Artikel herunterladen

Produktionsbedingte Kontamination von Valsartan-Präparaten: Weitere Informationen

Während die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) noch eine wissenschaftliche Bewertung der mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) kontaminierten Valsartan-Generika durchführt und bereits Schätzungen zum Krebsrisiko dieser Kontamination veröffentlicht (1, 2), berichtet die Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ) regelmäßig über geänderte Synthesewege von Valsartan, toxikologische Aspekte des potenziell kanzerogenen NDMA und versucht dadurch, die Hintergründe dieses bedeutsamen und besorgniserregenden Arzneimittelskandals zu eruieren (vgl. 15). Dies soll in Folge kurz zusammengefasst und bewertet werden.

Wo ist die Quelle der Verunreinigung? Die betroffenen Valsartan-Chargen kommen von einem bekannten Hersteller, dem börsennotierten chinesischen Pharmakonzern Zhejiang Huahai Pharmaceutical. Dieser hat 11 Tochterunternehmen und mindestens 6.000 Mitarbeiter an 4 Standorten in China und den USA. Er stellt u.a. 21 verschiedene Wirkstoffe (API: active pharmaceutical ingredients) für die Generikaproduktion her, darunter auch Citalopram, Paroxetin, Risperidon und Torasemid. Wichtigste Produkte sind aber nach Angaben von Zhejiang Huahai Pharmaceutical die Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems. Auf der vorübergehend nicht mehr erreichbaren englischsprachigen Homepage bezeichnet sich Zhejiang Huahai Pharmaceutical als weltweit größter Hersteller von ACE-Hemmern („Pril Specialist“; 3). Darüber hinaus sind auch 5 Sartane im Portfolio: Valsartan, Candesartan, Losartan, Irbesartan und Telmisartan.

Wie kam es zu der Kontamination? Valsartan wurde 1991 von Ciba-Geigy (heute Novartis) patentiert. Der Patentschutz lief 2011 aus. Zhejiang Huahai Pharmaceutical stellt Valsartan wahrscheinlich seit 2012 her. Im Jahr 2014 ließ sich die Firma ein neues Herstellungsverfahren für Valsartan patentieren (U.S. Pat. No. 5,399,578). Der neue Syntheseweg erlaube eine höhere Qualität und eine größere Ausbeute. Bei diesem Verfahren fallen jedoch andere Zwischenprodukte an als beim klassischen Syntheseverfahren, darunter das potenzielle Karzinogen NDMA (4). Dies hat der Hersteller entweder nicht bemerkt, nicht ernst genommen und/oder verschwiegen.

Wie stark ist die Kontamination mit NDMA? Mitarbeiter des Zentrallaboratoriums der Deutschen Apotheker (ZL) haben in einer Stichprobe den NDMA-Gehalt von zurückgerufenen Valsartan-Chargen untersucht (5). Dabei kamen sie auf ca. 4-10 μg NDMA pro Tablette mit 160 mg und 16-22 μg pro Tablette mit 320 mg Valsartan. In Valsartan-Generika, die nicht vom Rückruf betroffen waren (Kontrollen), konnte das ZL kein NDMA nachweisen. Wenn die Kontamination mit NDMA seit 2014 besteht (was noch unklar ist), könnte ein Patient, der täglich 320 mg kontaminiertes Valsartan eingenommen hat, theoretisch über 3,5 Jahre eine Gesamtdosis von > 25 mg NDMA eingenommen haben.

Wie gefährlich ist NDMA? NDMA bzw. eines seiner Abbauprodukte (Methyldiazonium) ist ein potenzielles Karzinogen. Es wirkt genotoxisch (Veränderung der Erbsubstanz), da es mit der DNA interagiert und sie verändert. Im Tierversuch begünstigt NDMA Tumoren in der Leber, den Gallenwegen, der Nieren, Lunge und den Blutgefäßen (Hämangiome). Es kommt auch in vielen Lebensmitteln vor, besonders in Pökel- und Räucherware (etwa 2,5 µg/kg). Die mittlere Aufnahme von Nitrosaminen aus Lebensmitteln wird auf insgesamt 0,3 µg pro Tag geschätzt (5). Nitrosamine sind auch im Zigarettenrauch enthalten: 20 Zigaretten täglich führen zur Aufnahme von 17-85 µg Nitrosaminen (5). Der NDMA-Gehalt in den Valsartanprodukten ist also sicher nicht trivial.

Grenzwerte für eine unbedenkliche NDMA-Aufnahme existieren nicht. Für NDMA – wie auch für andere potenziell kanzerogene Stoffe – liegen jedoch keine ausreichenden Daten aus epidemiologischen und anderen Studien vor, die es erlauben, die Höhe des Risikos beim Menschen in Abhängigkeit von der Dosis abzuschätzen (6). Der Berliner Pharmakologe und Toxikologe Ralf Stahlmann hält angesichts einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung in Bezug auf die Genotoxizität NDMA-verursachte Krebserkrankungen bei Menschen für durchaus möglich (7). Daher gilt für Nitrosamine das ALARA-Prinzip: („As low As Reasonably Achievable“), also so wenig wie möglich.

