November 2006: www.bmgf.gv.at Link zur Quelle
  5. Barret, P.N.: Vaccine 2003, 21 Suppl. 1, S41.
  6. Wie gefährlich sind Zecken wirklich? 12. April 2007; derStandard.at/Gesundheit
  7. Robert-Koch-Institut: FSME: Risikogebiete in Deutschland. Epid. Bull. 15/2007. http://www.rki.de/cln_049/nn_467538/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2007/15__07,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/15_07.pdf Link zur Quelle
  8. Datenbank mit Verdachtsfällen von Impfkomplikationen und Impfnebenwirkungen: www.pei.de Link zur Quelle
  9. Petersen, D.: Med. Sach. 2000, 96, 114: Link zur Quellehttp://www.medsach.de/content/e11/e291/e316/index_ger.html?view=e322#e322 Link zur Quelle
  10. Schattenfroh, C.: Nervenarzt 2004, 75, 776. Link zur Quelle
  11. http://www.pei.de/cln_049/nn_158122/DE/infos/fachkreise/impf-fach/fsme-fach/fsme-fach-inhalt.html#doc427068bodyText1 Link zur Quelle
  12. AMB 1998, 32, 65. Link zur Quelle