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Tödliche Durchbruchinfektionen nach Post-Expositions-Prophylaxe gegen Tollwut. Eine systematische Literaturanalyse

Jedes Jahr sterben weltweit ca. 60.000 Menschen an Tollwut, die meisten in Asien und Afrika. Oft sind es Kinder < 15 Jahren [1]. Die Erreger der Tollwut gehören zur Familie der Rabies-Viren zu denen auch das Rabies lyssa-Virus gehört. Es wird meist durch den Biss eines infizierten Hundes oder eines Raubtiers auf den Menschen übertragen [2], denn die Viren sind im Speichel infizierter Tiere enthalten [1][3]. Die Viren können sich an den Acetylcholin-Rezeptor anheften und werden über das Nerven-Axon zum Gehirn weitertransportiert. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit wird auf 10-40 cm pro Tag geschätzt [4]. Die Zeit bis zum Auftreten von Symptomen beträgt Wochen bis Monate, in seltenen Fällen auch noch länger [2], [1][3]. Symptome sind Enzephalitis, Paralysen, gefolgt von Hypersalivation, charakteristische Hydrophobie [5], Koma und Tod [2], [1][3]. Die Infektion verläuft bei nichtgeimpften Personen ohne Post-Expositions-Prophylaxe (PEP) fast immer tödlich [2], [1][3]. Eine antivirale Therapie steht nicht zur Verfügung [2], [1]. Daher wird nach einem Biss von einem Tier, das möglicherweise mit dem Tollwut-Virus infiziert ist, eine PEP mit aktiver und passiver Immunisierung durchgeführt [2], [1]. Weltweit werden > 10 Mio. solcher PEP pro Jahr verabreicht [6]. In Deutschland und Österreich gehört die Tollwut inzwischen zu den vergessenen Krankheiten, auch weil beide Länder seit 2008 als tollwutfrei gelten [2], denn es wurden keine Infektionen mehr bei Füchsen und Hunden nachgewiesen. Natürliche Reservoire in Fledermäusen spielen für die Übertragung auf den Menschen keine wesentliche Rolle. Für in Deutschland und Österreich lebende Menschen besteht jedoch ein erhöhtes Infektionsrisiko bei Reisen in Länder mit endemischem Vorkommen. Daher sollten Menschen, die „Out door“-Aktivitäten in Ländern planen, in denen es tollwutinfizierte streunende Hunde gibt, z.B. Indien, Nepal, Afrika, Mittlerer Osten, sich vorher über eine aktive Immunisierung informieren [2]. Die letzte Tollwut-Erkrankung bei einem in Deutschland lebenden Menschen trat im Jahr 2007 auf. Dieser Patient wurde in Marokko von einem streunenden Hund gebissen, erkrankte und starb nach der Rückkehr [7]. Als besonders verhängnisvoll bleibt in Deutschland die Übertragung von Tollwut auf Menschen durch Organtransplantation in Erinnerung [8]. Eine 26-jährige Frau, die im Oktober 2004 auf einer Reise in Indien von einem Hund gebissen worden war, erkrankte nach ihrer Rückkehr in Deutschland an heftigen, persistierenden Kopfschmerzen, Fieber, Wesensveränderungen und aggressivem Verhalten und starb [8]. Ein ganz ähnlicher Fall ist übrigens in einem älteren Lehrbuch für Infektiologie ausführlich beschrieben [3]. Nach ihrem Tod wurden von ihr als Spenderin 6 verschiedenen Empfängern Organe transplantiert [8]. Die drei Patienten, denen Lunge, Pankreas bzw. Niere transplantiert worden waren, starben ebenfalls an Tollwut [8]. Der Patient, der die Leber erhalten hatte, war früher gegen Tollwut geimpft worden und hatte zum Zeitpunkt der Transplantation noch Antikörper gegen das Tollwut-Virus. Er überlebte. Zwei weiteren Patienten wurde die Korneae transplantiert, die wieder entfernt wurden. Allerdings konnten in ihnen keine Viren nachgewiesen werden [8]. Die Vorgeschichte der Patientin und ihre Symptome hätten auf die Diagnose Tollwut hinweisen können, wie in dem Lehrbuch beschrieben [3]. Inzwischen wurde ein entsprechender Hinweis in die Transplantations-Richtlinie der Bundesärztekammer aufgenommen [9].

Die Beispiele sollen an die Bedeutung der PEP erinnern, denn sie kann auch in tollwutfreien Ländern bei importierter Tollwut weiterhin lebensrettend sein. Die Impfung wurde von Louis Pasteur entwickelt. Er hatte in langwierigen Versuchsreihen das Virus durch Sonneneinwirkung auf entnommenes Rückenmark infizierter Kaninchen abgeschwächt (attenuiert). Pasteur war kein Arzt; er stammte aus einer Winzerfamilie, beschäftigte sich mit bakterieller Gärung und auch mit steriler Filtration, so dass er aus seinen Präparaten eine Flüssigkeit zur Injektion herstellen konnte. Eine Mutter, deren Sohn von einem tollwütigen Hund gebissen worden war, fragte bei Pasteur um Hilfe nach. So wurde die erste PEP 1885 durch Ärzte mit dem Mittel von Pasteur, d.h. mit unterschiedlich lange getrockneten Präparationen von infiziertem Rückenmark, in mehreren Schritten durchgeführt [10]. Die letzte Injektion mit der am wenigsten attenuierten Präparation wurde gleichzeitig auch einem Hund verabreicht. Der Hund starb, der kleine Patient überlebte. Die PEP-Präparate gegen Tollwut wurden weiterentwickelt und werden heute routinemäßig eingesetzt. Empfehlungen zur Indikation und Anwendung sind vom Robert Koch-Institut und der WHO beschrieben [2], [1]. Zu den Ursachen der seltenen tödlichen Durchbruchinfektionen nach PEP wurde kürzlich eine ausführliche, systematische Literaturrecherche publiziert [6].

