Artikel herunterladen

Nochmals: Zur Wirksamkeit homöopathischer Präparate

In unserer April-Ausgabe hatten wir eine Übersichtsarbeit des australischen National Health and Medical Research Counsils zur Wirksamkeit der Homöopathie referiert (1). Diese Studie war nach Analyse von 57 systematischen Reviews zu 68 Symptomen oder Krankheiten unter Einschluss von 176 kontrollierten klinischen Einzelstudien und Berücksichtigung von Berichten und Leitlinien aus der Schweiz und Großbritannien zu dem Ergebnis gekommen, dass homöopathische Präparate bei keiner Krankheit besser als Plazebo wirken. Wir haben – nicht unerwartet – Leserbriefe von Interessenvertretern der Homöopathie in Deutschland und Österreich bekommen, die das Ergebnis dieser Übersichtsarbeit (und anderer Metaanalysen) nicht akzeptieren und u.a. methodische Mängel kritisieren. Wir möchten auf diese Zuschriften antworten und dabei auf einige, uns wichtig erscheinende Aspekte des bereits zur Zeit Hahnemanns (1755-1843) schwelenden Streits eingehen. Ein Austausch der altbekannten Pro- und Contra-Argumente zur Homöopathie findet sich auch in einem aktuellen Artikel des BMJ (2).

Das von uns referierte Statement des australischen National Health and Medical Research Counsils (3) kommt zum gleichen Ergebnis wie eine Reihe anderer zusammenfassender Beurteilungen der Homöopathie vor ihm (4-9). Sicher sind hierbei Details der gewählten statistischen Beweisführung ebenso strittig wie Definitionen des Evidenzgrads. Ressourcenknappheit auf Seiten der Homöopathie kann vielleicht methodische Schwächen von Studien erklären, sie aber nicht beheben. Vergleiche von „Durchschnittsverteilung(en) positive(r) und negative(r) Ergebnisse“ zwischen homöopathischen und „konventionellen“ Behandlungsmethoden sind als Argumente kaum hilfreich. Ein Versuch, das ernüchternde Résumé „Für keine Krankheit fand sich verlässliche Evidenz, dass homöopathische Präparate einem Plazebo überlegen sind“ schlüssig zu widerlegen wird in den Zuschriften an uns nicht unternommen. Angeblich „Positive homöopathische Metaanalysen (Durchfall bei Kindern, allergische Rhinitis, Schwindel, Otitis media)“ werden nicht durch Literatur belegt. Eine PubMed-Recherche nach homöopathischen Metaanalysen zu den beiden klarer definierten Entitäten waren für „Otitis media“ ergebnislos, für „allergische Rhinitis“ im Ergebnis widersprüchlich. Die Heilung oder Verhinderung einer einzelnen Krankheit durch ein homöopathisches Arzneimittel wäre klinisch zwar sehr willkommen, die Theorien der Homöopathie insgesamt wären aber dadurch ebenso wenig bewiesen wie z.B. die Theorien der traditionellen chinesischen Medizin durch das aus ihr hervorgegangene, hoch wirksame Malariamittel Artemisinin. Wirksamkeit kann vorliegen, die Theorie hierzu jedoch falsch sein und umgekehrt (7). Anders formuliert: Für jede Form der Heilkunde gilt, dass die Begründung für die Wirksamkeit einer Therapie häufig nicht das Ergebnis erklärt. Ein Ziel wissenschaftsorientierter Medizin ist es, pragmatisch-statistische und theoretisch-deterministische Erkenntnisse zusammenzuführen – wissenschaftlich ein oft mühsames Wechselspiel.

