Artikel herunterladen

Behandlung der Herzinsuffizienz: Aktuelles zu Sacubitril/Valsartan

Zusammenfassung: Die duale Wirksubstanz Sacubitril/Valsartan (Entresto®) ist seit einigen Monaten für die Behandlung der systolischen Herzinsuffizienz zugelassen und wird vom Hersteller seither intensiv beworben. Die Zulassungsstudie PARADIGM-HF hatte Vorteile hinsichtlich der kardiovaskulären Letalität und der Häufigkeit von Hospitalisierungen im Vergleich zum ACE-Hemmer Enalapril gezeigt, jeweils zusätzlich zur üblichen Standardtherapie. Auch die Verträglichkeit war besser. Die untersuchten Patienten waren allerdings selektiert: überwiegend relativ junge, stabile, wenig symptomatische Patienten, die von einer vorbestehenden Therapie mit einem ACE-Hemmer (ACEH) oder AT-II-Rezeptor-Blocker (AT-II-RB) auf Sacubitril/Valsartan umgestellt wurden. Hinsichtlich möglicher unerwünschter neurologischer Langzeiteffekte von Sacubitril gibt es noch keine Daten. Trotz der insgesamt positiven Bewertung sehen wir daher (noch) keine Veranlassung, Sacubitril/Valsartan als neuen Standard in der Herzinsuffizienztherapie umzusetzen. Insbesondere gibt es für folgende Szenarien keine ausreichende Evidenz: First-line-Therapie bisher unbehandelter Patienten, hochsymptomatische (NYHA IV) oder unter ACEH oder AT-II-RB dekompensierte Patienten.

Die Wirkstoffkombination Sacubitril/Valsartan ist der erste Vertreter einer neuen Substanzgruppe zur Behandlung der systolischen Herzinsuffizienz, der Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI). Über die im September 2014 publizierte (1) und wegen des positiven Effekts auf die Letalität vorzeitig abgebrochene Zulassungsstudie PARADIGM-HF haben wir damals ausführlich berichtet (2). Seither erfolgten seitens der regulatorischen Behörden (EMA und FDA) rasche Empfehlungen zur Marktzulassung sowohl in der EU (September 2015) als auch in den USA (Juli 2015) – mittlerweile läuft das Marketing bereits weltweit auf Hochtouren (Handelsname: Entresto®; Hersteller: Novartis). Die Prognosen zu den Umsätzen von Sacubitril/Valsartan für das Jahr 2020 – Nummer 1 unter den Blockbustern mit ca. 5 Mrd. US-$ weltweit – überraschen deshalb nicht (3). Wir entsprechen daher einem mehrfachen Leserwunsch und bringen – nach einer erneuten kurzen Zusammenfassung der Studiendaten und der Kritikpunkte – eine aktualisierte Einschätzung dieser als „Durchbruch“ in der Herzinsuffizienz-Therapie beworbenen Substanz.

Zulassungsstudie: In PARADIGM-HF wurden 8.442 herzinsuffiziente Patienten (NYHA-Stadien II-IV; EF ≤ 40%) nach 1:1-Randomisierung mit Sacubitril/Valsartan (Zieldosierung zweimal 97/103 mg/d) vs. Enalapril (Zieldosierung zweimal 10 mg/d) behandelt. Die Studientherapie ersetzte die bei allen Patienten vorbestehende Therapie mit einem ACEH oder AT-II-RB. Alle Patienten nahmen vor und während der Studie auch die übrigen Standardwirkstoffe ein (Betablocker, Spironolacton). Der primäre kombinierte Endpunkt (kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz) wurde von 914 Patienten (21,8%) in der Sacubitril/Valsartan- und von 1.117 (26,5%) in der Enalapril-Gruppe erreicht (Hazard Ratio = HR: 0,80; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,73-0,87; p < 0,001; Number needed to treat = NNT: 21); davon: Kardiovaskulärer Tod 13,3% vs. 16,5% (HR: 0,80; CI: 0,71-0,89; p < 0,001; NNT: 32), Hospitalisierungen 12,8% vs. 15,6% (HR: 0,79; CI: 0,71-0,89; p < 0,001). Hypotension (ganz überwiegend nicht schwerwiegend < 90 mm Hg) trat in der Sacubitril/Valsartan-Gruppe häufiger auf als in der Enalapril-Gruppe (14,0% vs. 9,2%; p < 0,001). Kreatininerhöhung, Hyperkaliämie und Husten waren hingegen seltener (2).

