Unter dem Begriff Reizdarm-Syndrom (engl.: irritable bowel syndrome = IBS) werden sehr unterschiedliche gastrointestinale Beschwerden subsummiert. Zu diesen gehören: Bauchschmerzen, Blähungen, Flatulenz, Durchfall, aber auch Obstipation. Um die Diagnose stellen zu können, sollten andere gastrointestinale Erkrankungen ausgeschlossen werden, wozu verschiedene diagnostische Tests und auch die Durchführung einer Magen- und Darmspiegelung gehören. Man geht davon aus, dass ca. 15% der europäischen Bevölkerung an dieser Symptomatik leiden (1-2). Das IBS wird anhand der Rom-Kriterien III und IV diagnostiziert (3, 4). Die Betroffenen leiden besonders unter eingeschränkter Lebensqualität, die sogar stärker beeinträchtigt sein kann als bei anderen chronischen Erkrankungen (5). Die Ursachen des IBS sind nicht bekannt. Beispielsweise wird angenommen, dass durch enterale Infektionen das Immunsystem des Darms dysreguliert und die intestinale Barriere reduziert wird (6-9). Das führte zu der Vermutung, dass durch probiotische Bakterienstämme, die sich an die mukosalen Epithelzellen gut anheften können, die Barrierestörung günstig beeinflusst wird (10-12). Solche Hinweise ergaben sich für Lactobacillus casei in Kombination mit Streptococcus thermophilus und Lactobacillus acidophilus (11, 12). Bei Patienten mit dominierender Durchfallsymptomatik zeigte Bifidobacterium coagulans positive klinische Wirkungen (14), andere Bakterienstämme dagegen nicht (15, 16). Bifidobacterium bifidum (B.f.) MIMBb75 zeigte in vitro eine stärkere Adhäsion an humane intestinale Epithelzellen als andere Probiotika (9, 13). Lebende B.f. wirkten sich in klinischen Studien günstig auf die klinischen Symptome des IBS aus (9). Da lebende Bakterien jedoch immer auch das Risiko einer Invasion bergen, besonders bei immungeschwächten Patienten, werden abgetötete Bakterien zur Therapie bevorzugt. In einer großen Studie wurden jetzt Effekte von toten B.f. (HI-MIMBb75; Kijimea®) auf die Symptome von IBS-Patienten untersucht (17). Die Studie wurde vom Hersteller des Präparats (Synformulas GmbH) finanziert.
Studiendesign: Die randomisierte kontrollierte doppelblinde Studie wurde an 20 Studienzentren in Deutschland durchgeführt. Die Patienten sollten entweder 2 Kapseln mit Plazebo oder 2 Kapseln mit 1 x 109 toten B.f. einmal am Tag für 8 Wochen einnehmen. Die Einnahme wurde 1:1 randomisiert. In die Studie wurden Patienten mit IBS und Rom-Kriterien III mit abdominellen Schmerzen (> 3 auf einer bis 11 reichenden numerischen Skala) an mindesten 2 Tagen in den vorausgegangenen 2 Wochen der Einleitungsphase aufgenommen. Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, malignen Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Einnahme antipsychotischer Medikamente in den letzten 3 Monaten zuvor oder Einnahme von Glukokortikosteroiden bis zu einem Monat vor Studienbeginn wurden ausgeschlossen.
Der zusammengesetzte Endpunkt wurde als erreicht gewertet, wenn mindestens 30% der Bauchschmerzen und die anderen globalen Symptome sich auch verbessert hatten in mindestens 4 der 8 Wochen. Außerdem wurden Nebenwirkungen (NW) erfasst.
Über 12 Wochen wurden alle Patienten von Screening bis 2 Wochen nach Beendigung der Therapie fünfmal von einem Studienarzt gesehen. Die Patienten führten ein Tagebuch, in das täglich die IBS-Symptome eingetragen wurden. An den Visitentagen 2-4 wurde der Schweregrad der IBS-Symptome und die Lebensqualität anhand standardisierter Fragebögen erfasst. NW wurden bei allen Visiten erfragt. Alle Patienten wurden aufgefordert, ihren Lebensstil und ihre Essgewohnheiten während der Studie nicht zu ändern. Antibiotika durften bis zu 3 Monate vor der Studie und während der Studie nicht eingenommen werden. Der Schweregrad der Bauchschmerzen wurde von den Patienten täglich erfasst (Punkteskala von 0-10, wobei 10 die stärksten Schmerzen bedeuteten). Aus diesen wurde ein Median für jede Woche errechnet. Die geforderten 30% Besserung wurden durch den Vergleich mit der 2-wöchigen Einleitungsphase berechnet. Um die globalen Symptome zu erfassen, wurde eine 7-Punkte-Likert-Skalierung benutzt. Hierbei wurde den Patienten in der 8-wöchigen Behandlungsphase wöchentlich folgende Frage gestellt: „Wie würden Sie die Veränderungen der Symptome während der letzten 7 Tage beschreiben, verglichen mit dem Zustand vor der Einnahme der Studienmedikation?” Mögliche Antworten waren: 1. sehr viel besser, 2. deutlich besser, 3. ein bisschen besser, 4. gleich, 5. ein bisschen schlechter, 6. deutlich schlechter, 7. sehr viel schlechter. Antworten bis Punkt 3 wurden für den kombinierten Endpunkt gewertet. Für sekundäre Endpunkte wurden weitere IBS-Scores verwendet.
Ergebnisse: Von April 2016 bis Februar 2017 wurden 443 Patienten in die Studie eingeschlossen, 222 in die Plazebo- und 221 in die Verum-Gruppe. Es konnten 187 in der Placebo- und 190 in der Verum-Gruppe am Ende nach Protokoll ausgewertet werden.
Der primäre Endpunkt (Abnahme der Bauchschmerzen um mindestens 30% und Besserung der globalen subjektiven Symptome nicht schlechter als Antwort 3). wurde von 74 (34%) in der Verum- und von 43 (19%) in der Plazebo-Gruppe erreicht (Risk Ratio: 1,7; 95%-Konfidenzintervall: 1,3–2,4; p = 0,0007). Es traten keine schweren NW auf, und kein Patient starb im Studienzeitraum. Die Verträglichkeit der Kapseln war gut. Eine Subgruppenanalyse der Patienten mit Diarrhö-dominiertem IBS ergab, dass die Stuhlfrequenz in der Verum-Gruppe deutlicher zurückging. Bei Patienten mit Obstipation-dominiertem IBS ergab die Subgruppenanalyse eine Zunahme der Stuhlfrequenz. In den Analysen zu den sekundären Endpunkten mit anderen Scores ergaben sich ebenfalls signifikante Vorteile in der Verum-Gruppe. Auffällig war der hohe Prozentsatz von Patienten (19%) in der Plazebo-Gruppe, die eine deutliche Besserung hinsichtlich des primären Endpunkts angaben.
Fazit: Das Reizdarm-Syndrom ist eine häufige, die Lebensqualität beeinträchtigende Erkrankung ungeklärter Ursache mit sehr variabler Symptomatik, für die es bisher nur wenige gut wirksame Behandlungen gibt. In dieser prospektiven, randomisierten, plazebokontrollierten Studie ergaben sich Hinweise, dass sich durch die Einnahme hitzeinaktivierter Bifidobacterium-bifidum-Bakterien bei einem Teil der Teilnehmer die Symptome besserten. Die Wirkung ist nicht ausgeprägt, aber da nur wenige Nebenwirkungen auftraten, ist ein Therapieversuch zu erwägen.
Literatur
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