Sehr problematisch ist die Forderung der Homöopathie-Befürworter, nicht „einzelne Arzneimittel bzw. Indikationen“ in den Blick zu nehmen und den „stark individualisierenden Ansatz“ der Homöopathie zu berücksichtigen. Erstens hat dieser Ansatz Grenzen, sonst müsste jedem Patienten die wenig beruhigende Mitteilung gemacht werden, dass seine Krankheit einmalig ist. Zweitens wird mit einem solchen Hinweis in Frage gestellt, ob die Methodik der evidenzbasierten Medizin (EbM) überhaupt geeignet ist, homöopathische Therapien zu beurteilen. EbM verlangt eine klar definierte, in der Regel an Gruppen von Patienten zu beobachtende Gesundheitsstörung sowie auch eine klar definierte, möglichst einfach reproduzierbare Intervention. Mit Hilfe dieser Verfahren und falsifizierbaren pathophysiologisch-pharmakologischen Theorien wurden und werden fortlaufend unbestreitbar Fortschritte dabei gemacht, Krankheiten zu vermeiden, zu lindern, zu heilen und das Leben zu verlängern. Aber EbM legt auch die häufigen Irrtümer „positive(r) Beobachtungsstudien“ und „Kasuistiken“ offen. Die wissenschaftsorientierte Medizin verlässt Verfahren, für die der Nachweis positiver Wirkungen fehlschlägt. Wer behauptet, es lägen keine Beweise für mangelnde Wirksamkeit der Homöopathie vor, weil sie ja seit vielen Jahren erfahrungsgemäß gut wirke, setzt sich dem Verdacht aus, EbM in einem anderen Sinne zu verstehen und vor allem zur Werbung für eine Therapierichtung und nicht zur wissenschaftlichen Klärung einer Wirksamkeit zu gebrauchen.

Da es bisher nicht gelungen ist, eine pharmakologische Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel zu beweisen, sind ihre Wirkungen in erster Linie Plazeboeffekten zuzuordnen, wie sie bei allen Arzneimitteln vorkommen. In vergleichenden Arzneimittelstudien wird deshalb versucht, solche Effekte durch gleichzeitig mitgeführte Plazebo-Gruppen statistisch zu neutralisieren. Plazeboeffekte sind kein Schwindel, sondern objektivierbare und zunehmend erklärbare Folgen von Symbolen, Ritualen und Interaktionen, wie sie auch bei pharmakologisch wirksamen Therapien hinzukommen (10). Homöopathische Arzneimittel können deshalb – im Einzelfall keineswegs zu unterschätzen – Symptome verbessern oder verschlechtern, jedoch ohne pathophysiologische Prozesse zu verbessern, Krankheiten zu heilen oder das Leben zu verlängern. Nicht klar ist, welchen Anteil an Plazebowirkungen die (möglicherweise auch irrigen) Überzeugungen des Therapeuten haben. Wahrscheinlich sind sie nicht gering. Sie können den Behandelnden zwar von dem Vorwurf einer bewussten Täuschung des Patienten entlasten (11), nicht aber von der Verpflichtung zur Selbstreflexion (12).

Literatur

  1. AMB2015, 49, 32. Link zur Quelle
  2. Fisher, P., undErnst, E.: BMJ 2015, 351, h3735. Link zur Quelle
  3. Australian Government,National Health and Medical Research Council 2015. Link zur Quelle
  4. Haustein, K.O., et al.: Dtsch. Arztebl. 1998, 95,A-800. Link zur Quelle
  5. Ernst, E.: Br. J. Clin. Pharmacol. 2008, 65,163. Link zur Quelle
  6. House of Commons, Scienceand Technology Committee. Evidence Check 2: Homeopathy. Fourth Report ofSession 2009. Link zur Quelle
  7. National Center for Complementary andIntegrative Health (NCCIH). Link zur Quelle
  8. Anlauf, M., et al.:Ger. Med. Sci. 2015, 13, Doc05. Link zur Quelle
  9. Melchart, D., et al.: ProgrammEvaluation Komplementärmedizin (PEK). Schlussbericht. Bern 24.4.2005. Link zur Quelle
  10. Kaptchuk, T.J., und Miller, F.G.: N. Engl.J. Med. 2015, 373,8. Link zur Quelle
  11. Schöne-Seifert, B., et al.: Z. Evid. Fortbild. Qual.Gesundheitswes. 2015, 109, 236. Link zur Quelle
  12. Tetens, H.: Wissenschaftstheorie. Eine Einführung.C.H. Beck, München 2013.