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Pseudowissenschaftliche Veröffentlichungen und Kongresse: Unseriöse Allianz von Autoren und Verlagen

Peter Onneken ist ein deutscher Journalist. Er hat Politikwissenschaften und Soziologie studiert und keinen medizinischen Hintergrund. Im Rahmen einer Recherche zu „Superfoods“ ist ihm aufgefallen, dass viele der zum Wirksamkeitsbeleg angeführten „wissenschaftlichen Studien“ von äußerst minderer Qualität sind. Trotzdem konnten sie von den Autoren in internationalen Journalen mit „Open Access“ publiziert werden, und sie hatten angeblich sogar einen Peer-Review-Prozess durchlaufen.

Open-Access-Zeitschriften sind Zeitschriften, deren Artikel unmittelbar mit Erscheinen der Zeitschrift kostenlos und frei von weiteren Einschränkungen weltweit zugänglich sind (vgl. 14). Meist zahlen die Autoren oder die Institute, in denen sie arbeiten, für die Veröffentlichung eine Gebühr. Die Grundidee von Open Access ist prinzipiell sehr gut: ein freier Zugang zu wissenschaftlichen Daten. Leider wird die Idee zunehmend von unseriösen Verlagen zum Geschäftemachen missbraucht.

Um den Vorgängen, wie pseudowissenschaftliche Studien in derartige „Fachzeitschriften“ gelangen können, weiter auf den Grund zu gehen, erfand Onneken selbst eine Studie. Er gründete ein fiktives „Institute of Diet and Health“ und testete als dessen „Head of Research“ den Effekt von Chia-Samen – diese werden wegen ihres Gehalts an Omega-3-Fettsäuren, Mineralien und löslichen Ballaststoffen als „Superfood“ beworben (vgl. 16) – auf die kognitiven Fähigkeiten von Studenten. Die Probanden hatten drei einfache Tests durchzuführen, darunter auch den Zusammenbau eines 111-teiligen LEGO-Flugzeug-Modells. Die Tests wurden zweimal im Abstand von 3 Wochen durchgeführt. Die Interventionsgruppe konsumierte zwischen den beiden Tests täglich 5 g Chia-Samen. Dank einer manipulierten Gruppenzuteilung schnitt die Interventionsgruppe beim zweiten Test besser ab als die Kontrollgruppe.

Onneken schrieb hierüber nun einen 2 Seiten langen Artikel mit dem Titel „Chia-Samen als Brain Superfood – wie Chia die Intelligenz steigert“. In dem Paper werden weder die Zahl der teilnehmenden Probanden noch irgendwelche statistischen Analysen (oder Auswertungen) genannt. Der Methodikteil ist derart fragmentarisch, dass er keinen Peer-Review überstehen darf. Da der p-Wert beim LEGO-Test 0,048 betrug, wurde gefolgert, dass der Verzehr von Chia-Samen die kognitiven Fähigkeiten von Studenten tatsächlich verbessert.

Das Paper reichte er beim Journal of Nutrition and Food Sciences (JNFS) ein, ein Open-Access-Journal der OMICS International-Gruppe. Dieser in Indien ansässige Verlag vertreibt nach eigenen Angaben 700 Zeitschriften aus verschiedenen Fachrichtungen und veranstaltet zudem eine Unzahl wissenschaftlicher Kongresse weltweit (1). Im JNFS werden angeblich alle Artikel begutachtet („Peer-reviewed“), und der Journal-Impact-Faktor wird mit 1,49 angegeben (2). Der erfundene Artikel wurde innerhalb weniger Tage zur Publikation angenommen (3), vorausgesetzt der Autor entrichtet eine Gebühr von 3.393 €.

Nun meldete Onneken seine „Studie“ auch auf einem internationalen Kongress von OMICS an (9th Edition of International Conference on Alternative Medicine 2018 in London). Er wurde prompt auch hierzu eingeladen und trug die Daten vor wenigen Zuhörern in einem Hotel am Londoner Flughafen Heathrow vor. Keinem schien die Täuschung aufzufallen.