Kritikpunkte an der Zulassungsstudie: Die Ergebnisse der PARADIGM-HF-Studie mit der statistisch signifikanten Reduktion bei den Endpunkten und der Letalität sind klinisch durchaus relevant. Dennoch sind einige Punkte kritisch zu sehen:

  • Dosierung: Sacubitril/Valsartan wurde mit einer Zieldosis von zweimal 200 mg/d aufdosiert (darin enthalten: Valsartan zweimal 103 mg/d, laut Hersteller in der Wirkung der Maximaldosis von zweimal 160 mg/d Monotherapie entsprechend, denn Sacubitril erhöht die Bioverfügbarkeit). Enalapril wurde nur mit einer Zieldosis von zweimal 10 mg/d dosiert (die maximal mögliche Tagesdosis wäre zweimal 20 mg/d). Die tatsächlich eingenommenen Dosen lagen dementsprechend bei 375 ± 71 mg Sacubitril/Valsartan vs. 18,9 ± 3,4 mg Enalapril. Letzteres entspricht im Vergleich mit anderen Studien zur Herzinsuffizienz zwar durchaus einer (nachgewiesenermaßen letalitätssenkenden) Dosierung im oberen Mittelfeld, dennoch kann man postulieren, dass mit einem höheren Dosis-Zielwert von Enalapril eine noch bessere Wirksamkeit hätte erreicht werden können.
  • Vergleich mit Enalapril: Bei Enalapril handelt es sich um den am besten untersuchten Wirkstoff in der Herzinsuffzienztherapie mit der höchsten Reduktion der Letalität (auch im Vergleich zu Valsartan). Die Frage, wie Sacubitril/Valsartan im Vergleich mit einer maximal dosierten Valsartan-Monotherapie mit zweimal 160 mg/d abgeschnitten hätte, bleibt damit offen.
  • Fixkombination Sacubitril/Valsartan: Nicht ganz klar ist, warum die Sacubitril-Komponente nicht als Einzelsubstanz zusätzlich zur Standardtherapie geprüft wurde. Möglicherweise wollte man vermeiden, dass es zu einer Kombination mit ACEH kommt, die in früheren Studien häufiger die Nebenwirkung Angioödem gezeigt hatte (4). Ein anderer Grund dürfte aber auch gewesen sein, dass der Hersteller die Molekülkombination im Zulassungsverfahren als „neue chemische Entität“ anmelden und patentieren konnte, was mit zwei „älteren“ Wirkstoffen wohl nicht möglich gewesen wäre.
  • Selektionsbias: In PARADIGM-HF wurden mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren verhältnismäßig junge Patienten eingeschlossen, davon waren 80% männlich. Die Patienten hatten relativ gering ausgeprägte Krankheitssymptome (ca. 5% NYHA I; 70% NYHA II; 24% NYHA III; 1% NYHA IV). Hinsichtlich der Häufigkeit von Nebenwirkungen ist zu bedenken, dass 12% der Studienpatienten bereits in einer sogenannten „Run-in-Periode“ wegen Nebenwirkungen (unter Sacubitril/Valsartan bzw. unter Enalapril) ausschieden, so dass nur eine selektierte Patientengruppe mit „guter Arzneimittelverträglichkeit“ zur Randomisierung gelangte. Ob eine Behandlungssituation wirklich realitätsnah ist, wenn nur Patienten mit guter Verträglichkeit der Studienmedikation und guter Adhärenz einbezogen werden, ist fraglich. Im Studienverlauf musste Sacubitril/Valsartan allerdings weniger oft wegen Nebenwirkungen abgesetzt werden als Enalapril (10,7% vs. 12,3%; p = 0,03).
  • Subgruppen: Der in PARADIGM-HF beobachtete Effekt auf den kombinierten Endpunkt und auf die kardiovaskuläre Letalität war zwar in allen präspezifizierten Subgruppen zu beobachten, allerdings mit einigen beachtenswerten, wenn auch nicht ganz konsistenten Unterschieden: jüngere Patienten (< 75 Jahre) und Patienten mit leichterer Symptomatik (NYHA I, II), aber auch Patienten mit geringerer EF (≤ 35%), scheinen besonders von Sacubitril/Valsartan zu profitieren. Ältere (≥ 75 Jahre), Patienten mit stärker ausgeprägten Symptomen (NYHA III, IV), aber auch Patienten mit besserer EF (> 35%) sowie Patienten aus den Regionen Westeuropa (!) und Asien-Pazifik scheinen nicht so sehr zu profitieren.

Fragliches Demenzrisiko: Das durch Sacubitril antagonisierte Enzym Neprilysin baut nicht nur vasoaktive Peptide ab, sondern auch Beta-Amyloid-Peptide. Diese bilden zerebrale Amyloidplaques und könnten nach tierexperimentellen Ergebnissen eine Rolle in der Pathogenese der Alzheimer-Demenz spielen. In PARADIGM-HF gibt es dazu keine Daten. Inwieweit eine solche, möglicherweise sich erst nach vielen Jahren klinisch manifestierende Nebenwirkung überhaupt in Studien erfasst werden kann, ist zweifelhaft. Hier werden wohl erst Langzeitdaten aus Registern Aufschluss bringen.

