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Hypertoniebehandlung beim Herrenfriseur

Eine im N. Engl. J. Med. aktuell publizierte Studie – unterstützt u.a. vom National Heart, Lung, and Blood Institute – zeigt deutliche Erfolge bei der Blutdrucksenkung hypertensiver afroamerikanischer Männer, wenn die Beratungen zum Lebensstil und die medikamentöse antihypertensive Behandlung in Friseurläden erfolgte, ohne direkte ärztliche Beteiligung (1).

Männer mit schwarzer Hautfarbe sind in den USA die Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Hypertonie-Prävalenz und der höchsten Inzidenz hypertoniebedingter Folgeerkrankungen, einschließlich Tod. Sie haben die wenigsten Arztkontakte, und die Hypertoniebehandlung und -kontrolle ist meist unzureichend. Zudem verhindern bei ihnen ACE-Hemmer in geringerem Maße als bei Weißen die Hypertonie-Folgekrankheiten, wie Herzinsuffizienz, Schlaganfälle und kardiovaskuläre Erkrankungen (vgl. 2). Seit längerem gibt es Versuche, diese Patientengruppe mit basisnahen Gesundheitsprojekten zu erreichen.

Methodik: Die in der Studie (1) teilnehmenden Herrenfriseurläden (Barbershops), die von Schwarzen geführt sein mussten, wurden 1:1 in zwei Gruppen randomisiert: In der Interventionsgruppe führten speziell ausgebildete Pharmazeuten in den Barbershops RR-Messungen, Beratungen zum Lebensstil, Elektrolytkontrollen und Arzneimittelverschreibungen durch. Letztere umfassten vorzugsweise Amlodipin, lang wirkende Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker oder ACE-Hemmer sowie Indapamid. Über die Ergebnisse dieser Beratungen ergingen Berichte an die betreuenden (Haus-)Ärzte, von denen zuvor schriftliche Zustimmungen eingeholt wurden, und regelmäßig wurden die Therapieschemata mit Hypertensiologen (= Studienautoren) abgestimmt. Persönliche Erfahrungsberichte der Patienten wurden in den Barbershops öffentlich ausgehängt. In der Kontrollgruppe wurde lediglich von zuvor entsprechend trainierten (informierten) Friseuren zu Modifikationen des Lebensstils und zur Vorstellung beim Hausarzt geraten. In beiden Gruppen bekamen die Patienten Nachsorgeempfehlungen, telefonische Erinnerungen für die Nachsorgeuntersuchungen und Gutscheine für monatliche Haarschnitte. Das primäre Screening der Kunden/Patienten wurde von nicht-akademischem Studienpersonal und teilweise auch von den Friseuren selbst durchgeführt. Studienteilnehmer mussten folgende Einschlusskriterien erfüllen: nicht-hispanische schwarze Männer, regelmäßige Kunden (≥ 1 Haarschnitt in 6 Wochen für ≥ 6 Monate), Alter 35-79 Jahre, Blutdruck (RR) ≥ 140 mm Hg an zwei Screeningtagen. Dialysepflichtige oder chemotherapeutisch behandelte Patienten wurden ausgeschlossen. Primärer Endpunkt war der systolische RR nach 6 Monaten.

Ergebnisse: Aus 52 Barbershops in Los Angeles County wurden 319 Patienten in die Studie eingeschlossen. Nachdem 7 bzw. 9 Patienten aus der Nachbeobachtung ausschieden (je ein Todesfall ohne Bezug zur Studie; 6 bzw. 8 Patienten zogen ihre Teilnahme zurück) wurden 132 Patienten aus 28 „Interventionsshops“ und 171 Patienten aus 24 „Kontrollshops“ ausgewertet. Die Baseline-Charakteristika, einschließlich der systolischen RR-Ausgangswerte (um 154 mm Hg), waren in beiden Gruppen sehr ähnlich. Die Senkung des systolischen RR war nach sechs Monaten in der Interventionsgruppe deutlich und hochsignifikant stärker als in der Kontrollgruppe (27,0 vs. 9,3 mm Hg; 95%-Konfidenzintervall = CI: 14,7-28,4; p < 0,001). Dasselbe traf auf den diastolischen RR zu (17,5 vs. 4,3 mm Hg; CI: 10,3-19,6; p < 0,001). Der prädefinierte RR-Zielwert (130/80 mm Hg nach den aktuellen US-Leitlinien; vgl. 3) wurde entsprechend signifikant häufiger in der Interventionsgruppe erreicht (bei 63,6% vs. 11,7%; CI: 2,5-12,8; p < 0,001). In keiner der beiden Gruppen kam es zu schweren Nebenwirkungen; in der Interventionsgruppe stiegen bei drei Patienten unter Indapamid die Kreatininwerte passager an. In beiden Gruppen blieben 95% der Patienten während des Nachbeobachtungszeitraums in der Kohorte.