Methodik: Zu Durchbruchinfektionen nach PEP wurde die gesamte medizinische Literatur von 1980 bis 2022 durchgesehen. Mittels Schlüsselwörtern wurden > 5.000 Publikationen gefunden; Duplikate wurden ausgeschlossen. Schließlich verblieben anhand von Titeln und „Abstracts“ noch knapp 400 Publikationen, die dann genauer thematisch durchgesehen wurden. Für die weitere Analyse kamen aufgrund ihres Inhalts insgesamt 52 Beiträge mit 122 Fällen infrage. Zur Definition für eine Durchbuchinfektion galt, dass die Empfehlungen zur Wundreinigung und PEP eingehalten wurden.

Ergebnisse: Die 122 Fälle wurden als Fallberichte oder Fallserien publiziert, gemeldet wurden 30 aus Afrika, 64 aus Asien und 27 aus dem Mittleren Osten. Bei einem wurde das Land nicht genannt. Das mediane Alter der Patienten betrug 14,5 Jahre, 69% waren männlich. In 101 Fällen wurde die Exposition identifiziert. Hunde waren bei weitem die häufigste Quelle (n = 88; 87%), sehr viel seltener Füchse (n = 4), Wölfe (n = 3), Mangusten (n = 2), Schakale (n = 2), Katze (n = 1), andere (n = 1). In den Fällen, bei denen über die potenzielle Übertragung berichtet wurde, geschah dies – bis auf 2 Fälle – durch Bisse, die die Haut perforiert hatten. Bei den beiden anderen wurden tiefe Kratzwunden angegeben. In weit über der Hälfte der Fälle waren es multiple Bisse an Kopf, Gesicht, Hals oder Nacken, also eine kurze Strecke bis zum ZNS. Die Durchbruchinfektionen wurden entweder virologisch nachgewiesen (46%) oder waren klinisch wahrscheinlich (54%). Die mediane Zeit von der Exposition bis zu den Symptomen betrug 20 Tage und bis zum Tod 27 Tage. Dies ist kürzer als es sonst berichtet wird, und wahrscheinlich auf die vielen Patienten mit Eintrittspforten am Kopf oder in kopfnahen Regionen zurückzuführen. 77% der Patienten erhielten die aktive und die passive Impfung innerhalb von 2 Tagen nach der Exposition. Bei den meisten erfolgte die PEP also schnell, wahrscheinlich wegen der doch großen Wundflächen. Allerdings erhielten nur 57% als passive Impfung das Anti-Rabies-Immunglobulin, von denen es bei 21% nur intramuskulär und nicht in die Region um die Wundränder herum injiziert wurde. Keiner der Personen hatte jemals zuvor eine Tollwutimpfung erhalten. Insgesamt 5 Patienten haben die PEP definitiv zu spät erhalten, da sie Symptome schon nach 2 Tagen entwickelten oder innerhalb von 2 Tagen nach PEP an Tollwut starben. Bei 56% der Interventionen gab es Abweichungen von der üblichen Praxis der PEP. Häufig wurde die Wundreinigung vernachlässigt und/oder das Anti-Rabies-Immunglobulin nicht auch in den Bereich um die Wundränder herum injiziert.

Fazit

Angesichts der großen Zahl der Post-Expositions-Prophylaxen (PEP) nach potenzieller Exposition von Tollwut sind Durchbruchinfektionen selten. Als mögliche Ursachen wurden in der hier besprochenen Literaturrecherche Abweichungen von den Empfehlungen zur Durchführung der PEP gefunden. Insbesondere sollten die Wunden gründlich gereinigt und die Immunseren auch um die Wunden herum injiziert werden. Patienten mit Eintrittspforten am Kopf oder kopfnahen Regionen haben sehr wahrscheinlich ein höheres Risiko für Durchbruchinfektionen, wobei dies oft Kinder betrifft.

Literatur

  1. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/rabies (Link zur Quelle)
  2. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Tollwut.html (Link zur Quelle)
  3. Amstrong, D., und Cohen, J. (Hrsg.): Infectious Diseases. Mosby, St. Louis Missouri, USA, 1999. (Link zur Quelle)
  4. Warrell, M.J., und Warrell, D.A.: Lancet 2004, 363, 959. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(04)15792-9/fulltext. Erratum: Lancet 2004, 364, 2096. (Link zur Quelle)
  5. https://figshare.com/articles/media/Furious_Rabies_after_an_Atypical_Exposure/148184 (Link zur Quelle)
  6. Whitehouse, E.R., et al.: Lancet Infect. Dis. 2022, 23, e167. (Link zur Quelle)
  7. Robert Koch-Institut: Zu einer Tollwut-Erkrankung nach Aufenthalt in Marokko. Epid. Bull. 2007, 24, 191. (Link zur Quelle)
  8. Wohlsein, P., et al.: Pathologe 2011, 32, 406. (Link zur Quelle)
  9. https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Ueber_uns/Richtlinien_Leitlinien_Empfehlungen/RiliOrgaEmpfaengerschutzMedBeurt20150424.pdf (Link zur Quelle)
  10. Benzenhöfer, U.: Dtsch. Arztebl. 2010, 107, A-2112. (Link zur Quelle)