Patienten mit nicht resezierbarem oder metastasiertem Melanom haben eine schlechte Prognose. Nur ungefähr ein Viertel der Patienten überlebt das erste Jahr nach der Diagnose. Zur Behandlung war bislang Dacarbazin Mittel der Wahl. Allerdings ließen sich in klinischen Studien nur niedrige Ansprechraten (11%-25%) erreichen. Das Ansprechen war außerdem nur von kurzer Dauer (3-6 Monate; 1). Im Juli 2011 wurde für vorbehandelte Patienten mit Ipilimumab (Yervoy®) ein humaner, rekombinanter Antikörper zugelassen, der an ein Antigen von aktivierten zytotoxischen T-Lymphozyten bindet und dadurch die T-Zell-vermittelte Immunantwort verstärkt (2). Im Februar 2012 folgte dann die Zulassung von Vemurafenib (Zelboraf®) als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit BRAF-V600-Mutation-positivem, nicht resezierbarem oder metastasiertem Melanom (1, 3).
Vemurafenib ist ein oral zu verabreichender Hemmer der BRAF-Serin-Threonin-Kinase, die als wichtiger Bestandteil des RAS-RAF-Signalwegs die normale Zellteilung stimuliert. V600-Mutationen im Gen, das die BRAF-Serin-Threonin-Kinase kodiert, führen zu verstärkter Zellproliferation und verhindern den programmierten Zelltod (Apoptose). V600 bezeichnet dabei den Ersatz von Valin an der Aminosäureposition 600 (1, 3). BRAF-Mutationen finden sich bei ca. 40-60% der Melanome, aber auch bei anderen soliden Tumoren (3, 4).
Vor der Anwendung von Vemurafenib muss bei den Patienten ein BRAF-V600-Mutation-positiver Tumorstatus durch einen validierten Test nachgewiesen worden sein. Dafür wurde in den klinischen Phase-II- und -III-Studien ein Polymerase-Kettenreaktions-Test verwendet, der ebenfalls von Roche hergestellt wird (1, 3, 4).
Für die Zulassung von Vemurafenib wurde vom pharmazeutischen Hersteller eine offen durchgeführte, multizentrische, randomisierte Phase-III-Studie vorgelegt (4). Insgesamt wurden 675 nicht vorbehandelte Patienten mit BRAF-V600E-Mutation-positivem, nicht resezierbarem oder metastasiertem Melanom entweder mit Vemurafenib (n = 337; 960 mg zweimal täglich) oder Dacarbazin (n = 338; 1000 mg/m2 alle drei Wochen am Tag 1) behandelt.
Als primärer Endpunkt wurde zunächst ausschließlich das Gesamtüberleben (OS) festgelegt. Im Verlauf der Studie wurde im Oktober 2010 – basierend auf Ergebnissen aus Phase-I/II-Studien – das progressionsfreie Überleben (PFS) als weiterer primärer Endpunkt bestimmt. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Ansprechrate, die Dauer des Ansprechens und die Lebensqualität.
Bei einer geplanten Zwischenanalyse nach der Hälfte der erwarteten Todesfälle hatten die Patienten der Vemurafenib-Gruppe ein deutlich geringeres Sterblichkeitsrisiko als Patienten der Dacarbazin-Gruppe (Hazard Ratio = HR: 0,37, 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,26-0,55; p < 0,001). Die HR für das PFS betrug 0,26 (CI: 0,20-0,33; p < 0,001). Die Dauer des medianen Ansprechens betrug in der Vemurafenib-Gruppe 5,49 Monate (CI: 3,98-5,72) und war in der Dacarbazin-Gruppe noch nicht erreicht (CI: 4,6-nicht erreicht).
Nach Empfehlung eines Data Safety Monitoring Boards wurde daraufhin das Studienprotokoll so verändert, dass Dacarbazin-Patienten in den Vemurafenib-Arm wechseln konnten. Danach glichen sich die Ergebnisse der beiden Gruppen an. Ungefähr zehn Monate nach der Zwischenanalyse betrug die HR für das OS in der Vemurafenib-Gruppe noch 0,62 (CI: 0,49-0,77). Zu diesem Zeitpunkt war ungefähr ein Viertel der Patienten aus der Dacarbazin-Gruppe in die Vemurafenib-Gruppe gewechselt. Die Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens war mit 3,6 Monaten gering (9,9 vs. 13,2 Monate). Bei den Daten zur Lebensqualität bestanden zwischen beiden Studienarmen keine Unterschiede (1, 4).
