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Hepatitis D – eine Infektionserkrankung durch ein einzigartiges Virus mit schlechter Prognose. Erste Therapieansätze [CME]

Virologie: Die Hepatitis D wird durch das Hepatitis D-Virus (HDV) verursacht, ein nur beim Menschen natürlich vorkommendes, defektes Virus, das vom gleichzeitigen Vorhandensein des Hepatitis B-Virus (HBV) abhängig ist. Derzeit sind 8 Genotypen bekannt: 1 bis 8. Zu diesen subviralen Erregern (Viroiden) gehören auch einige Pflanzenpathogene. Beim Menschen ist bisher aus dieser Kategorie nur das HDV bekannt. Die RNA des humanen HDV repräsentiert das kleinste Genom eines Tier- oder Menschen-Pathogens. Die RNA besteht aus ca. 1.700 Nukleotiden und kodiert für ein Protein (Delta-Antigen; [1]).

Epidemiologie: Das HDV ist weltweit verbreitet. Da es nur bei Menschen in Zusammenhang mit einer HBV-Infektion vorkommt, werden die höchsten Prävalenzen in Regionen mit hoher HBV-Prävalenz gefunden. Das HDV kann gleichzeitig mit dem HBV übertragen werden (Simultaninfektion), oder später auf eine bestehende HBV-Infektion (Superinfektion). Die weltweit höchste HDV-Prävalenz besteht in der Mongolei, wo etwa zwei Drittel aller mit dem HBV infizierten Menschen auch mit dem HDV infiziert sind. In Europa findet man die höchste Rate an HDV-Infektionen in Rumänien. Der HDV-Genotyp 1 ist in Europa, Nordamerika, Zentral- und Südasien, Australien, Afrika und im Nahen Osten dominant, die Genotypen 2 und 4 hauptsächlich in Ostasien, der Genotyp 3 vorwiegend in Mittel- und Südamerika und die übrigen Genotypen (5 bis 8) hauptsächlich in Afrika [2]. Das HDV hat den gleichen Infektionsweg wie das HBV. Menschen, die durch die seit 1982 verfügbare Impfung gegen das HBV geschützt sind, können sich nicht mit dem HDV infizieren. In einem systematischen Review aus dem Jahr 2020 wurde berechnet, dass 4,5% (95%-Konfidenzintervall: 3,6-5,7) der HBsAg-positiven Personen auch eine Infektion mit dem HDV haben [3]. Insgesamt sind weltweit circa 12 Mio. Menschen mit HDV infiziert. Die HDV-Prävalenz ist bei Menschen höher, die Drogen injizieren und mit Hepatitis C (HCV) oder mit dem Humanen Immundefizienzvirus (HIV) infiziert sind [2].

Erkrankung: Die Hepatitis D ist die schwerste Form der viralen Hepatitis. Etwa 70% der Infizierten entwickeln innerhalb von 5 bis 10 Jahren eine Leberzirrhose. Darüber hinaus ist auch das Risiko erhöht, ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln. Dementsprechend ist die Mongolei weltweit das Land mit der höchsten Leberkrebsrate. Bei einer plötzlichen Exazerbation einer chronischen Hepatitis B sollte immer an eine HDV-Superinfektion gedacht werden [4].

Diagnose: Obwohl in Deutschland das HDV nicht häufig ist, sollte bei Patienten mit nachweisbarem HBsAg bei Erstdiagnose oder Exazerbation einer chronischen Hepatitis B auf HDV-Antikörper (Anti-HDV) untersucht werden (Umfelduntersuchung). Die Letalität ist bei Patienten mit HDV-Superinfektion ca. zehnmal höher, als bei einer alleinigen HBV-Infektion. Bei Nachweis von Anti-HDV sollte auf eine aktive HDV-Infektion mittels qualitativer HDV-RNA-PCR untersucht werden. Diese Untersuchung ist auch zur Überwachung der Therapie geeignet. Zu beachten ist, dass die Höhe der HBV-DNA- und HDV-RNA-Spiegel zueinander invers proportional sind, da eine hohe Replikationrate des HDV den HBV-DNA-Spiegel supprimiert.

Meldepflicht: Es besteht eine Arztmeldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) bei Verdacht, Erkrankung und Tod an akuter Virushepatitis (an das zuständige Gesundheitsamt). Für den Nachweis von HDV (indirekt oder direkt) besteht eine Labormeldepflicht.

