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Leserbrief

Therapie der Endometriose: Orgametril® und Primolut®-Nor nicht mehr erhältlich

Frage von Frau Dr. I.K. aus Leverkusen: >> Als Abonnentin bitte ich Sie, unserem gynäkologischen Netzwerk folgenden Sachverhalt auseinanderzulegen. Seit Jahrzehnten verordnet unsere Arztgruppe Lynestrenol (Orgametril®) bei Endometriose, auch zur Menstruationsunterdrückung bei Hypermenorrhö. Als 2. Gestagen wurde Norethisteronacetat (z.B. Primolut®-Nor) oft verschrieben. Beide Hormonpräparate waren kostengünstig und wirksam. Für den deutschen Markt ist weder Ogametril® noch Primolut®-Nor seit letztem Jahr zu bekommen. Fast zeitgleich bringt Bayer Vital ein neues Gestagen-Monopräparat, Dienogest (Visanne®) auf den Markt, dessen Quartalskosten rund fünffach so hoch sind wie z.B. Orgametril®. Warum werden o.g. Präparate nicht mehr hergestellt? In die Preisgestaltung für neueingeführte Produkte kann wahrscheinlich erst mit dem neuen Arzneimittelgesetz regulierend eingegriffen werden. <<
Antwort: >> Da Gestagene in geeigneter Dosierung kontrazeptiv wirken, sind sie wesentlicher Bestandteil aller hormonellen Kontrazeptiva. Die Entwicklung der ersten „Pille“ war erst nach Synthese eines Gestagens durch Carl Djerassi vor ca. 60 Jahren möglich. Am Endometrium wirken sie antiproliferativ, d.h. sie antagonisieren die Wirkung von Östradiol. Diese antiproliferative Wirkung auf das Endometrium wird für die Therapie der Endometriose genutzt. Das erste, von Djerassi entwickelte Gestagen war Norethisteron. Dieses Gestagen hat eine stark antiproliferative Wirkung und auf Grund seiner Verwandtschaft mit Testosteron auch eine recht deutliche androgene Wirkung. Die androgene Wirkung ist bei den meisten Anwendungen, vor allem bei der Anwendung zur Kontrazeption, unerwünscht. Es wurden daher schon bald Gestagene mit geringerer androgener und sogar antiandrogener Wirkung entwickelt. Norethisteron ist ein Vertreter der 1. Generation. Hauptvertreter der deutlich weniger androgen wirkenden Gestagene der 2. Generation ist das heute noch in vielen „Pillen“ enthaltene Levonorgestrel. Weitere Modifikationen sind Desogestrel und Gestoden, Dienogest und Drospirenon.

Gestagen-Monopräparate können grundsätzlich zur Behandlung der Endometriose eingesetzt werden. Norethisteron (Primolut®), Norethisteronacetat (Primolut®-Nor), Danazol (Winobanin®) und Lynestrenol (Orgametril®) hatten sich bewährt. Auf Grund der androgenen Wirkungen und wegen des Auslaufens der Zulassung für alle vor 1979 zugelassenen Präparate sind sie jedoch heute für die Indikation nicht mehr verfügbar. Trotz fehlender androgener Wirkung ist auch Medrogeston (Prothil®) nicht mehr lieferbar. Die Hersteller müssten für die in der Praxis bewährten Arzneimittel eine Nachzulassung betreiben mit allen Auflagen wie bei einer Neuzulassung, z.B. Vorlage von klinischen Studien usw. Angesichts der geringen Verordnungsmengen ist dies wirtschaftlich nicht interessant, zumal die Wirkstoffe nicht patentgeschützt sind.

Seit Anfang dieses Jahres ist für die Therapie der Endometriose nur noch das für diese Indikation neu zugelassene, im Vergleich zu den bewährten Präparaten aber teurere Dienogest (Visanne®) auf dem Markt. Die Kosten (28 Tabl. = 60,31 €) müssen leider zur Zeit akzeptiert werden. Hoffentlich schafft das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) die Möglichkeit, die Arzneimittelpreise abzustimmen und Arzneimittelforschung auch unabhängig von den Interessen der Hersteller zu betreiben. Dann könnten mit öffentlichen Mitteln die Unterlagen geschaffen werden, die für die Zulassung neuer oder Nachzulassung alter bewährter Indikationen erforderlich sind. <<