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Tamsulosin (Prostata-Therapeutikum) kann zu Komplikationen bei Katarakt-Operationen führen

Viele ältere Männer nehmen wegen einer Benignen Prostata-Hyperplasie (BPH) einen alpha-adrenergen Blocker ein, meist Tamsulosin (Alna®, Omnic®). Diese Medikamente relaxieren glatte Muskeln in der Prostata und im Blasenhals über Alpha-1a-Rezeptoren und vermindern den häufigen Harndrang bei BPH. Viele ältere Männer haben auch grauen Star (Cataracta senilis) und bedürfen in fortgeschrittenen Stadien einer Operation, für die eine dilatierte Iris Voraussetzung ist. Der Musculus dilatator iridis und die Gefäßmuskeln der Iris-Arteriolen enthalten ebenfalls Alpha-1a-Rezeptoren und können durch Alpha-Blocker, besonders den spezifischen Tamsulosin, dilatiert werden. Eine die Katarakt-Operation erschwerende Störung ist das „Intraoperative Floppy Iris Syndrom” (IFIS), bei dem die Pupille eng und die Iris schlaff ist. Es ist vermutet worden, dass das IFIS durch Einnahme von Alpha-Blockern, besonders durch Tamsulosin, begünstigt wird.

C.M. Bell et al. aus Kanada berichten jetzt im JAMA (1) über die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie aus dem Bundesstaat Ontario, in dem medizinische Daten aller ca. 12 Mio. Einwohner im Rahmen des National Health Service dokumentiert werden. Sie erfassten 96 129 Katarakt-Operationen (2002-2007) bei Männern über 65 Jahre und alle kurz darauf durchgeführten Nach-Operationen, die wegen Komplikationen wie Linsen-Dislokation, Netzhautablösung und anderen Folgen von IFIS notwendig wurden. Sodann ermittelten sie die Verschreibung von Tamsulosin, von anderen Alpha-1-Blockern und von Protonenpumpenhemmern (PPI, als Kontrolle) für die Zeiträume unmittelbar vor der Operation sowie für die Zeit ein Jahr bis zwei Wochen vor der Operation. Da nur die Verschreibungen erfassbar waren, nicht aber die aktuelle Einnahme der Medikamente, mussten die Autoren offenbar ausrechnen, wie lange die verschriebene Tablettendosis ausreichen würde. Den 226 erfassten Patienten (von 96 129) mit „adverse outcome” der Katarakt-Operation („Fälle”) wurden 1 102 Kontroll-Patienten mit gutem unmittelbaren Operationserfolg gegenübergestellt, die hinsichtlich Alter und Komorbidität den „Fällen” möglichst vergleichbar waren.

Von den 226 „Fällen” hatten 21 zuvor Tamsulosin genommen, von den 1 102 „Kontrollen” 30 Patienten. Daraus errechnete sich eine „adjusted odds ratio” (OR) von 2,33 (95%-Konfidenz-Intervall: 1,22-4,42). Für andere Alpha-Blocker und für PPI war die OR mit 0,91 bzw. 0,73 nicht signifikant von 1,0 verschieden. Die Zahl von „Fällen”, denen früher Tamsulosin verschrieben worden war („previous use”), d.h., die es vermutlich in den letzten zwei Wochen vor der Operation nicht eingenommen haben konnten, war sehr gering. Deshalb ist die numerische Angabe der OR (0,94) nicht aufschlussreich.

Nach Ansicht der Autoren bestätigen die Befunde den Verdacht, dass Tamsulosin – zumindest mehr als andere, weniger spezifische Alpha-Blocker – das die Katarakt-Operationen erschwerende IFIS begünstigt. Sie und der Verfasser eines ausführlichen Kommentars zu dieser Arbeit (2) empfehlen allerdings nicht, Tamsulosin einige Tage vor der Katarakt-Operation abzusetzen, da es dann eventuell zu akuter Harnverhaltung kommen kann. Wenn die Feststellung dieser Studie zutrifft, dass andere Alpha-Blocker das IFIS weniger begünstigen als Tamsulosin, dann könnte man zumindest erwägen, Patienten mit BPH zwei Wochen vor einer geplanten Katarakt-Operation z.B. auf Doxazosin umzustellen, das allerdings den Blutdruck deutlich senkt. Der Alpha-Blocker Alfuzosin (Urion®, UroXatral®) kommt hierfür weniger in Betracht, da auch er unter Verdacht steht, ein IFIS verursachen zu können (3). Die Autoren berechnen für die Einnahme von Tamsulosin und das Risiko einer Komplikation nach Katarakt-Operation eine Number needed to harm (NNH) von 255, allerdings bezieht sich dies wohl auf alle Benutzer des Medikaments und nicht auf diejenigen, bei denen in absehbarer Zeit eine Katarakt-Operation durchgeführt werden muss.

Fazit: Der adrenerge Alpha-1a-Rezeptor-Blocker Tamsulosin, der von vielen Patienten mit Benigner Prostata-Hyperplasie (BPH) eingenommen wird, scheint bei Katarakt-Operationen ein „Intraoperative Floppy Iris Syndrome” (IFIS) zu begünstigen, das die Operation erschweren und auch postoperativ zu Komplikationen führen kann mit der Notwendigkeit von Nach-Operationen. Augenärztliche Operateure, die das IFIS vermeiden wollen, sollten sich mit dem behandelnden Urologen des Patienten zwecks einer vorübergehend alternativen Therapie der BPH in Verbindung setzen. Andererseits kann einem IFIS mit präoperativ topisch appliziertem Atropin-Sulfat und Epinephrin-Applikation ins Kammerwasser abgeholfen werden (4).

Literatur

  1. Bell, C.M., et al.: JAMA 2009, 301, 1991. Link zur Quelle
  2. Friedman, A.H.: JAMA 2009, 301, 2044. Link zur Quelle
  3. Blouin, M.C., et al.: J. Cataract Refract. Surg. 2007, 33, 1227. Link zur Quelle
  4. Masket, S., und Belani, S.: J. Cataract Refract. Surg. 2007, 33, 580. Link zur Quelle
  5. Erratum: J. Cataract Refract. Surg. 2007, 33, 1145.