Wir haben seit 2001 immer wieder über den Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Imatinib (Glivec®, Novartis) berichtet (1). Nachdem Imatinib neben der chronischen myeloischen Leukämie auch für mehrere andere seltene Indikationen zugelassen wurde, avancierte dieser TKI von einem ”Orphan-Nichebuster” zu einem „Blockbuster” und erzielte im Jahr 2012 infolge nahezu weltweiter Patente einen Umsatz von 4,7 Mrd. US-$ (2). Doch nicht alle Länder wollen sich den Patentgesetzen der westlichen Länder beugen. In einem Urteil in letzter Instanz verweigerte kürzlich Indiens oberster Gerichtshof nach siebenjährigem Rechtsstreit endgültig die Patentierung (3). Die sehr ausführliche und für Außenstehende kaum verständliche Urteilsbegründung beruft sich auf komplizierte historische Entwicklungen im indischen Patentrecht und darauf, dass es sich nur um eine neue Version eines bestehenden Wirkstoffs handle. Bereits im vergangenen Jahr hatte Indiens oberstes Gericht mit ähnlicher Begründung folgenden Wirkstoffen ein Patent verwehrt: dem TKI Sunitinib (Sutent®; Pfizer), dem Multi-Kinase-Inhibitor Sorafenib (Nexavar®; Bayer AG) und dem langwirksamen Interferon Peginterferon alfa 2a (Pegasys®; Roche). Durch diese Urteile erhält die in Indien hochentwickelte Generikaherstellung durch landeseigene pharmazeutische Unternehmer (pU) die Möglichkeit, diese im Westen patentierten Arzneimittel selbst herzustellen und zu einem Bruchteil des Preises der Originalpräparate zu vermarkten. Den forschenden pU bleibt in der Regel keine andere Wahl, als ihre Originalpräparate in Indien weit unterhalb des angestrebten Preises anzubieten. Einen gänzlichen Rückzug aus dem Subkontinent mit seinen 1,2 Mrd. Einwohnern (davon 700 Mio. Arme) und einem schnell wachsenden Arzneimittelmarkt beabsichtigen sie offenbar nicht.
Bereits im Oktober 1996 machte die BUKO Pharma-Kampagne in Kooperation mit Health Action International mit einem internationalen Seminar in Bielefeld auf die Folgen der Ausweitung des Patentschutzes durch die Welthandelsorganisation auf die Arzneimittelversorgung von armen Ländern aufmerksam (4). Sie brachte damals viele Personen zusammen, die später wichtige Akteure im Kampf für den Zugang zu preiswerten Medikamenten wurden. Klar begrüßt werden die Urteile von nicht-staatlichen Organisationen, wie z.B. Médecins sans Frontières, da durch Generika die billige Herstellung von Arzneimitteln und somit die weltweite Versorgung von Patienten in aller Welt gewährleistet werde. Von den forschenden pU westlicher Länder werden die Entscheidungen hingegen erwartungsgemäß als innovationsfeindlich kritisiert. Nicht die vorgebliche Versorgung der eigenen (armen) Bevölkerung mit wirksamen Arzneimitteln sei der Grund für diese Politik, sondern der Schutz der landeseigenen Generika-Industrie. Tatsache ist, dass seit Jahren pU aus Indien und China mit Generika auch komplexer Wirkstoffe wie Biosimilars auf die lukrativen Märkte drängen (5). Insbesondere die „Emerging Markets” der Schwellenländer (neben China und Indien auch Länder in Lateinamerika wie Brasilien) sind begehrte Zielobjekte. Hier wird dann oft mit der ökonomischen Notlage der unterversorgten heimischen Bevölkerung argumentiert. Dem setzen pU „Hilfsprogramme” wie das „Glivec International Patient Assistance Program” entgegen, in das der Konzern Novartis angeblich > 1,7 Mrd. US-$ investiert habe und von dem bereits > 16.000 mittellose indische Patienten profitiert haben sollen (6). Auch die Bayer AG bietet nach eigenen Angaben 80% der indischen Patienten das Präparat Nexavar® zu deutlich günstigeren Preisen an (7).
Fazit: In heftig diskutierten Urteilen des höchsten indischen Gerichts gegen eine Patentanerkennung für Tyrosinkinase-Inhibitoren und Biopharmazeutika zeigt sich der Konflikt zwischen der wichtigen Forderung nach preisgünstigen Arzneimitteln einerseits und der angeblich notwendigen Sicherung hoher Preisniveaus zur Refinanzierung von Forschungs- und Entwicklungskosten der pharmazeutischen Unternehmer andererseits. Sowohl der forschenden Pharmaindustrie als auch Herstellern von Generika dürfte es wahrscheinlich in erster Linie um die Erhaltung von Marktanteilen sowie Gewinnspannen und weniger um das Wohl ökonomisch benachteiligter Menschen gehen. Unabhängig davon halten wir diese Urteile, wie auch der Pharma-Brief (8), für richtig, da sie den Zugang zu preiswerten Arzneimitteln in armen Ländern garantieren.
Literatur
- AMB 2013, 47, 33 Link zur Quelle ; AMB 2008, 42,73 Link zur Quelle ; AMB 2004, 38, 01 Link zur Quelle ; AMB 2001, 35,47b. Link zur Quelle
- Kantarjian, H., et al. Link zur Quelle; vgl. AMB 2013, 47, 33. Link zur Quelle
- http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/urteil-ueber-krebsmittel-glivec-indien-entzieht-novartis- patentschutz-12133616.html Link zur Quelle
- Pharma-Brief2011, Spezial Nr. 3, 9.
- AMB 2012, 46, 05. Link zur Quelle
- http://www.themaxfoundation.org/gigap/Default.aspx Link zur Quelle
- http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/ indien-der-kampf-um-die-patente-11950990.html Link zur Quelle
- Pharma-Brief2013, Nr. 3, 1.