Wir haben mehrfach zur Testosteron(T)-Substitution bei älteren Männern ohne eindeutigen Hypogonadismus Stellung genommen (1-3). Als Argument für die T-Substitution auch ohne nachgewiesenem Hypogonadismus wird von den Befürwortern fälschlicherweise ein männliches Klimakterium (Andropause) postuliert, bei dem niedrige T-Serum-Konzentrationen die (Mit)ursache sind für schlechte Laune, verminderte Libido, Muskelschwäche und Zunahme des Körperfetts. Dieses Thema hat neben sachlichen medizinischen auch vage Anti-Aging- und konkrete ökonomische Aspekte. So wurde z.B. in Großbritannien ein T-Gel beworben mit der Aufforderung: „Give him back his oomph“ (= Sexappeal; zit. n. 4). In der britischen TOM-Studie von Basaria et al. 2010 (2) waren ältere Männer (im Mittel 74 Jahre alt) mit zahlreichen Gebrechen und relativ niedrigen alters-assoziierten T-Werten im Serum mit T-Gel transkutan behandelt worden. Manche der Beschwerden besserten sich im Vergleich mit Plazebo. Die Studie wurde jedoch wegen häufigerer kardiovaskulärer Komplikationen in der Verum-Gruppe nach sechs Monaten beendet.
Im N. Engl. J. Med. wurde kürzlich eine von den US-National Institutes of Health (NIH) vorgeschlagene und auch finanzierte, aufwändige Studie zum gleichen Thema veröffentlicht (5). 51.085 Männer, > 65 Jahre alt, wurden zum Screening für diese Studie eingeladen. Voraussetzung für das Screening waren Beschwerden im sexuellen Bereich, wie Libidomangel oder erektile Dysfunktion (Komplex K 1), und/oder geringe körperliche Fitness (K 2) und/oder mangelnde Vitalität und Neigung zu Depression (K 3). Die drei Komplexe wurden mittels Standard-Fragebogen quantifiziert. Schwerere Allgemeinerkrankungen (außer z.B. Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas) und ein Risiko für Prostatakarzinom durften nicht vorliegen. Zusätzlich mussten alle einzuschließenden Probanden bei zwei morgendlichen Blutabnahmen durchschnittliche Gesamt-T-Werte im Serum von < 275 ng/dl haben. Die Messmethode für T (HPLC und Tandem-Massenspektrometrie) entsprach modernsten Standards. Der Grenzwert 275 ng/dl für Gesamt-T wurde Ergebnissen einer neueren Framingham-Studie entnommen, die bei gesunden Männern im Alter zwischen 19 und 40 Jahren diesen unteren Normalwert ergeben hatte. Für die Beurteilung ist wichtig, dass bei Männern mit organischem Hypogonadismus (Hodenerkrankungen, Hypophyseninsuffizienz) fast immer viel niedrigere Werte gemessen werden. Am Ende konnten nur 790 Männer (medianes Alter 72 Jahre) in die randomisierte, einfachblinde Studie eingeschlossen werden. 395 Männer trugen ein Jahr lang jeden Morgen 5 g eines 1%igen T-Gels (zur Verfügung gestellt von Firma AbbVie) auf die Haut auf (Verum-Gruppe), die anderen 395 Probanden ein Plazebo-Gel. Nach 3, 6, 9 und 12 Monaten wurden die Beschwerden zu den Komplexen 1-3 erneut erfasst und das Serum-T erneut gemessen. War der T-Wert im Serum ungenügend oder zu stark angestiegen, wurde die Dosis des T-Gels entsprechend angepasst, um Werte „im Normbereich für Männer von 19 bis 40 Jahren“ zu erhalten.
Ergebnisse: Das basale mediane Serum-T betrug in beiden Gruppen ca. 240 ng/dl und stieg in der Verum-Gruppe in den Monaten 3-12 auf ca. 500 ng/dl an. Auch das „freie“, d.h. nicht an Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG) gebundene T wurde gemessen und ergab einen Anstieg in der Verum-Gruppe von im Median ca. 53 pg/ml auf ca. 150 pg/ml.
Die sexuelle Aktivität nahm bei den Männern mit dem K-1-Beschwerdeprofil (bei ihnen musste vor Interventionsbeginn mindestens zweimal im Monat Geschlechtsverkehr möglich und erwünscht sein) in den Monaten 3, 6, und 9 signifikant zu im Vergleich mit Plazebo (p < 0,001). Im letzten Vierteljahr der Intervention nahm die sexuelle Aktivität bzw. erektile Potenz jedoch trotz des weiterhin erhöhten Serum-T deutlich ab.
Bei den Männern des K-2-Komplexes nahm die körperliche Fitness, ermittelt mit einem 6-Minuten-Gehstreckentest, nicht signifikant zu. Wurden alle Männer der drei Komplexe ausgewertet, dann hatten 20% in der T-Gruppe und 12% in der Plazebo-Gruppe aber einen Zuwachs bei der Gehstrecke von mindestens 50 m/6 Minuten.
Im Komplex K3 (Vitalität und Depression) ergaben sich durch T-Substitution keine signifikanten Verbesserungen, aber eine Tendenz zu „besserer Stimmung“.
