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Langzeit-Karzinomrisiko nach Einnahme hormonaler oraler Kontrazeptiva

Die massenhafte Verschreibung oraler hormonaler Kontrazeptiva (OK) für junge Frauen mit Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts war ein Abenteuer mit in vieler Hinsicht unbekanntem Ausgang. Da Östrogene und Gestagene an der Regulierung der Funktion vieler Organe, die von bösartigen Tumoren befallen werden können, beteiligt sind, bestand seit langem die Befürchtung, dass OK die Inzidenz solcher Tumore steigern könnten. In weiser Voraussicht dieser und anderer mit dem Gebrauch OK verbundenen potenziellen Risiken begann das britische Royal College of General Practitioners (RCGP) in 1400 Arztpraxen eine prospektive Beobachtungsstudie, in die 1968 und 1969 jeweils etwa 23 000 Frauen, die OK einnahmen (Users) und 23 000, die keine OK nahmen und nehmen wollten (Never users), eingeschlossen wurden. Die Frauen wurden hinsichtlich Alter, Raucherstatus, Kinderzahl, sozialem Status etc. registriert, und alle sechs Monate wurden Änderungen dieser Variablen und inzidente Erkrankungen an das Register gemeldet. Mitte der 70er Jahre wurde ein großer Teil dieser Frauen zusätzlich durch zentrale Krebs- und Sterblichkeitsregister in England und Schottland miterfasst.

Im BMJ wurden jetzt die Ergebnisse hinsichtlich der Inzidenz einzelner Karzinomarten und der gesamten Karzinominzidenz bei OK-users und Never-users nach einer Beobachtungszeit von im Mittel 24 Jahren (bis maximal 2004) veröffentlicht (1). Die Ergebnisse werden getrennt nach den auch in den Zentralregistern erfassten Frauen (Main dataset) und den weiterhin von den Ärzten des RCGP verfolgten Frauenschicksalen (RCGP-dataset) dargestellt. Im ersteren Register waren nur 67% der ursprünglich eingeschlossenen Frauen enthalten. Der RCGP-dataset konnte in stärkerem Maße als der Main dataset die individuellen Variablen, wie z.B. Anwendung einer „Hormonersatz-Therapie” im späteren Leben der Frauen, berücksichtigen. Die dargestellten statistischen Methoden und Erörterungen sind kompliziert und hoffentlich zutreffend. Die Kommentatoren dieses Artikels (2) haben jedenfalls an der statistischen Methodik keine wesentliche Kritik geäußert.

Insgesamt wurde die Karzinominzidenz für 339 000 Frauenjahre bei Never-users und für 744 000 Frauenjahre für Users erfasst. Zusammengefasst hatten im Main dataset Frauen, die OK eingenommen hatten im Vergleich mit Never users, ein statistisch signifikant verringertes Risiko an Kolon- und Rektum-, Endometrium- und Ovarialkarzinomen, gynäkologischen Karzinomen insgesamt und Karzinomen insgesamt zu erkranken. Im RCGP-dataset war das Gesamtrisiko, an Krebs zu erkranken, bei OK-users auch etwas erniedrigt, aber nicht signifikant. Statistisch signifikante Trends zur häufigeren Erkrankung bei OK-users an invasivem Zervixkarzinom des Uterus (Relatives Risiko 1,33 bzw. 1,49 in den beiden datasets) und Tumoren des Zentralnervensystems einschließlich Hypophyse (bei sehr niedriger absoluter Inzidenz in der letzteren Gruppe) wogen die günstigen Ergebnisse bei anderen Karzinom-Lokalisationen nicht auf. Die Befürchtung, dass Mammakarzinome bei OK-Anwendung häufiger auftreten, bestätigte sich nicht (Relatives Risiko im Main dataset: 0,98, im RCGP-dataset: 1,02).

Eine soeben im Lancet erschienene Reanalyse von 24 epidemiologischen Studien zur Inzidenz von invasiven Zervix-Karzinomen des Uterus bei 16 573 Frauen mit und 35 509 Frauen ohne diese Erkrankung ergab, dass bei aktuellen Anwendern von OK das Risiko für Zervix-Karzinom mit der Dauer der Einnahme kontinuierlich steigt, so dass sich nach fünf und mehr Jahren ein signifikant erhöhtes Relatives Risiko von 1,90 (95%-Konfidenzintervall: 1,69-2,13) ergibt. Nach Beendigung der OK-Einnahme nimmt das Risiko wieder ab und erreicht zehn Jahre nach dem Absetzen das Risiko von Never-users (3). Der Kommentator dieses Artikels, P. Sasieni aus London, leitet daraus die Forderung für Langzeit-OK-user ab, regelmäßig Zervix-Abstriche zum Zweck der Früherkennung machen zu lassen (4).

Die Autoren der RCGP-Studie halten es für wahrscheinlich, dass ihre Ergebnisse auch anwendbar sind auf Frauen, die sich heutzutage für die Einnahme von OK entscheiden, deren Östrogengehalt (Ethinylestradiol) schon seit 20 Jahren wesentlich niedriger ist als zu Beginn der RCGP-Studie. Allerdings enthalten die meisten heutigen OK andere und niedriger dosierte Gestagene als vor 40 Jahren. Diese Studie beleuchtet nur einen Aspekt von UAW der OK. Kardiovaskuläre Risiken sind weiterhin zu bedenken, besonders bei älteren prämenopausalen Frauen, die besser andere kontrazeptive Methoden anwenden sollten.

Fazit: Dem britischen Royal College of General Practitioners ist zu danken, dass es diese auf Nachhaltigkeit angelegte Beobachtungsstudie über das Karzinomrisiko bei Frauen, die hormonale orale Kontrazeptiva (OK) anwenden, durchgeführt hat. Die Benutzung von OK scheint das Gesamt-Karzinomrisiko eher zu reduzieren und das Brustkrebsrisiko nicht zu verändern. Sie erhöht aber signifikant das Risiko, an einem invasiven Uterus-Zervix-Karzinom zu erkranken während der OK-Einnahme und bis zu zehn Jahre nach dem Absetzen.

Literatur

  1. Hannaford, P.C., et al.: BMJ 2007, 335, 651. Link zur Quelle
  2. Meirik, O., und Farley, T.M.: BMJ 2007, 335, 621. Link zur Quelle
  3. International Collaboration of Epidemiological Studies of Cervical Cancer: Lancet 2007, 370, 1609. Link zur Quelle
  4. Sasieni, P.: Lancet 2007, 370, 1591. Link zur Quelle