Wir haben mehrfach über den Nutzen der Rotavirus-Impfung hinsichtlich des Schutzes von Kleinkindern und Säuglingen vor dieser akuten Durchfallerkrankung berichtet (1). In Industrieländern zeigte sich, dass durch diese Impfung Krankenhausaufnahmen wegen Rotavirus-Infektionen deutlich zurückgingen, und in Schwellen- sowie Drittwelt-Ländern fand sich eine Reduktion der Letalität (1). Nun gibt es Hinweise, dass nach dieser Impfung auch die Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 1 (DM1) bei Kleinkindern abnimmt. DM1 ist eine Autoimmunerkrankung der Bauchspeicheldrüse, bei der schließlich nur noch wenig oder gar kein Insulin mehr produziert wird. Neben genetischen Faktoren scheinen auch Virusinfektionen eine ursächliche Rolle zu spielen. Ein Zusammenhang zwischen einer Rotavirus-Infektion und dem Auftreten von DM1 wurde zuerst vor fast 20 Jahren erkannt (2). Im Tiermodell zeigte sich, dass Rotaviren der Bauchspeicheldrüse schaden (3-5). Im Umkehrschluss könnte eine Impfung einen schützenden Effekt haben.
Ob die Rotavirus-Impfung einen Einfluss auf die Inzidenz des DM1 hat, wurde nun in drei Kontinenten untersucht (6-8). In Europa (Finnland) wurde gezeigt, dass die Rotavirus-Impfung die Inzidenz von DM1 und Einheimischer Sprue zumindest nicht erhöht (6). In Australien und den USA ergaben sich aus epidemiologischen Auswertungen großer Kohorten Hinweise auf einen möglichen Rückgang der Inzidenz von DM1 bei Kleinkindern nach Rotavirus-Impfung (7, 8).
In Australien wurde die Inzidenz von neu diagnostiziertem DM1 bei Kindern in den 8 Jahren vor und in den 8 Jahren nach Einführung der Rotavirus-Impfung untersucht. Die Impfung ist dort seit Mai 2007 routinemäßig etabliert und wird bei Kindern ab der 6. Woche angewendet. Es wurde errechnet, dass in Australien ca. 84% der Kinder geimpft wurden. Annähernd alle Kinder mit neu diagnostiziertem DM1 werden in Australien registriert (National Diabetes Services Scheme). Alle Daten konnten für diese Studie über das Australische Gesundheitssystem (Australian Institute of Health and Welfare) zusammengeführt werden. Die Kohorte wurde in drei Gruppen geteilt: Kinder von 0-4, 5-9 und 10-14 Jahren.
Zwischen 2000 und 2015 wurden 16.159 neu diagnostizierte DM1-Fälle (66.055.000 Personen-Jahre) bei Kindern im Alter von 0-14 Jahren registriert. Daraus errechnet sich eine mediane Rate von 12,7 Fällen pro 100.000 Kindern (95%-Konfidenzintervall = CI: 11,0-14,8). In der Gruppe der Kinder im Alter von 0-4 Jahren betrug die Inzidenz vor dem Jahr 2008 8,7 (CI: 7,1-10,2) und nach 2008 7,5 (CI: 6,9-8,4). In dieser Gruppe reduzierte sich die Inzidenz des DM1 um 14% (Rate ratio: 0,86 (CI: 0,74-0,99; p = 0,04). In den anderen Altersgruppen zeigte sich kein Unterschied.
Die noch größere populationsbasierte US-amerikanische Studie umfasste insgesamt 1.475.594 Kinder in den Jahren 2001-2017. Alle Kinder, bei denen ein Diabetes vor der Impfung und bis zu 6 Monate nach der Impfung erkannt wurde, wurden von der Auswertung ausgeschlossen. In der Gruppe, die die komplette Rotavirus-Impfung erhalten hatten, betrug die Inzidenz von DM1 12,2/100.000 Kinderjahre, bei partiell geimpften Kindern 20,5/100.000 Kinderjahre. In der ungeimpften Gruppe (zeitgleich zu den Geimpften in den Jahren 2006-2017) fand sich eine Inzidenz von 20,6/100.000 Kinderjahre.
In der US-amerikanischen Studie zeigte sich eine deutlichere Reduktion von DM1 als in der australischen Studie. Die Reduktion betrug 41% (CI: 27-52%) in der Gruppe, die eine vollständige Rotavirus-Impfung erhalten hatte verglichen mit den ungeimpften Kindern. Wurde die Gesamtkohorte nach dem Geburtsjahr stratifiziert, fand sich eine Abnahme der Inzidenz von DM1 von 32% bei den Kindern, die zwischen 2006 und 2011 geboren wurden und von 54% bei Kindern, die zwischen 2012 und 2016 geboren wurden.
Da die Kinder am gleichen Tag mehrere Impfungen bekommen hatten, wurde zudem mit einer historischen Gruppe verglichen, die die gleichen Impfungen, aber keine Rotavirus-Impfung erhalten hatte. Hier zeigte sich eine 56%ige Reduktion der Inzidenz von DM1 in der Rotavirus-geimpften Gruppe gegenüber der Vergleichsgruppe. Insgesamt sprechen diese Untersuchungen für einen protektiven Effekt der Rotavirus-Impfung auf die spätere Inzidenz von DM1.
Fazit: Zwei Studien aus Australien und den USA sprechen für eine Reduktion der Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 1 durch die Rotavirus-Impfung, besonders bei jungen Kindern. Beide Studien sind jedoch keine prospektiven Interventionsstudien. Solche können aus ethischen Gründen nicht durchgeführt werden, denn die Rotavirus-Impfung reduziert die Krankenhausaufenthalte von Kindern in wohlhabenden Ländern und senkt in ärmeren Ländern auch die Letalität. Einen ursächlichen Zusammenhang beweisen diese Ergebnisse nicht. Es könnte nämlich auch sein, dass sich der Erkrankungszeitpunkt des Typ-1-Diabetes nur in spätere Jahre verschiebt oder dass andere Virusinfektionen die Entstehung bei entsprechender Veranlagung anstoßen. Untersuchungen mit längerer Nachbeobachtungszeit sind nötig, um diese Frage zu beantworten.
Literatur
- AMB 2018, 52, 24DB02 Link zur Quelle . AMB 2017, 51, 40DB02 Link zur Quelle . AMB 2010, 44, 87. Link zur Quelle
- Honeyman, M.C., et al.: Diabetes 2000, 49, 1319. Link zur Quelle
- Graham, K.L., et al.: J. Virol. 2008, 82, 6139. Link zur Quelle
- Yeung, W.-C.G., et al.: BMJ 2011, 342, d35. Link zur Quelle
- Honeyman, M.C., et al.: PLoS One 2014, 9, e106560. Link zur Quelle
- Hemming-Harlo, M., et al.: Pediatr. Infect. Dis. J. 2019, 38, 539. Link zur Quelle
- Perrett, K.P., et al.: JAMA Pediatr. 2019, Jan 22. Epub ahead of print. Link zur Quelle
- Rogers, M.A.M., et al.: Sci. Rep. 2019, 9, 7727. Link zur Quelle