In einer einarmigen Phase-II-Studie bei 132 vorbehandelten Patienten mit metastasiertem Melanom lag nach einer Nachbeobachtung von etwa 13 Monaten (Median) das mediane OS unter Vemurafenib bei 15,9 Monaten und das mediane PFS bei 6,8 Monaten (CI: 11,6-18,3; 5).
Schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) traten unter Vemurafenib häufiger auf als unter Dacarbazin (50% vs. 30%). Bei ungefähr 20% der Patienten unter Vemurafenib wurden im Mittel 7-8 Wochen nach Beginn der Behandlung kutane Plattenepithelkarzinome und/oder Keratoakanthome diagnostiziert. Diese malignen epithelialen Tumoren wurden meist durch Exzision behandelt, und die Patienten führten ihre Behandlung in der Regel ohne Dosisanpassung fort (1, 4). Für die Entstehung dieser Tumoren unter Therapie mit BRAF-Hemmern werden Mutationen im HRAS-Onkogen und eine verstärkte Signaltransduktion über eine andere Proteinkinase (MAPK, Mitogen-Activated Protein Kinase) verantwortlich gemacht (6, 7). Weitere, bei mehr als 30% der Patienten beobachtete UAW von Vemurafenib sind: Arthralgie, Abgeschlagenheit, Lichtempfindlichkeitsreaktionen, Übelkeit, Alopezie und Pruritus.
Die Arzneimittelkosten von Vemurafenib (Zelboraf®) sind hoch: 56 Filmtabletten à 240 mg kosten 2.888,20 € (8). Eine Therapie nach dem empfohlenen Behandlungsschema, d.h. zweimal 960 mg/d bis zur Krankheitsprogression (3) kostet während sechs Monaten ca. 70.000 €. Dazu kommen die Kosten für den Screening-Test auf die BRAF-Mutation, der für alle Patienten mit einem fortgeschrittenen Melanom anfällt.
Fazit: In der geplanten Zwischenanalyse einer Phase-III-Studie zeigte sich, dass eine Behandlung mit Vemurafenib im Vergleich zu Dacarbazin bei Patienten mit nicht resezierbarem oder metastasiertem Melanom das Sterblichkeitsrisiko deutlich vermindert. Daraufhin konnten Patienten aus dem Dacarbazin- in den Vemurafenib-Arm wechseln. Bei Studien, die aufgrund eines angenommenen Nutzens des Arzneimittels vorzeitig abgebrochen werden, besteht die Gefahr, dass die Wirksamkeit des Arzneimittels über- und die Risiken unterschätzt werden (9). Die begrenzte Dauer des Ansprechens auf Vemurafenib weist daraufhin, dass die Tumoren gegenüber Vemurafenib resistent und weitere Behandlungen notwendig werden (10). Schwere UAW, darunter Plattenepithelkarzinome der Haut, treten unter Vemurafenib häufig auf. Vemurafenib erweitert zwar die therapeutischen Möglichkeiten bei Patienten mit metastasiertem malignem Melanom, ist aber sicher nicht der therapeutische Durchbruch, als der dieser neuartige Proteinkinase-Hemmer in der Laienpresse häufig gefeiert wird (11, 12).
Literatur
- EuropeanMedicines Agency, 2011: Link zur Quelle
- EuropeanMedicines Agency, 2011: Link zur Quelle
- Roche Pharma AG: FachinformationZelboraf® 240 mg Filmtabletten. Stand Februar 2012.
- Chapman,P., et al. (BRIM-3 = BRAF Inhibitor in Melanoma-3):N. Engl. J. Med. 2011, 364, 2507. Link zur Quelle
- Sosman,J.A., et al.: N. Engl. J. Med. 2012, 366, 707. Link zur Quelle
- Robert,C., et al.: Curr. Opin. Oncol. 2011, 23, 177. Link zur Quelle
- Weeraratna,A.T.: N. Engl. J. Med. 2012, 366, 271. Link zur Quelle
- Lauer-Taxeonline.Stand 15.3.2012.
- Trotta,F., et al.: Ann. Oncol. 2008, 19, 1347. Link zur Quelle
- Joppi, R., et al.: HorizonScanning inOncology 2012, Link zur Quelle
- Ernstoff, M.S.: N. Engl. J. Med. 2011, 364,2547. Link zur Quelle
- http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/krebs/therapie/… Link zur Quelle