Therapie: In einem lesenswerten Übersichtsartikel im N. Engl. J. Med. wird sehr klar dargestellt, wie schwierig es ist, eine Infektion mit dem HDV zu behandeln und auch klinische Studien hierfür zu konzipieren, da sie über sehr lange Dauer angelegt werden müssen [4]. Daher gibt es bisher auch nur vorläufige Ergebnisse aus wenigen Studien. Lamivudin, Adefovir, Entecavir oder Tenofovir unterdrücken zwar die Replikation des HBV, ändern aber nicht den HBsAg-Status, so dass sie hinsichtlich HDV unwirksam sind [4]. Begrenzte Erfolge bei wenigen Patienten wurden mit pegyliertem Interferon-alpha, Lonafarnib und „Nucleic Acid Polymer REP 2139-Ca“ erreicht (Zusammenfassung bei [4]). Nun wurde eine sorgfältige und langdauernde Studie mit einer in Heidelberg entwickelten Substanz (Bulevirtid) publiziert [5]. Diese gezielte medikamentöse Behandlung der HDV-Infektion mit einem sogenannten „Entry-Inhibitor“ erhielt im Juli 2020 eine bedingte Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Der Preis des Wirkstoffs ist trotz Senkung noch sehr hoch; seit dem 1. September 2022 gilt gemäß der Vereinbarung mit dem GKV-Spitzenverband für Bulevirtid (Hepcludex®) ein neuer Apothekenverkaufspreis (inkl. MwSt.) von 7.613,30 € pro Packung (30 Dosen à 2 mg; [6]).

Methodik: Die Teilnehmer an der noch laufenden Phase-III-Studie zur Behandlung der chronischen Hepatitis D mit oder ohne kompensierter Leberzirrhose wurden 1:1:1 randomisiert: Eine Gruppe (n = 49) erhielt s.c. 2 mg/d Bulevirtid und die zweite Gruppe (n = 50) 10 mg/d für 144 Wochen; die dritte Gruppe (n = 51; Kontrolle) erhielt zunächst keine Therapie für 48 Wochen und danach – aus ethischen Gründen – 10 mg/d Bulevirtid für 96 Wochen. Die Studie wird später erneut ausgewertet werden, wenn weitere 96 Wochen Nachverfolgung abgeschlossen sind.

Der primäre Endpunkt war ein kombinierter in Woche 48 nach Beginn. Der Endpunkt bestand entweder aus nicht mehr nachweisbarer HDV-RNA oder Reduktion der HDV-Viruslast um mindestens 2 log10 IU/ml vom Ausgangspunkt und Normalisierung der ALT. Der sekundäre Endpunkt bestand aus nicht mehr nachweisbarer HDV-RNA in Woche 48 zwischen der 2 mg- und 10 mg-Gruppe. Die Studie wurde vom Hersteller Gilead finanziell unterstützt.

Ergebnisse: Der primäre Endpunkt wurde bei 45% in der 2 mg-Gruppe, bei 48% in der 10 mg-Gruppe und bei 2% in der Kontrollgruppe erreicht (p < 0,001 gegenüber der Kontrollgruppe). Die HDV-RNA war bei 12% in der 2 mg-Gruppe und bei 20% in der 10 mg-Gruppe nicht mehr nachweisbar (p = 0,41). Die ALT normalisierte sich bei 12% in der Kontrollgruppe, bei 51% in der 2 mg-Gruppe und bei 56% in der 10 mg-Gruppe. Kein Patient wurde HBsAg negativ. Es wurden keine schweren Nebenwirkungen von Bulevirtid festgestellt. Am häufigsten waren Kopfschmerzen, Müdigkeit, Juckreiz, Oberbauchbeschwerden und Arthralgien. Bei den Blutuntersuchungen fiel eine Eosinophilie und eine dosisabhängige Erhöhung des Bilirubins auf.

Fazit

In einer kleinen Studie zur Therapie der Hepatitis D fand sich bei einer täglichen s.c. Injektion des neuen Wirkstoffs Bulevirtid nach 48 Wochen eine signifikante Abnahme der RNA des Hepatitis D-Virus und eine Reduktion der pathologischen Leberwerte. Längere Beobachtungszeiten und besonders die Auswertung klinischer Endpunkte müssen zeigen, ob die formale Besserung dieser Surrogatmarker auch mit Vorteilen für diese doppelt infizierten Patienten mit ungünstiger Prognose verbunden sind. Möglicherweise ist auch die Kombination von Bulevirtid mit pegyliertem Interferon-alpha vorteilhaft. Studien hierzu sind auf dem Weg.

Literatur

  1. Flores, R., et al.: Semin. Liver Dis. 2012, 32, 201. (Link zur Quelle)
  2. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/29_21.pdf?__blob=publicationFile (Link zur Quelle)
  3. World Health Organization (WHO). Hepatitis D 2018. (Link zur Quelle)
  4. Asselah, T., und Rizzetto, M.: N. Engl. J. Med. 2023, 389, 58 (Link zur Quelle)
  5. Wedemeyer, H., et al. (MYR 301 = Study to Assess Efficacy and Safety of Bulevirtide in Participants With Chronic Hepatitis Delta): N. Engl. J. Med. 2023, 389, 22. (Link zur Quelle)
  6. https://www.google.com/search?q=Preis+Bulevirtid+(Hepcludex&oq=Preis+Bulevirtid+(Hepcludex&aqs=edge..69i57j0i546l2.17103j0j1&sourceid=chrome&ie=UTF-8 (Link zur Quelle)