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Orale Immuntherapie bei Erdnussallergie: mehr allergische Reaktionen

Eine Erdnussallergie beginnt häufig im Kindesalter und persistiert in der Regel ein Leben lang – im Unterschied zu vielen anderen Nahrungsmittelallergien (1). Betroffen sind ca. 0,2-0,4% der Bevölkerung. Allergische Reaktionen auf Erdnüsse können bereits durch Spuren ihrer Bestandteile ausgelöst werden. Obgleich insgesamt selten, sind Erdnüsse die häufigste Ursache aller berichteten tödlichen lebensmittelverursachten Anaphylaxien (2). Nun hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration = FDA) erstmals eine orale Immuntherapie zur Behandlung der Erdnussallergie zugelassen (3). AR101 (Palforzia) ist ein aus Erdnüssen gewonnenes Pulver, das eine kontrollierte Menge Erdnussprotein mit den Hauptallergenen enthält. Es wird in teilbaren Kapseln oder in Folienbeuteln mit abgestuften Dosierungen eingenommen. Der Inhalt wird mit einigen Löffeln eines vom Patienten bevorzugten Nahrungsmittels vermischt und verzehrt.

Die Zulassung von Palforzia beruht im Wesentlichen auf einer randomisierten, doppelblinden und plazebokontrollierten Phase-III-Studie (PALISADE), die multizentrisch in 66 Zentren in Nordamerika und in Europa durchgeführt wurde (3, 4). Finanziert und geplant wurde die Studie durch den pharmazeutischen Unternehmer. Eingeschlossen wurden 555 Probanden im Alter von 4-55 Jahren mit einer durch Prick-Test oder IgE-Messung diagnostizierten Erdnussallergie. Vor der Randomisierung wurde außerdem eine doppelblinde, plazebokontrollierte Provokation auf Nahrungsmittel (Double-Blind, Placebo-Controlled Food Challenge = DBPCFC) mit bis zu 100 mg Erdnussprotein durchgeführt, um die Allergie zu sichern. Nur Patienten, die danach mehr als milde allergische Symptome entwickelten, wurden im Verhältnis 3:1 für eine Behandlung mit AR101 oder Plazebo randomisiert. Nach der Randomisierung verlief die Behandlung in drei Phasen: Auf die Initialdosis am ersten Tag folgte eine Aufdosierungsphase über 11 Dosisstufen alle zwei Wochen, an die sich eine Erhaltungsphase über mindestens 24 Wochen anschloss. Die Initialdosis und die jeweils erste Dosis jeder Aufdosierungsstufe wurden unter Aufsicht von medizinischem Personal eingenommen, die anderen Dosen zu Hause. Zusätzlich wurden die Patienten angehalten, Erdnüsse zu meiden.

Primärer Endpunkt zur Wirksamkeit war der Anteil der Studienteilnehmer in der Intention-to-treat (ITT)-Population, der am Ende der Erhaltungsphase eine Dosis von mindestens 600 mg Erdnussprotein mit nicht mehr als leichten allergischen Symptomen vertrug. Wegen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung waren die meisten Teilnehmer 4-17 Jahre alt (n = 499), sodass die Auswertung des primären Endpunkts vor der Entblindung auf diese Altersgruppe beschränkt wurde. Zu den Sicherheitsendpunkten gehörten die Häufigkeit von Nebenwirkungen, insbesondere allergischen und anaphylaktischen Reaktionen, sowie der Einsatz von Adrenalin.

Von den Teilnehmern im Alter von 4-17 Jahren erhielten 372 das AR101 und 124 Plazebo. Es nahmen mehr Jungen als Mädchen teil (57% vs. 43%). Unter AR101 tolerierten 67,2% der Teilnehmer am Ende der Erhaltungsphase im Provokationstest eine Einzeldosis von mindestens 600 mg Erdnussprotein (95%-Konfidenzinterval = CI: 62,3-71,8), verglichen mit 4% in der Plazebo-Gruppe (CI: 1,7-9,1). Die Behandlung mit AR101 war jedoch mit einem erhöhten Risiko für allergische Reaktionen assoziiert: In der Erhaltungsphase waren systemische allergische Reaktionen unter AR101 fünfmal häufiger als unter Plazebo (8,7% vs. 1,7%) und die Zahl der Patienten, die Adrenalin benötigten, doppelt so hoch (14,0% vs. 6,5%). Zu häufigen Nebenwirkungen gehörten Bauchschmerzen, Erbrechen, Übelkeit, Juckreiz, Husten und Urtikaria. Im AR101-Arm beendeten 21% der Teilnehmer die Behandlung vorzeitig, teils wegen Nebenwirkungen der Therapie, gegenüber 8% im Plazebo-Arm.

Eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse zur oralen Immuntherapie bei Erdnussallergie aus dem letzten Jahr ergab ähnliche Resultate (5). Eingeschlossen wurden 12 Studien (darunter PALISADE), an denen insgesamt 1.041 Patienten mit einem medianen Alter von 8,7 Jahren teilnahmen, die über im Median ein Jahr nachverfolgt wurden. Zu den wesentlichen Endpunkten gehörten allergische und anaphylaktische Reaktionen, Nebenwirkungen und Einsatz von Adrenalin. Eine orale Immuntherapie führte dazu, dass in überwachten Provokationstests mehr Patienten Erdnussallergene ohne allergische Symptome vertrugen (Number needed to treat = NNT: 3). Außerhalb der Klinik kam es unter einer oralen Immuntherapie jedoch zu mehr allergischen und anaphylaktischen Reaktionen im Vergleich zu Allergenvermeidung oder Plazebo (Number needed to harm = NNH: 7). Die orale Immuntherapie führte auch zu häufigerem Gebrauch von Adrenalin und zu mehr schweren Nebenwirkungen (NNH: 22 bzw. NNH: 18).

Bei der europäischen Arzneimittelbehörde ist die Zulassung von AR101 beantragt. Ob und wann es zugelassen wird, ist nicht bekannt (6).

Fazit: Bei Patienten mit Erdnussallergie führt eine orale Immuntherapie nur in klinischen Provokationstests zu einer besseren Verträglichkeit von Erdnuss-Allergenen. Außerhalb der Klinik verursacht sie vermehrt allergische und anaphylaktische Reaktionen. Die Ergebnisse stellen auch den Sinn klinischer Provokationstests als Surrogatparameter zur Beurteilung der Wirksamkeit einer Immuntherapie gegen Erdnussallergie infrage.

Literatur

  1. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 061-031l_S2k_Management_ IgE-vermittelter_Nahrungsmittelallergien _2016-06-verlaengert.pdf Link zur Quelle
  2. https://www.bfr.bund.de/de/a-z_index/erdnuesse-5221.html Link zur Quelle
  3. https://www.fda.gov/media/130653/download Link zur Quelle
  4. Vickery, B.P., et al. (PALISADE = Peanut ALlergy oral Immunotherapy Study of AR101 for DEsensitization in children and adults): N. Engl. J. Med. 2018, 379, 1991. Link zur Quelle
  5. Chu, D.K., et al. (PACE = Peanut Allergen immunotherapy, Clarifying the Evidence): Lancet 2019, 393, 2222. Link zur Quelle t
  6. https://www.biospace.com/article/releases/ aimmune-submits-marketing-authorization- application-to-european-medicines-agency- for-ar101-for-peanut-allergy-/ Link zur Quelle