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Azacitidin: eine neue Therapieoption bei myelodysplastischen Syndromen und hohem Risiko für eine Transformation in akute myeloische Leukämien

Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind eine heterogene Gruppe hämatologischer Neoplasien, die von hämatopoetischen Stammzellen ausgehen und durch eine ineffektive Hämatopoese charakterisiert sind. Die Zytopenie im peripheren Blut ist häufig assoziiert mit symptomatischen Anämien und einem erhöhten Risiko für Infektionen und/oder Blutungen. Außerdem besteht die Gefahr der Krankheitsprogression zu einer akuten myeloischen Leukämie (AML), die auf intensive Chemotherapien schlechter anspricht als de novo AML. Die überwiegend älteren Patienten mit MDS (medianes Alter bei der Diagnose ca. 70 Jahre) vertragen eine intensive Chemotherapie oft schlecht (1). MDS werden nach der aktuellen World Health Organisation (WHO-) Klassifikation (2) u.a. anhand des Anteils der Blasten im Knochenmark in sieben Subtypen eingeteilt (u.a. refraktäre Anämie mit Blastenüberschuss) und zur Einschätzung der Prognose (sowohl hinsichtlich Gesamtüberleben als auch Transformation in eine AML) nach dem „International Prognostic Scoring System” (IPSS). Im IPSS werden anhand des Anteils der Blasten im Knochenmark, des Karyotyps und der Anzahl der betroffenen Zellreihen vier Risikogruppen unterschieden, deren mediane Überlebenszeit zwischen 0,4 und 5,7 Jahren beträgt (3).

Wichtiger Bestandteil der Therapie aller Patienten mit einem MDS sind supportive Maßnahmen, zu denen bedarfsweise u.a. die Transfusion von Erythrozyten- bzw. Thrombozytenkonzentraten und eine frühzeitige antibiotische Behandlung bei Infektionen zählen (4). Je nach Einschätzung der individuellen klinischen Situation des Patienten, für die das Alter, der Allgemeinzustand, die Risikogruppe und Komorbiditäten berücksichtigt werden, stehen weitere therapeutische Optionen zur Verfügung. Dazu gehören auch eine intensive Polychemotherapie nach Protokollen wie bei AML und die allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation (5).

Inzwischen stehen zwei neue Wirkstoffe für die Behandlung des MDS zur Verfügung (Azacitidin, Decitabin), die über unterschiedliche Mechanismen, so vermutlich auch über eine Hemmung der DNA-Methylierung, wirksam sind (6). Decitabin ist bisher nur in den USA zugelassen. Das Pyrimidin-Analogon Azacitidin (Vidaza®) wurde im Dezember 2008 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA) zur Behandlung erwachsener Patienten zugelassen, für die eine Transplantation hämatopoetischer Stammzellen nicht in Frage kommt und bei denen eines der folgenden Krankheitsbilder diagnostiziert wurde (7):

1. myelodysplastische Syndrome (MDS) mit intermediärem Risiko 2 oder hohem Risiko nach IPSS,

2. chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML) mit 10%-29% Knochenmarkblasten ohne myeloproliferative Störung,

3. akute myeloische Leukämie (AML) mit 20%-30% Blasten und Mehrlinien-Dysplasie gemäß Klassifikation der WHO.

Die Zulassung von Azacitidin basiert im Wesentlichen auf den Ergebnissen einer internationalen, multizentrischen, offenen randomisierten Phase-III-Studie, die kürzlich im Lancet Oncology veröffentlicht wurden (8). In der vom pharmazeutischen Hersteller (Celgene) finanzierten und zum Teil auch geplanten Studie wurde das Gesamtüberleben (primärer Endpunkt) von insgesamt 358 Patienten mit einem MDS und nach IPSS intermediärem-2 oder hohem Risiko, einer AML (etwa ein Drittel der Patienten) und wenigen Patienten mit chronischer myelomonozytärer Leukämie (< 5%) verglichen, bei denen keine allogene Stammzelltransplantation vorgesehen war. Die Patienten erhielten entweder Azacitidin (n = 179; im Median neun Zyklen) und optimale supportive Maßnahmen („best supportive care” = BSC) oder eine vor der Randomisierung von den teilnehmenden Studienärzten festgelegte konventionelle Therapie, die aus BSC allein (n = 105), niedrig dosiertem Cytarabin und BSC (n = 49) oder einer Standard-Induktionschemotherapie plus BSC (n = 25) bestand. Azacitidin wurde mit einer Anfangsdosis von 75 mg/m2 Körperoberfläche, die bei fast 90% der Patienten beibehalten werden konnte, sieben Tage lang einmal täglich s.c. injiziert. In der Intention-to-treat-Analyse (ITT) nach einer medianen Beobachtungszeit von 21,1 Monaten führte die Behandlung mit Azacitidin zu einem medianen Überleben von 24,5 Monaten vs. 15,0 Monaten bei der Behandlung mit konventioneller Therapie (Hazard ratio: 0,58; 95%-Konfidenzintervall: 0,43-0,77). Die Überlebensraten nach zwei Jahren betrugen 50,8% unter Azacitidin gegenüber 26,2% unter konventioneller Therapie (p < 0,0001). In der Subgruppenanalyse war der Unterschied im Gesamtüberleben durch Azacitidin nur im Vergleich zu BSC und dem heute als wenig wirksam geltenden und deshalb selten eingesetzten „low dose” Cytarabin, nicht aber im Vergleich zu intensiver Induktionschemotherapie statistisch signifikant. Bemerkenswert in dieser Studie waren die günstige Beeinflussung des Überlebens durch Azacitidin trotz niedriger Ansprechrate (komplette und partielle Remissionen nur bei 29% im Vergleich zu 40% der Patienten nach Induktionschemotherapie) und die langsame Wirksamkeit von Azacitidin, die eine Gabe von mindestens 4-6 Zyklen erfordert.