Diskussion: Sowohl das Ausmaß des erreichten antihypertensiven Effekts als auch die geringe „Drop-out“-Rate sind bemerkenswert und liegen deutlich über den entsprechenden Werten anderer Hypertoniestudien mit vergleichbaren Ausgangswerten. Beides spricht für eine hohe Effektivität des gewählten medikamentösen und nicht-medikamentösen RR-Managements und für eine sehr gute Adhärenz der Studienpopulation. Die Studienautoren schlagen vor, ihre bewusst einfach gehaltenen, aber offensichtlich wirksamen Protokolle (für RR-Messungen und antihypertensive Therapie) in der basisnahen Gesundheitsversorgung breiter anzuwenden.

Die sehr gute Therapieadhärenz in der Studie ist wohl vor allem durch die besondere Nähe zum Alltagsleben der Patienten zu erklären: Sowohl Kontrolluntersuchungen (einschließlich Blutabnahmen) als auch die Abgabe der verschriebenen Arzneimittel erfolgten in den – von Schwarzen geführten – persönlichen Barbershops der Patienten. Zudem wurde durch die Möglichkeit für Patienten, eigene Erfahrungs- und Erfolgsberichte im Barbershop auszuhängen, interaktive Mechanismen („Peer Learning“) gefördert. Barbershops gehören in den USA – insbesondere in der „Black Community“ – traditionell zu den wenigen Orten, an denen Männer regelmäßig unter sich sein können. Sie ermöglichen soziale Interaktionen und offene Debatten, die sonst kaum möglich sind und können so eine wichtige Rolle in der Identitätsfindung spielen. Bezeichnenderweise war ein hoher Prozentsatz der an der Studie teilnehmenden Männer alleine lebend.

Die Aussagen der Studie werden durch einige Faktoren im Design der Studie eingeschränkt. Eine Verblindung der Teilnehmer und Durchführenden war naturgemäß nicht möglich. Die Nachbeobachtung ist mit 6 Monaten recht kurz; eine Nachfolgestudie über diesen Zeitraum hinaus läuft derzeit. Die Kosteneffizienz der – trotz sehr reduzierter ärztlicher Beteiligung – doch personalintensiven Maßnahmen müsste noch evaluiert werden, insbesondere auch im Hinblick auf klinische Endpunkte. Um die Übertragbarkeit auf ein größeres Patientenkollektiv zu ermöglichen und zu evaluieren, müssten weitere Einschlusskriterien gelten. Zudem ist die in der vorliegenden Studie untersuchte Patientengruppe so spezifisch (US-amerikanische, männliche schwarze Patienten mit eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem und generell eingeschränkten Sozialkontakten), dass eine Übertragbarkeit der Ergebnisse oder Erweiterung auf andere Patientengruppen in den meisten westlichen Industrienationen kaum denkbar (und vermutlich auch nicht notwendig) erscheint. Schließlich ist das Ergebnis der Studie auch Ausdruck einer Ineffizienz des bestehenden US-amerikanischen Gesundheitssystems. Trotz der ungelösten Fragen, wer die Kosten (Arzneimittel, Personal) eines solch ungewöhnlichen Behandlungsmodells in den USA künftig übernehmen wird, steht die Autorin des begleitenden Editorials (4) positiv zu diesen Aktivitäten: „Unsere Patienten verlangen, dass wir neue Behandlungsmodelle entwickeln“.

Fazit: Eine US-amerikanische Studie zeigte bei hypertensiven schwarzen Männern eine gute Wirksamkeit und sehr gute Adhärenz zu einer antihypertensiven medikamentösen Behandlung, wenn diese – ohne ärztliche Beteiligung – durch Pharmazeuten zusätzlich zu Beratungen zum Lebensstil in Friseurläden (Barbershops) durchgeführt wurde. An dem eindrucksvollen Ergebnis hat die sehr basisnahe Betreuung in einem sozial in hohem Maße akzeptierten Umfeld großen Anteil. Die Studie belegt Wirksamkeit und Wert solcher Community-Health-Maßnahmen bei unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen. Sie zeigt damit aber auch die Unzulänglichkeiten des US-amerikanischen Gesundheitssystems. Die Ergebnisse sind nicht auf andere Populationen zu übertragen.

Literatur

  1. Victor, R.G., et al.: N. Engl. J. Med. 2018, 378, 1291. Link zur Quelle
  2. Ogedegbe, G., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2015, 66, 1224. Link zur Quelle
  3. AMB 2017, 51, 89. Link zur Quelle
  4. Margolis, K.L.: N. Engl. J. Med. 2018, 378, 1345. Link zur Quelle