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Fehlerquellen bei intravenöser Arzneimitteltherapie auf Intensivstationen

Der Wert eines Arzneimittels wird wesentlich durch seine erwünschten und unerwünschten Wirkungen bestimmt. Ein kaum beachtetes Risiko ergibt sich aber auch aus der Art seiner Anwendung. In dieser Hinsicht gelten insbesondere Intensivstationen aufgrund der Komplexität der Krankheiten, Therapien und Arbeitsprozesse als fehleranfällig. So hatte eine 2006 publizierte multinationale Untersuchung an 205 Intensivstationen ergeben, dass von 38,8 unerwarteten und die Sicherheit bedrohenden Ereignissen (pro 100 Patiententage) insgesamt 10,5 auf fehlerhafte Verschreibung und Verabreichung von Arzneimitteln zurückzuführen waren (1). Die übrigen verteilten sich auf Gefäßzugänge, Beatmung, Apparate und Alarmmanagement. Von derselben Forschergruppe aus der Universitätsklinik Wien ist nun im BMJ eine Nachfolgestudie erschienen, die sich speziell mit der parenteralen Applikation intensivmedizinischer Arzneimittel befasst (2).

In 27 europäischen Ländern wurden an 113 Intensivstationen (darunter Italien: 20; Österreich: 17; Großbritannien: 17; Deutschland: 9) an einem Stichtag im Januar 2007 prospektiv alle Medikationsfehler registriert. Das Pflegepersonal und die Ärzte mussten diese mittels anonymisierter, strukturierter Bedside-Fragebögen selbst erfassen. Die Fehler wurden kategorisiert nach Fehlerart (falsche Dosis, falsches Arzneimittel, falsche Applikationsart, falscher Zeitpunkt, Applikation versäumt), nach Applikationsart (i.v.-Bolus, i.v.-Perfusor, s.c.) und nach Arzneimittelklasse (sedierende Analgetika, Vasopressoren, Antibiotika, gerinnungsrelevante Medikamente, Elektrolyte, Insulin und andere). Zudem wurden Belegungsgrad, Häufigkeit des Patientenwechsels, Patient-Pflegeperson-Ratio, Patient-Arzt-Ratio, Schwere der Erkrankungen und die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals am Stichtag dokumentiert.

Innerhalb des 24-stündigen Beobachtungszeitraums wurden bei 441 der insgesamt 1 382 Patienten 861 Fehler beobachtet (74,5 Fehler pro 100 Patiententage). 191 Patienten (14%) waren von mehr als einem Fehler betroffen, 250 (19%) von einem Fehler. Nur bei 67% wurde kein Fehler registriert. 71% der Fehler hatten keinen Einfluss auf den Zustand des Patienten, aber 12 Patienten (0,9%) erlitten einen bleibenden Schaden oder starben im Zusammenhang mit Fehlern bei der Arzneimittelgabe. Bei acht dieser Fälle waren Auszubildende involviert. Die häufigsten Fehler waren: falscher Zeitpunkt (386), versäumte Applikation (259), falsche Dosis (118), falsches Arzneimittel (61) und falsche Applikationsart (37). Arbeitsbelastung, Stress und Ermüdung wurden vom Pflegepersonal als Einflussfaktoren bei 32% aller Fehler genannt. Andere waren: kürzlich erfolgte Änderung des Arzneimittelnamens (18%), schriftliche (14%) und mündliche (10%) Kommunikationsfehler sowie das Abweichen von Standardprotokollen (9%). Die am häufigsten betroffenen Arzneimittelklassen waren sedierende Analgetika und Antibiotika.

Die Fehlerwahrscheinlichkeit stieg signifikant mit dem Schweregrad der Erkrankung, der Pflegestufe und der Zahl parenteraler Arzneimittel – also mit der Komplexität der Behandlung. Umgekehrt war das Fehlerrisiko signifikant niedriger, wenn in einer Abteilung bereits ein Meldesystem für kritische Ereignisse bestand und wenn das Pflegepersonal bei Dienstübergabe ein etabliertes Routinecheck-System benutzte.

Fazit: Die SEE-2-Studie bestätigt – auch wenn genaue kausale Zusammenhänge aufgrund des Designs nicht hergestellt werden können – dass parenteral gegebene Arzneimittel ein Schwachpunkt der Patientensicherheit auf Intensivstationen sind, insbesondere bei komplexen Erkrankungen und Therapien. Organisatorische Maßnahmen, wie Fehlermeldesysteme und Routinechecks bei Dienstübergaben, können helfen, Fehler zu reduzieren.

Literatur

  1. Valentin, A., et al. (SEE 1 = Sentinel Events Evaluation 1): Intensive Care Med 2006, 32, 1591. Link zur Quelle
  2. Valentin, A., et al. (SEE 2= Sentinel Events Evaluation 2): BMJ 2009, 338, b814. Link zur Quelle