Artikel herunterladen

Indometacin rektal – in den USA Wucherpreise wegen fehlender Konkurrenz

Die akute Pankreatitis ist die häufigste schwere Komplikation nach einer endoskopisch retrograden Cholangiopankreatikografie (ERCP). Die Inzidenz beträgt 3-15%; ohne vorbeugende Maßnahmen steigt sie auf bis zu 40%. Bei etwa 5% der Patienten verläuft die Post-ERCP-Pankreatitis schwer mit längerem (intensiv-) stationärem Aufenthalt, selten auch mit letalem Ausgang (1). Zur Prävention hat sich rektal appliziertes Indometacin (vgl. 2) oder Diclofenac etabliert. Dieses Vorgehen beruht auf einer Metaanalyse aus dem Jahr 2008 (3) und auf einer randomisierten klinischen Studie von 2012 aus den USA (4). In dieser Studie konnte eine Einzeldosis von 100 mg Indometacin, rektal im Rahmen der ERCP gegeben, die Inzidenz einer Post-ERCP-Pankreatitis um etwa 50% reduzieren. Die Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Gastrointestinale Endoskopie 2014 und die Aktualisierte S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) 2018 empfiehlt dementsprechend die rektale Applikation von 100 mg Diclofenac oder Indometacin routinemäßig unmittelbar vor oder nach der ERCP bei allen Patienten ohne Kontraindikationen für diese Wirkstoffe (5, 6).

Als wirksam hat sich ausschließlich die rektale Applikation erwiesen. Hierfür sind vermutlich First-pass-Effekte, also die direkte Metabolisierung eines Pharmakons in der Leber nach der Resorption im Magen-Darm-Trakt, verantwortlich (7). Diclofenac 100 mg Suppositorien (Supp.) sind im US-amerikanischen Raum nicht erhältlich, sodass der Bedarf an Indometacin Supp. dort seit Veröffentlichung dieser Studie stark gestiegen ist. Mit dieser Situation beschäftigt sich ein aktueller Artikel im JAMA (8). Zuvor führte Indometacin rektal neben den oral applizierbaren Alternativen in der antiphlogistischen Therapie ein Schattendasein und wurde nur in einem kleinen Kontingent von einem einzigen Hersteller vertrieben. Der durchschnittliche Großhandelseinkaufspreis für 100 mg rektal lag 2005 bei 2 US$. Nach der Wirksamkeitsstudie für die Post-ERCP-Pankreatitis 2012 (4) stieg der Preis auf 17 $ und kletterte 2019 auf sagenhafte 340 $! Da der Markt für diese Anwendung klein und für Hersteller nicht lukrativ ist, gibt es weiterhin keine Konkurrenz. Der langjährige Hersteller Iroko Pharmaceuticals verkaufte Anfang 2019 vier seiner Produktlizenzen, darunter auch Indometacin Supp., an den insolventen Hersteller Egalet. Dieser übernahm die Herstellung nach Abwicklung des Insolvenzverfahrens unter dem Namen Zyla Life Sciences und verdoppelte gleich den Indometacin-Einkaufspreis für Großhändler (8).

Rektales Indometacin ist von der FDA für die Indikation der Post-ERCP-Pankreatitis-Prophylaxe nicht offiziell zugelassen. Die Studie aus 2012 war zwar aus wissenschaftlichen Motiven und mit Unterstützung der National Institutes of Health durchgeführt worden, aber nicht primär mit dem Ziel, die Indikation zu erweitern. Die Firma wurde von der FDA offiziell sogar von weiteren Zulassungsstudien für diese Indikation freigestellt; die rektale Applikation erhielt für die Post-ERCP-Prophylaxe somit aber den Status einer Off-label-Anwendung mit allen rechtlichen Folgen für Patienten und Verordner. Die Krankenversicherungen können so z.B. die Erstattung verweigern, sodass der Patient die Kosten zu tragen hat. Zudem können Kliniken in den USA den Preis eines verwendeten Medikaments selbst bestimmen. In einer Offenlegung von Rechnungen für Indometacin rektal zur Prophylaxe offenbarten sich bei fünf Kliniken in Kalifornien stolze Preise von 650 bis > 5000 US-$ (9).