Zu den häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen unter Azacitidin gehörten Zytopenien sowie Übelkeit und Erbrechen, die auch unter den anderen medikamentösen Therapien auftraten. Bei Azacitidin kam es außerdem zu Reaktionen an der Injektionsstelle.

Die Ergebnisse dieser Phase-III-Studie mit ungewöhnlichem Design wurden trotz der kleinen Vergleichsgruppen (z.B. Standard-Induktionschemotherapie n = 25, von denen nur 19 Patienten diese Therapie erhielten) und bisher nicht bekannter klinischer oder molekularer Merkmale, die mit einem Ansprechen auf Azacitidin korrelieren, in einem begleitenden Editorial sehr wohlwollend beurteilt (6). Aufgrund des langsamen Ansprechens soll laut Fachinformation die Behandlung mit Azacitidin so lange fortgesetzt werden, bis der Patient davon profitiert oder bis eine Progression der Erkrankung auftritt. Empfohlen werden mindestens sechs Zyklen (7). Die Kosten für sechs Behandlungszyklen betragen 35.280 € (9).

Aus unserer Sicht müssen die Ergebnisse dieser Studie, insbesondere der Vergleich von Azacitidin mit einer Standard-Induktionschemotherapie, unbedingt in einer unabhängig von Herstellerinteressen konzipierten Phase-III-Studie (13 von 19 Autoren der Zulassungsstudie hatten Interessenkonflikte aufgrund finanzieller Verbindungen zu Celgene und vier von 19 Autoren waren Angestellte von Celgene) bestätigt werden.

Fazit: Mit Azacitidin (Vidaza®) steht für die Behandlung ein neuer, aber sehr teurer Wirkstoff zur Verfügung, dessen Einsatz bei ausgewählten Patienten mit mittlerem bis hohem Risiko bei einem Myelodysplastischen Syndrom sowie einer Subgruppe von Patienten mit akuter myeloischer Leukämie erwogen werden kann. Für eine vergleichende Beurteilung der in ähnlicher Indikation eingesetzten Wirkstoffe, konventionell oder hochdosiertes Cytarabin bzw. Decitabin, reichen die publizierten Daten nicht aus. Patienten, für die eine allogene hämatopoetische Stammzell-Transplantation in Betracht kommt, sollten weiterhin eine intensive Induktionschemotherapie und nicht Azacitidin erhalten.

Literatur

  1. Nimer, S.D.: Blood 2008, 111, 4841. Link zur Quelle
  2. Swerdlow, S.H., et al.: WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues (4th ed.). Lyon, France: International Agency for Research on Cancer; 2008.
  3. Greenberg, P., et al.: Blood 1997, 89, 2079. Link zur Quelle
  4. AMB 2004, 38, 71a. Link zur Quelle
  5. AMB 1998, 32, 85a. Link zur Quelle
  6. Garcia-Manero, G.: Lancet 2009, 10, 200. Link zur Quelle
  7. Celgene: Fachinformation „Vidaza® 25 mg/ml Pulver zur Herstellung einer Injektionssuspension”. Stand: Dezember 2008.
  8. Fenaux, P., et al.: Lancet 2009, 10, 223. Link zur Quelle
  9. AkdÄ: Neue Arzneimittel, Ausgabe 2009-001 vom 18.03.2009. Link zur Quelle