Die Zahl der unerwünschten Ereignisse war in beiden Gruppen fast gleich. Allerdings waren Probanden mit wesentlichen kardiovaskulären Risiken von der Studie ausgeschlossen worden. Auch war die Teilnehmerzahl insgesamt zu klein, um die Risiken von Testosteron generell abschätzen zu können.
Diskussion: Die Ergebnisse ähneln denen der von uns referierten Studie aus dem Jahr 2007 (1), die mit Mitteln der Mayo Clinic Foundation und ebenfalls der NIH durchgeführt worden war. Allerdings ging es damals in erster Linie um die Verbesserung der „physical fitness“ und der Lebensqualität. Die jetzige Studie ergab eine leichte Verbesserung im Bereich des individuell und gesellschaftlich sehr komplexen Gebiets der Sexualität bei einem stark selektierten und kleinen Anteil von Männern (von 51.085 gescreenten wurden nur 790 eingeschlossen!). Außerdem waren sie primär an der Studienteilnahme interessiert. Eine weitere wichtige Einschränkung in der Aussagekraft der Ergebnisse ist zu bedenken: 62% der Studienteilnehmer hatten einen Body-Mass-Index (BMI) von > 30 kg/m2. Bei Adipositas werden jedoch oft niedrige Konzentrationen von SHBG im Serum gefunden, an das das meiste T gebunden ist. Das Gesamt-T im Serum ist deshalb bei Adipösen oft niedrig, das freie Testosteron, von dem die Versorgung der Körperperipherie mit T allein abhängt, ist aber normal. Obwohl im Verlauf der Studie von Snyder et al. (5) das freie T gemessen wurde, wurde der Einschluss in die Studie nur von einem relativ niedrigen Gesamt-T-Wert abhängig gemacht.
Die Ergebnisse dieser Studie sind wegen der selektierten Teilnehmer, der vermutlich multikausalen körperlichen Beschwerden und Ursachen eines niedrigen T nicht zu verallgemeinern. Wegen der nur moderaten Verbesserungen im Bereich der sexuellen Aktivität bei bisher nicht genau zu eruierenden Nebenwirkungen sind sie kaum eine Entscheidungshilfe für die Praxis. Ähnlich begrenzt wertet auch der Verfasser eines begleitenden Editorials die Ergebnisse (6). Wird jedoch im Rahmen der körperlichen und Labor-Diagnostik ein ausgeprägter organischer Hypogonadismus festgestellt, dann ist eine Behandlung mit T indiziert, es sei denn, es bestehen Kontraindikationen oder ein alter Patient lehnt diese Therapie ab (was nicht selten ist). Kognitive Leistungen werden durch eine T-Behandlung nach den Ergebnissen der TEEAM-Studie nicht verbessert (7).
Das Hauptproblem bei der „Behandlung“ mit T in den USA und in Europa ist, dass es ganz überwiegend Männern im mittleren Lebensalter aus Gründen des Anti-Aging sowie des Lifestyles und oft ohne adäquate Hormondiagnostik verordnet wird (4). Angesichts des enormen Zuwachses bei den Verkaufszahlen von T-Präparaten in den USA – (Verordnung in Deutschland 2014 16,9 Mio. DDD; Zuwachs 9,0% gegenüber 2013; 8) – und der widersprüchlichen und damit ungeklärten Gesundheitsrisiken (vgl. 9) hat die Food and Drug Administration (FDA) der USA im Jahr 2015 dringend vor einer ungerechtfertigten Verordnung von T gewarnt (10).
Fazit: In dieser sorgfältig geplanten und von dem US-amerikanischen NIH finanzierten Studie bei älteren Männern (Median: 72 Jahre alt) mit als unerwünscht empfundener reduzierter Sexualität und relativ niedrigem Gesamt-Testosteron im Serum (T) ergab eine transkutane Behandlung mit T-Gel, die das Serum-T in den Bereich gesunder jüngerer Männer anhob, eine moderate Verbesserung von Libido und Potenz. Hingegen bewirkte die Substitution von T bei älteren Männern mit verminderter Fitness oder verminderter Vitalität keine wesentliche Besserung der Beschwerden. Zu den möglichen Gesundheitsrisiken bei Langzeitverordnung kann diese Studie keinen Beitrag leisten.
Literatur
- AMB 2007, 41, 14 Link zur Quelle. Nair, K.S., et al.: N. Engl. J. Med. 2006, 355, 1647. http://www.nejm.org/… Link zur Quelle
- AMB 2010, 44, 77. Link zur QuelleBasaria, S., et al. (TOM = Testosteron in Older Men withsarcopenia): N. Engl. J. Med. 2010, 363, 109. Link zur Quelle
- AMB2012, 46, 37b. Link zur Quelle
- DrugTher. Bull. 2016, 54, 25. Link zur Quelle
- Snyder, P.J., et al., N.Engl. J. Med. 2016, 374, 611. Link zur Quelle
- Orwoll, E.S.: N. Engl. J. Med. 2016,374, 682. Link zur Quelle
- Huang, G., et al. (TEEAM= TEstosterone’s Effectson Atherosclerosis progression in Aging Men): Lancet DiabetesEndocrinol. 2016, 4, 657. Link zur Quelle
- Schwabe, U., und Paffrath, D.(Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2015. Springer-Verlag Berlin Heidelberg,2015. S. 1010.
- http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
- Nguyen, C.P., et al.: N.Engl. J. Med. 2015, 373, 689. Link zur Quelle