Seit dem FDA Reauthorization Act von 2017 werden in den USA als Anreize finanzielle Vergünstigungen und ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für Generika von weniger gefragten Arzneimitteln ermöglicht. Sie verhindern aber offensichtlich nicht Missbrauch und deutlich überhöhte Preise für patentfreie Arzneimittel.

Der Fall ist erneut ein Beispiel dafür, dass Arzneimittelpreise – auch bei Generika – danach ausgerichtet werden, was der Markt bereit ist zu zahlen. Wir haben bereits 2013 über ein ähnlich unseriöses Verhalten berichtet im Zusammenhang mit einer exzessiven Preiserhöhung nach Indikationsänderung für den monoklonalen Antikörper Alemtuzumab (MabCampath/Lemtrada; 10). In ähnlicher Weise ist aktuell der Wirkstoff Kaliumbromid betroffen, der bisher als Dibro-Be Mono 850 mg (60 Tabletten für 32,28 € Apothekenverkaufspreis) angeboten wurde und jetzt nur noch als Kaliumbromid Desitin in gleicher Packungseinheit für 599 € zur Verfügung steht (11). Angesichts solch skrupelloser Profitmaximierung, die wir in den letzten Jahren auch bei patentfreien Zytostatika erlebt haben (12), wird aus unserer Sicht zu Recht der Ruf nach einer stärkeren Marktregulierung laut. Die Europäische Kommission (EC) hat dieses Problem offensichtlich inzwischen erkannt, wie eine Pressemitteilung der EC vom 14. Juli 2020 verdeutlicht (13): Zuweilen nutzen sie (gemeint: die pharmazeutischen Unternehmer) jedoch auch ihre beherrschende Stellung, um die Preise für ältere, aber immer noch unentbehrliche Arzneimittel ohne triftigen Grund um mehrere hundert Prozent zu erhöhen“. Hoffentlich werden jetzt rasch geeignete Maßnahmen von der EC ergriffen, um diese unseriösen Praktiken zu beenden.

Fazit: Indometacin rektal ist wegen seiner besonderen Wirksamkeit in der Pankreatitis-Prophylaxe nach ERCP und mangels Konkurrenz in den USA von einer skrupellosen Preispolitik betroffen. Es müssen Anreize für Hersteller geschaffen werden, auch in kleine Märkte zu investieren und durch Konkurrenz das Preisniveau in Grenzen zu halten.

Literatur

  1. Kochar, B., et al.: Gastrointest. Endosc. 2015, 81, 143. Link zur Quelle
  2. AMB 2012, 46, 69a Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 61. Link zur Quelle
  3. Elmunzer, B.J., et al.: Gut 2008, 57, 1262. Link zur Quelle
  4. Elmunzer, B.J., et al. (USCORE = U.S. Cooperative for Outcomes Research in Endoscopy): N. Engl. J. Med. 2012, 366, 1414. Link zur Quelle
  5. Dumonceau, J.M., et al.: Endo heute 2014, 27, 227. Link zur Quelle
  6. Gutt, C., et al.: Z. Gastroenterol. 2018, 56, 912. Link zur Quelle
  7. Kubiliun, N.M., et al. (USCORE = U.S. Cooperative for Outcomes Research in Endoscopy): Clin. Gastroenterol. Hepatol. 2015, 13, 1231. Link zur Quelle
  8. Elmunzer, B.J., et al.: JAMA 2020, 180, 631. Link zur Quelle
  9. California Office of Statewide Health Planning and Development. 2019 Chargemasters. Link zur Quelle
  10. AMB 2013, 47, 77. Link zur Quelle
  11. a-t 2020, 51, 37. Link zur Quelle
  12. a-t 2020, 51, 63. Link zur Quelle
  13. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_20_1347 Link zur Quelle