Die EMA geht derzeit von einem zusätzlichen Krebsfall bei 5.000 exponierten Patienten aus, unter der Annahme, dass über 7 Jahre täglich 320 mg kontaminiertes Valsartan eingenommen wurde (8). Die EMA weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass diese Schätzung auf einer Extrapolation aus Ergebnissen von Tierexperimenten beruht. Dabei sei sowohl das lebenslange Risiko, in Europa an Krebs zu erkranken (1 in 3), als auch die Aufnahme von NMDA aus anderen Quellen (s.o.) zu berücksichtigen. Ähnlich lautet die Einschätzung der Food and Drug Administration: ein zusätzlicher Krebsfall pro 8.000 Patienten, die über einen Zeitraum von vier Jahren eines der kontaminierten Valsartan-Präparate in der höchsten Dosis von 320 mg eingenommen haben (9). Wir halten – ebenso wie die Deutsche Apothekerzeitung (10) – diese Schätzungen von EMA und FDA, die die betroffenen Patienten sicher sehr verunsichern, für wenig aussagekräftig und derzeit nicht nachvollziehbar.

Wer trägt die Verantwortung für die Kontamination? In erster Linie ist selbstverständlich der chinesische Hersteller für die endogene Verunreinigung seines Produkts mit NDMA verantwortlich. Er hat – möglicherweise aus ökonomischen Gründen – den Herstellungsprozess von Valsartan verändert und dabei offensichtlich Fehler begangen. Die beim neuen Syntheseverfahren entstehenden toxischen Produkte wurden (warum auch immer) nicht entdeckt oder ignoriert, da in der qualitätssichernden Analytik nicht gezielt nach ihnen gesucht wurde (4). Diese Vorgänge sind ein Verstoß gegen die „Good Manufacturing Practice“ (GMP). Wenn sich im Weiteren herausstellen sollte, dass dies dem Hersteller bekannt war und sogar billigend in Kauf genommen wurde, dann handelt es sich um vorsätzliche Körperverletzung. Der Hersteller sollte sich dann dauerhaft als Bezugsquelle von Arzneimitteln disqualifiziert haben.

Nach Durchsicht der Patentschrift des verwendeten Verfahrens (U.S. Pat. No. 5,399,578) kommen die Pharmazeuten Helmut Buschmann und Ulrike Holzgrabe zu dem Schluss: „dass unter Angabe des veränderten Reaktionsweges die Bildung der problematischen Verunreinigung NDMA, basierend auf den bekannten Reaktivitäten der verwendeten Reagenzien, vorhersehbar war“ (4). Wenn dies so ist, dann hätte dies nicht nur dem Hersteller, sondern auch den Aufsichtsbehörden auffallen müssen.

Um die mögliche Mitschuld der Aufsichtsbehörden zu verstehen, müssen einige Details des Zulassungsprozesses von Arzneimitteln kurz dargestellt werden. Jedes Arzneimittel wird im Europäischen Arzneibuch (Pharmakopöe = Ph. Eur.) genau beschrieben (11). Die Produkt-Monographien im Ph. Eur. beinhalten u.a. detaillierte Angaben zu Herstellungs- und Prüfverfahren, das Verunreinigungsprofil und die zur Prüfung verwendeten Stoffe, Materialien und Methoden. Bei einem Zulassungsantrag muss der Antragsteller nachweisen, dass die Herstellungs- und Kontrollprozesse denen in der Ph. Eur. entsprechen. Zuständig für die Prüfung ist das Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln (EDQM) in Straßburg, das auch das sog. „Certificate of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia“ (CEP) vergibt (12). Ändert ein Hersteller ein Verfahren, muss er dies dem EDQM mitteilen und begründen. Nach einer Prüfung aktualisiert das EDQM dann das jeweilige CEP. Der Hersteller muss alle seine Abnehmer hierüber informieren, damit diese ihre Prüfverfahren anpassen können.

Helga Blasius von der DAZ recherchierte beim EDQM, dass der chinesische Hersteller die kritische Verfahrensänderung tatsächlich mitgeteilt und die Behörde 2016 hierfür ein Zertifikat ausgestellt hat (CEP Nr. 2010-072 vom 9.6.2016, suspendiert am 9.7.2018). Allerdings sei die endogene Verunreinigung mit NDMA im eingereichten Dossier nicht angegeben worden und auch bei den Qualitätskontrollen beim EDQM nicht aufgefallen. Dies läge daran, dass die Bildung der kontaminierenden Stoffe an bestimmte Reaktionsbedingungen gebunden sei, die mit den verwendeten analytischen Methoden nicht nachgewiesen werden konnten. Das EDQM sei sich deshalb des Risikos nicht bewusst gewesen (13). Die Handlungen des EDQM und die Prüfverfahren zur Erteilung eines CEP sind bei der Aufklärung des aktuellen Falles von entscheidender Bedeutung. In jedem Fall sollte für die Zukunft sichergestellt werden, dass, wenn die Prüfung beim Hersteller versagt, die nachfolgenden Prüfebenen den Fehler erkennen, bevor ein CEP erteilt wird.