Schließlich reichte Onneken auch noch einen Abstract zum Thema „Wirksamkeit von Chia-Samen zur Prävention von Brustkrebs“ für einen Vortrag beim World Congress on Breast Cancer 2018 in Frankfurt ein (4), der ebenfalls von OMICS veranstaltet wurde. Onneken wurde als neuer Top-Autor des Verlags nun schon als Keynote-Speaker eingeladen und erhielt sowohl einen Vorsitz bei einer wissenschaftlichen Sitzung als auch bei einer Poster-Session. Ein anderer Keynote-Speaker dieser Konferenz war übrigens der Chemiker Wassil Nowicky, ein selbsternannter Wissenschaftler, der seit Jahrzehnten den Einsatz von Ukrain bei Krebspatienten propagiert und Ukrain in Deutschland sowie anderen EU Staaten ungesetzlich in den Verkehr gebracht hat (vgl. 5, 15).

Der Inhalt von Onnekens Vortrag auf dem World Congress on Breast Cancer bestand aus dem Verlesen des Wikipedia-Artikels zu Chia-Samen. Auch diesmal gab es keine Rückfragen oder Widerstand aus dem Auditorium. Selbst als er den Preisträger der Postersession provokativ mittels Münzwurf ermittelte, führte das nicht dazu, dass Verdacht geschöpft wurde. Die ganze absurde Geschichte wurde filmisch dokumentiert und kann in der Mediathek der ARD abgerufen werden (6).

Auch Journalisten der Süddeutschen Zeitung berichteten darüber, wie sie sich als Wissenschaftler ausgegeben haben und unter dem bezeichnenden Namen „R. Funden“ vom „Klinikum Himmelpforten“ im Journal of Integrative Oncology der OMICS-Gruppe einen Aufsatz über die Behandlung von Darmkrebs mit Bienenwachs veröffentlichen konnten. Zudem reichten auch sie Fake-Vorträge auf insgesamt 13 medizinischen Kongressen ein, wovon 10 angenommen wurden (7).

Gemeinsam mit Journalisten von WDR, NDR, Le Monde und New Yorker haben sie 175.000 wissenschaftliche Publikationen bestimmter Verlage untersucht und kommen zu dem Schluss, dass „Fake-Wissenschaft längst zu einer festen Größe geworden ist“. Demnach gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Verlagen, die dieses Geschäftsmodell betreiben. Sie verdienen Millionen mit den Publikationsgebühren für wissenschaftliche Arbeiten und der Ausrichtung von Konferenzen. Dabei spielt die Qualität des Inhalts der Veröffentlichung mitunter überhaupt keine Rolle.

Jeffrey Beall von der Universität Colorado geht diesem Phänomen seit Jahren nach und hat für dieses Geschäftsmodell den Begriff „Predatory Publishing“ (räuberisches Veröffentlichen) geprägt. Er hat eine lange Liste von Open-Access-Journalen erstellt, die die Kriterien von „Predatory Journals“ erfüllen (8). Zu diesen Kriterien zählen u.a. eine sehr schnelle Annahme der eingereichten Artikel, die Imitation des Namens von bekannten Zeitschriften oder die Nennung von bekannten Wissenschaftlern als Redaktionsmitglieder (oft ohne deren Zustimmung). Tausende (!) Zeitschriften und hunderte Verlage folgen demnach diesem Geschäftsmodell.

Auch viele etablierte Wissenschaftler von renommierten Universitäten und Forschungseinrichtungen haben in der Vergangenheit in solchen Predatory Journals publiziert. Nach Angaben der SZ sind darunter auch mehr als 5.000 deutsche Wissenschaftler. Die Gründe hierfür dürften überwiegend Unkenntnis und Naivität sein, aber auch Kalkül, um dem Druck nachzukommen, möglichst viel zu publizieren.

Markus Pössel von der Zeitung Spektrum der Wissenschaft hat die Herkunft der Autoren in „Predatory Journals“ analysiert (8). In einer Stichprobe von 17.500 Artikeln kam die Mehrzahl der Autoren aus China, den USA, Japan und Indien, und 2,5% stammten aus Deutschland. Die Mehrzahl der deutschen Wissenschaftler hat nur einmal in einem „Predatory Journal“ publiziert (89,8%), nur jede/r Zehnte häufiger. Serien-Veröffentlicher sind also kaum zu finden. Daher kann man wohl auch nicht von einem systematischen Wissenschaftsbetrug von Seiten deutscher Autoren oder Institute sprechen.

