Chinolone bzw. Fluorchinolone (FC) gehören zu den sehr häufig eingesetzten Antibiotikagruppen. In Deutschland wurden 2016 im ambulanten Bereich ca. 32 Mio. und in Österreich 2015 4,1 Mio. Tagesdosen (DDD = Daily Defined Doses) verordnet (1, 2). Sehnenentzündungen und Sehnenrupturen, besonders der Achillessehne, sind seltene, aber bedeutsame Nebenwirkungen einer Behandlung mit FC (laut Fachinformationen „selten“, also ≥ 1/10.000 bis < 1/1.000; 3, 4). Die Inzidenz wird auf 2,4/10. 000 Verordnungen (Tendinitis) bzw. 1,2/10 .000 (Sehnenruptur) geschätzt (5), wobei es möglicherweise Unterschiede zwischen den verschiedenen Wirkstoffen der Gyrasehemmer gibt. Ein erhöhtes Risiko für Sehnenschädigungen unter FC haben besonders ältere Menschen, Niereninsuffiziente, Transplantierte und Patienten, die zugleich ein Glukokortikosteroid erhalten.
Der genaue Mechanismus der Sehnenschädigung durch FC ist nicht klar. Histologisch findet sich eine Entzündung und Zerstörung der Sehnen-Matrix. Eine vermehrte Aktivierung von Metalloproteinasen durch FC wird diskutiert. Laut Fachinformationen Ciprofloxacin und Levofloxacin können entsprechende Beschwerden bereits innerhalb von 48 Stunden bzw. bis zu mehrere Monate nach Beendigung der Therapie auftreten (3, 4). Patienten müssen bei Behandlungsbeginn auf dieses Risiko hingewiesen werden und sollen bei klinischen Anzeichen einer Tendinitis (z.B. schmerzhafte Schwellungen) die Behandlung sofort beenden.
Seit drei Jahren gibt es aus zwei Kohortenstudien aus Taiwan und Kanada Signale, dass FC möglicherweise auch die Aortenwand destabilisieren können (6, 7). Dieser Verdacht wird nun durch Ergebnisse einer aktuellen schwedischen Fall-Kontroll-Studie bestätigt (8). In dieser Untersuchung wurden retrospektiv die Daten aus vier landesweiten Gesundheitsregistern zusammengeführt (Arzneimittel-Verordnungsregister, Diagnose-Register, Statistics Sweden und das Todesursachenregister). Gesucht wurde nach Patienten, die ein FC verordnet bekamen und in den darauf folgenden 60 Tagen neu die Diagnose „Aortenaneurysma“ oder „Aortendissektion“ erhielten. Um Verzerrungen durch Störfaktoren zu minimieren, wurde die Kontrollgruppe aus Patienten rekrutiert, die im gleichen Zeitraum Amoxicillin (A) erhielten (A steht nicht im Verdacht, Aortenaneurysmen oder Dissektionen zu verursachen), und es erfolgte eine Risikoanpassung der beiden Kohorten mittels Propensity-Score-Matching.
Ergebnisse: Insgesamt wurden zwischen 2006 und 2013 über 2 Mio. Patienten mit einer FC- oder A-Verordnung identifiziert. Ausgeschlossen wurden u.a. Patienten mit einer zuvor bekannten Aortenerkrankung oder einer weiteren Antibiotikabehandlung in den vorausgehenden 120 Tagen. Letztlich befanden sich 360.088 Patienten in jeder Kohorte. Das Durchschnittsalter lag bei 68 Jahren, 55% waren Frauen. Die am häufigsten verwendeten FC waren Ciprofloxacin (78%) und Norfloxacin (20%).
Innerhalb von 60 Tagen wurde die Erstdiagnose eines abdominalen, thorako-abdominalen oder thorakalen Aortenaneurysmas oder einer Aortendissektion 64-mal in der FC-Kohorte und 40-mal in der A-Kohorte gestellt. Die meisten „Fälle“ traten innerhalb der ersten 10 Behandlungstage unter noch laufender Therapie auf. Am häufigsten waren abdominale Aneurysmen.