Wirkung auf Biomarker: Auch der Abbau von Brain Natriuretic Peptide (BNP) wird durch Sacubitril gehemmt, sodass dieser Marker bei Patienten, die unter Sacubitril/Valsartan-Therapie stehen, seine Aussagekraft verliert. Dies trifft nicht auf N-Type-proBNP zu.

Derzeit zugelassenes Indikationsgebiet und Dosierung: Sacubitril/Valsartan wurde zugelassen zur Behandlung einer symptomatischen, chronischen Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion bei erwachsenen Patienten (5). Hier ist kritisch anzumerken, dass Sacubitril/Valsartan in der PARADIGM-HF-Studie nicht als First-line-Therapie, sondern nur bei vorbestehender ACEH- oder AT-II-RB-Therapie zum Einsatz kam. Die Dosis soll laut Fachinformation von anfangs zweimal 49/51 mg/d alle 2 bis 4 Wochen bis zur Zieldosis von zweimal 97/103 mg/d verdoppelt werden, soweit vom Patienten toleriert (5). Analog zu ACEH und AT-II-RB sollte auch Sacubitril/Valsartan mit den anderen Komponenten der neurohumoralen Herzinsuffizienztherapie (Betablocker, Spironolacton etc.) kombiniert werden.

Nebenwirkungen und Kontraindikationen: Die in der Fachinformation entsprechend der PARADIGM-HF-Studie aufgeführten häufigsten klinisch relevanten Nebenwirkungen sind Hypotension (18%), Hyperkaliämie (12%), Nierenfunktionsstörung (10%) und Angioödem (0,5%). Kontraindikationen sind: Hyperkaliämie (Serum-Kalium > 5,4 mmol/l), Hypotonie (systolisch < 100 mm Hg), bekanntes Angioödem, gleichzeitige Anwendung von ACEH, gleichzeitige Anwendung von Aliskiren bei Patienten mit Diabetes oder Niereninsuffizienz, schwere Leberinsuffizienz, Schwangerschaft im 2. oder 3. Trimenon. Die Umstellung auf Sacubitril/Valsartan sollte wegen des Angioödem-Risikos frühestens 36 Stunden nach Absetzen eines ACEH erfolgen (5).

Kosten: Die Tagestherapiekosten für Entresto® sind mit derzeit ca. 7,50 € im Verhältnis zu anderen neuen Arzneimitteln zwar moderat, liegen aber deutlich über denen von ACEH oder AT-II-RB (6). Novartis geht in der Preisgestaltung neue Wege in Form erfolgsabhängiger Rabatte: Mit zwei US-amerikanischen Krankenkassen wurde beispielsweise vereinbart, den Preis zu senken, falls der Klinikaufenthalt von Patienten einen vordefinierten Schwellenwert überschreiten sollte – quasi eine Geld-zurück-Garantie bei ausbleibendem Erfolg, mit der versucht wird, Fairness zu signalisieren (7; vgl. 8).

Nutzenbewertung und Leitlinien: Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sieht im Rahmen der frühen Nutzenbewertung einen „Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen“ von Sacubitril/Valsartan im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie (Enalapril; 9). Demgegenüber besteht aus Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) nur für die in der PARADIGM-HF-Studie untersuchte Teilpopulation ein „Hinweis für einen beträchtlichen Zusatznutzen“ und für die gesamte, von der Zulassung umfasste Population nur „ein Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen“ (10). Mit dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zum Zusatznutzen wird im Juni 2016 gerechnet. Leitlinien europäischer und US-amerikanischer Fachgesellschaften, in denen Sacubitril/Valsartan wohl einen hohen Empfehlungsgrad erhalten wird, sind im Laufe dieses Jahres zu erwarten.

Literatur

  1. McMurray,J.J.V., et al. (PARADIGM-HF = Prospective comparison of ARNI withACE-I to Determine Impact on Global Mortalityandmorbidity in Heart Failure): N. Engl. J. Med.2014, 371,993. Link zur Quelle
  2. AMB2014, 48, 75. Link zur Quelle
  3. Mullard,A.: Nat. Rev. Drug Discov. 2016, 15, 73. Link zur Quelle
  4. Packer,M., et al. (OVERTURE = Omapatrilat Versus Enalapril RandomizedTrial of Utility in Reducing Events): Circulation 2002,106, 920. Link zur Quelle
  5. FachinformationEntresto, Novartis. Link zur Quelle
  6. Lauer-Taxe2016. Link zur Quelle
  7. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/02/09/ bleibt-der-behandlungserfolg- aus-senkt-novartis-den-preis Link zur Quelle
  8. AMB2011, 45, 81. Link zur Quelle
  9. https://www.iqwig.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen/ sacubitril/valsartan-bei-chronischer-herzinsuffizienz-hinweis-auf-betrachtlichen-zusatznutzen.7235.html Link zur Quelle
  10. http://www.akdae.de/Stellungnahmen/AMNOG/A-Z/Sacubitril-Valsartan/Sacubitril-Valsartan.pdf Link zur Quelle