Allerdings liegt sehr wohl ein systematischer Betrug seitens dieser Verlage vor: Betrug an den Wissenschaftlern, an der Wissenschaft allgemein und natürlich an der Allgemeinheit und Patienten, insbesondere durch die Beeinflussung des wissenschaftlichen Diskurses und der Vermarktung bestimmter Produkte wie Chia-Samen oder Bienenwachs durch die Veröffentlichung von tausender solcher Pseudostudien. Auch pharmazeutische Unternehmer nutzen „Predatory Journals“ mittlerweile für ihr Marketing. In der SZ werden 2 „Studien“ eines großen deutschen pharmazeutischen Unternehmers zur Behandlung von Erkältungssymptomen und eines Mikronährstoffmangels von Schwangeren, jeweils aus einem OMICS-Journal zitiert. Diese Studien haben zwar keinen wissenschaftlichen Wert, tauchen aber bei einer Google-Suche zu den entsprechenden Stichworten gleich als erstes auf und sind somit in der Lage, die Meinung von Interessierten erheblich zu beeinflussen (7).

Der österreichische Wissenschaftsrat hat in einer Pressemitteilung (10) darauf hingewiesen, dass in Österreich durch die öffentliche Hand nur noch dann Publikationskosten für Open-Access-Fachzeitschriften übernommen werden, wenn diese bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Zur Beurteilung werden Datenbanken herangezogen, z.B. das Directory of Open Access Journals (DOAJ), SCOPUS oder das Web of Science. Seit 2015 seien auf diese Weise nur noch 10 von 6.766 durch den Wissenschaftsfonds geförderte Publikationen bei Verlagen veröffentlicht worden, die sich später als problematisch erwiesen haben. Für die Autoren böten zudem bestimmte Initiativen eine Hilfestellung bei der Auswahl einer Zeitschrift zur Publikation ihrer Ergebnisse (think.check.submit; 11) oder einer serösen wissenschaftlichen Konferenz (think.check.attend; 12). Auch in den Mitteilungen des Deutschen Hochschulverbandes (August-Ausgabe von Forschung & Lehre; vgl. 13) wird das Geschäft von Pseudo-Verlagen scharf kritisiert, aber gleichzeitig auch die in derartigen Zeitschriften publizierenden Wissenschaftler: „Es ist naiv und verwerflich auf solche Angebote einzugehen“. Neben dem bereits genannten „Web of Science“ werden die Plattform „Journal Guide“, das „Journal Evaluation Tool“ und „ Cope“ als geeignete Quellen genannt, wo Informationen zu wissenschaftlichem Publizieren abgerufen werden können.

Letztlich kann diesen Verlagen nur dadurch das Handwerk gelegt werden, dass alle Wissenschaftler ihre Daten ausschließlich in seriösen Journalen publizieren – auch wenn der Review-Prozess oft sehr langsam und mühsam ist – und nur auf seriösen Konferenzen präsentieren. Wissenschaftliches Fehlverhalten wird dadurch verhindert und die Glaubwürdigkeit der Wissenschaftler und die der Wissenschaft bewahrt.

Literatur

  1. Webseite OMICS International. Link zur Quelle (Zugriff am 5.8.2018).
  2. Webseite Journal of Nutrition and Food Sciences (JNFS): Link zur Quelle (Zugriff am 5.8.2018).
  3. Onneken, P.: J. Nutr. Food Sci. 2018, 8, 684. Download unter Link zur Quelle (Zugriff am 5.8.2018).
  4. https://www.omicsonline.org/… Link zur Quelle
  5. AMB 1999, 33, 63 Link zur Quelle AMB , 2001, 35, 64 Link zur Quelle , AMB 2001, 35, 87a Link zur Quelle , AMB 2002, 36, 39a Link zur Quelle , AMB 2012, 46, 72DB01. Link zur Quelle (Abruf am 5.8.2018).
  6. Das Scheingeschäft: SZ Magazin vom 20.7.2018. Link zur Quelle
  7. https://beallslist.weebly.com/ Link zur Quelle
  8. https://scilogs.spektrum.de/relativ-einfach/tag/predatory-journals/ Link zur Quelle
  9. http://www.wissenschaftsrat.ac.at/… Link zur Quelle
  10. https://thinkchecksubmit.org/ Link zur Quelle
  11. https://thinkcheckattend.org/ Link zur Quelle
  12. https://www.forschung-und-lehre.de/ wissenschaftler-sollten-zeitschriften-ihres-fachgebiets -kennen-843/ Link zur Quelle
  13. https://open-access.net/informationen -zu-open-access/open-access-zeitschriften/ Link zur Quelle
  14. https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/ DE/RI/2011/RI-ukrain.html Link zur Quelle
  15. Gute Pillen – Schlechte Pillen 1/16, 07. Link zur Quelle