Die kumulative Inzidenz für die Entstehung von Aortenaneurysmen oder Dissektionen wurde mit 2,0 (FC) und 1,2 (A) pro 10.000 Behandlungen berechnet (Hazard ratio = HR: 1,66; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,12-2,46). Das sind 82 zusätzliche Fälle pro 1 Mio. Behandlungsepisoden mit FC. Dies bedeutet – eine 7-tägige Behandlung und die o.g. verordneten Tagesdosen zu Grunde gelegt – mindestens 370 (Deutschland) bzw. 48 (Österreich) zusätzliche Fälle pro Jahr im Zusammenhang mit einer FC-Behandlung. Da die Krankenhausverordnungen in den o.g. Tagesdosen nicht enthalten sind und in dieser retrospektiven Datenanalyse nicht systematisch nach Veränderungen an der Aorta gesucht werden konnte, dürfte die wahre Inzidenz deutlich höher sein.
Eine sekundäre Analyse zeigte, dass der Anstieg pathologischer Aortenveränderungen in erster Linie durch Aortenaneurysmen (HR: 1,90; CI: 1,22-2,96) verursacht wurde und nicht durch Dissektionen (HR: 0,93; CI: 0,38-2,29).
In den beiden Vorgängerstudien wurden noch höhere HR (2,2 bzw. 2,4) für Aortenaneurysmen unter FC berechnet (6, 7). In diesen Studien wurden jedoch die „Fälle“ mit der Normalbevölkerung verglichen und nicht mit einer Kohorte mit aktiver Vergleichsbehandlung.
Auf Grund dieser Beobachtungen und der „Persistenz seltener schwerwiegender Nebenwirkungen, die hauptsächlich Muskeln, Gelenke und das Nervensystem betreffen“ hat sich die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) entschlossen, ein öffentliches Sicherheitsbeurteilungsverfahren einzuleiten (9). Diese öffentliche Anhörung wird im Juni 2018 stattfinden. Es ist das zweite Mal, dass die EMA eine solche öffentliche Anhörung durchführt. Die erste fand im September 2017 statt und betraf die Bewertung von Valproat (vgl. 10). Auch die FDA hat bestehende Warnungen vor solchen Nebenwirkungen von FC aktualisiert und eine Behandlung mit diesen Antibiotika bei bakterieller Sinusitis, akuter Exacerbation einer chronischen Bronchitis und unkomplizierter Harnwegsinfektion auf Patienten beschränkt, bei denen es keine Alternative gibt (11).
Fazit: Eine schwedische Studie erhärtet den Verdacht, dass sich durch Behandlung mit (Fluor-)Chinolon-Antibiotika das Risiko für Aortenaneurysmen erhöht. Ob dieses Risiko durch alle Chinolone gleich stark erhöht wird, ist unklar. Die Konsequenz aus dieser Beobachtung sollte sein, die Indikation für die Verordnung von Fluorchinolonen noch strenger zu stellen, speziell bei Risikopatienten für Aortenerkrankungen (Alter > 65 Jahre, Raucher, Aneurysmen in der Familienanamnese, Marfan-Syndrom etc.).
Literatur
- Kern, W.V. in: Schwabe, U., Paffrath, D., Ludwig, W.-D., Klauber, J. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2017. Springer-Verlag GmbH 2017. S. 271.
- Schiller-Frühwirth, I.: Antibiotikaverbrauch im niedergelassenen Bereich. Hauptverband der Sozialversicherungsträger 2017. (Zugriff 23.3.2018). Link zur Quelle
- Fachinformationen Ciprofloxacin Sandoz®: (Zugriff 25.3.2018) Link zur Quelle
- Fachinformation Tavanic® (Zugriff 25.3.2018). Link zur Quelle
- Wilton, L.V., et al.: Br. J. Clin. Pharmacol. 1996, 41, 277. Link zur Quelle
- Lee, C.C., et al. JAMA Intern. Med. 2015, 175, 1839. Link zur Quelle
- Daneman, N., et al.: BMJ Open 2015, 5, e010077. Link zur Quelle
- Pasternak, B., et al.: BMJ 2018, 360, k678. Link zur Quelle
- https://www.bfarm.de/… (Zugriff 23.3.2018). Link zur Quelle
- AMB 2018, 52, 14. Link zur Quelle
- https://www.fda.gov/NewsEvents/… Link zur Quelle