Auch die Information, dass die NDMA-Verunreinigung nicht bei einer von mehreren Kontrollbesuchen von EDQM und FDA bei Zhejiang Huahai Pharmaceutical entdeckt, sondern nur durch einen anonymen Hinweis aus der Branche bekannt wurde (4), stimmt sehr bedenklich. Dies muss als Indiz gewertet werden, dass es auch bei der Überwachung der Good Manufacturing Practice Mängel gibt (4).

Auch die Zulassungsinhaber tragen eine Mitverantwortung. Wenn sie einen API von einem Hersteller in China importieren und in der EU in Verkehr bringen, sind sie für dessen Qualität verantwortlich. Das ist jedoch nicht so einfach. Sie erhalten zwar vom Hersteller detaillierte Dokumente über ihre Ware wie das „Active Substance Master File“ (ASMF, früher: Wirkstoff-Stammdokumentation), dieses beinhaltet jedoch neben einem offenen Teil („applicants part“) mit Details zur Analyse und Qualitätskontrolle auch einen vertraulichen Teil („restricted part“) mit dem genauen Syntheseweg. Dieser vertrauliche Teil schützt das Herstellerwissen und ist nur für die Zulassungsbehörden sichtbar. Der Importeur und Zulassungsinhaber muss sich also auf die für ihn einzusehenden Herstellerangaben und auf das CEP-Zertifikat des EDQM verlassen. Der Importeur muss aber offenbar nicht zwangsläufig vom Hersteller darüber informiert werden, wenn dieser einen Syntheseweg verändert. Er muss nur informiert werden, wenn die Änderungen Auswirkungen auf die Qualitätsprüfung haben (4).

Mit dieser Geheimhaltungspolitik wird nach unserer Einschätzung dem Importeur und Zulassungsinhaber ein nicht kalkulierbares Risiko auferlegt. Denn Unwissenheit schützt bekanntlich nicht vor Strafe. Produktmonographien und behördliche Zertifikate entbinden den Zulassungsinhaber nicht von einer ausreichenden Wareneingangskontrolle. Es stellt sich daher auch die Frage, ob die Importeure ihre Prüfverpflichtung vernachlässigt und somit fahrlässig gehandelt haben. In jedem Fall sollten die Zulassungsinhaber künftig die Möglichkeit erhalten, den gesamten Herstellungsprozess selbst überprüfen zu können. Diese zusätzliche Prüfebene würde auch künftige Fälle produktionsbedingter Kontaminationen weniger wahrscheinlich machen.

Sind noch weitere endogen kontaminierte Generika zu erwarten? Es ist nicht auszuschließen, dass die Kontamination von Valsartan-Tabletten mit NDMA nur die Spitze eines Eisbergs ist. Da bei der Synthese von anderen Sartanen, abhängig vom gewählten Herstellungsverfahren, ebenfalls eine endogene Kontamination mit NDMA entstehen kann (4), muss dies von den zuständigen Behörden und Institutionen rasch geprüft und ausgeschlossen werden.

Wie groß die Verunsicherung in der Branche ist, zeigt der Rückruf von Irbesartan „aus Gründen des vorbeugenden Patientenschutzes“ durch den französischen Hersteller Hormosan am 27.7.2018. Der pharmazeutische Unternehmer sah sich zu diesem Schritt veranlasst, „da aus heutiger Sicht eine produktionsbedingte Verunreinigung mit NDMA (…) nicht mit 100-prozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden kann“. Die Herkunft seines Irbesartans hat der Unternehmer bislang nicht preisgeben (14).

Literatur

  1. EMA Pressemitteilung Juli 2018. Link zur Quelle
  2. EMA Pressemitteilung August 2018. Link zur Quelle
  3. http://en.huahaipharm.com/content.asp?info_kind=001002 Link zur Quelle (Zugriff am 4.8.2018).
  4. Buschmann, H., und Holzgrabe, U.: NDMA in Valsartan – Eine Spurensuche. DAZ 2018, 29, 22. Link zur Quelle
  5. PZ Online 30/2018. Link zur Quelle
  6. Information der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker zum Rückruf Valsartan-haltiger Arzneimittel. Link zur Quelle
  7. Stahlmann, R.: DAZ 2018, 30, 30. Link zur Quelle
  8. http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
  9. https://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm613916.htm Link zur Quelle
  10. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/ artikel/2018/08/01/valsartan-fda-jongliert-mit- nicht-nachvollziehbaren-zahlen-zum-krebsrisiko Link zur Quelle
  11. https://www.bfarm.de/ SharedDocs/Downloads/DE/ Arzneimittel/Zulassung/ZulRelThemen/azbuch/ 10azBuecher/ Inhaltsverz_Deutsch_7_Ausgabe.pdf?__blob=publicationFile&v=30 Link zur Quelle
  12. https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/ Pharmakovigilanz/CEP/_artikel.html?nlId=8656530 Link zur Quelle
  13. Blasius, H.: DAZ 2018, 31, 20. Link zur Quelle
  14. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/ artikel/2018/07/26/erster-irbesartan-rueckruf Link zur Quelle
  15. AMB 2018, 52, 55. Link zur Quelle