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Jahresrückblick

Mit der Dezemberausgabe des ARZNEIMITTELBRIEFs schließen wir den 58. Jahrgang ab. Wir hoffen, Ihnen auch in den vergangenen 12 Monaten in 78 Artikeln viele Informationen gegeben zu haben, die Ihnen im beruflichen Alltag und somit Ihren Patientinnen und Patienten nützlich sind.

Einige Themen, die uns klinisch wichtig erschienen, möchten wir nochmals herausheben. Im März haben wir über Schwere Nebenwirkungen nach Gentherapie mit CAR-T-Zellen berichtet, im April zu Neue Therapieansätze bei primärer biliärer Cholangitis und im Mai zu Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) – neuere Entwicklungen zur Prävention. Im Juni hatten wir dann eine Übersicht Zur Behandlung von Depressionen im Alter und zu potenziellen Interaktionen Cannabidiolhaltiger Arzneimittel. Im Juli adressierte der Hauptartikel die Pharmakotherapie bei großer Hitze und im September Antidepressiva und Suizidalität. Im Oktober ging es u.a. über Eisenparameter im Blut und das Risiko für Infektionen, Sepsis und Tod, im November über Neue lang- und besser wirksame antiretrovirale HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe für Frauen und im Dezember über Therapieansätze beim Post-COVID-Syndrom.

Es ist unser Anliegen, Sie möglichst vielfältig und evidenzbasiert-kritisch über Grundlagen und neue Entwicklungen in der Pharmakotherapie zu informieren. Dabei freuen wir uns auch über Anregungen und Kritik aus unserer Leserschaft. Im April hat uns ein Leser darauf hingewiesen, dass die Tabakindustrie zunehmend das Narrativ befördert, wonach E-Zigaretten zur Raucherentwöhnung hilfreich sind und eine vermeintlich „gesündere“ Alternative zur Zigarette. Die angebliche Evidenz hierzu kommt aus einer Reihe von Studien und einem Cochrane-Review, über das wir berichtet haben. Diese Studien wurden aber teilweise von den Tabakkonzernen finanziert, und viele der Autoren haben unzureichend deklarierte Interessenkonflikte mit den Herstellern von Nikotinprodukten. Somit haben diese Studien vermutlich auch zum Ziel, neue – meist junge – Konsumenten zu generieren und den Umsatz der Tabakkonzerne zu sichern.

Besonders viel und unterschiedliche Resonanz gab es zu unserem Aufruf in der Mai-Ausgabe Notfall Klima: Übernehmen wir endlich Verantwortung und handeln, jetzt! Einige Leser waren irritiert über den moralischen Impetus und die Gesellschaftskritik einer Arzneimittelzeitschrift. Sie empfanden verschiedene Aspekte in dem Artikel unpassend, so zum Beispiel zur Analogie, wonach die großen Öl- und Gaskonzerne – ähnlich wie die Tabakindustrie – wider besseren Wissens seit Jahren Zweifel befördern am menschengemachten Anteil des Klimawandels, den erforderlichen Maßnahmen dagegen und unsere Kritik an handelnden Institutionen und Personen, die versuchen, ihre Geschäfte möglichst lange abzusichern.

Meinungsäußerungen und Kritik zu gesellschafts- und umweltpolitischen Vorgängen, sofern sie sich ungünstig auf gesundheitliche Vorsorge bzw. Erkrankungen auswirken, gehören jedoch zum Selbstverständnis unserer Arbeit in der Redaktion.

Ein Hauptmotiv unserer Zeitschrift seit Gründung im Jahr 1967 ist es, sich der Desinformation zu Arzneimitteln und Medizinprodukten entgegenzustellen, d.h. eine evidenzbasierte Fortbildung zu fördern und somit das Handeln von Ärztinnen und Ärzten zum Vorteil von Patienten. Auch die massive Einflussnahme der pharmazeutischen Unternehmen (pU) und Medizingerätehersteller auf die medizinischen Agenden haben wir 2024 in mehreren Artikeln kritisiert, wie Big Pharma: steigende Gewinne und zunehmende Regelverletzungen in den USA, oder finanzielle Interessenkonflikte bei Leitlinienautoren – weiterhin Abhängigkeiten, die nicht im Interesse der Patienten sind, oder das lukrative Geschäft mit der durch die Industrie gesteuerten ärztlichen Fortbildung.

Im Jahr 1970 veröffentlichte unser Mitgründer Herbert Herxheimer einen Artikel im „Spiegel“ [1]. Unter dem Titel „Jeden Tag ein noch weißerer Riese“ schrieb er: „Wir sehen also, daß die übermächtige Werbung der Pharma-Industrie im Mittelpunkt des ganzen Arzneimittelwesens, das heißt der Arzneimittelmisere, steht. (..) Die Ärzte haben sich als ebenso anfällig gegenüber dieser Propaganda erwiesen wie das allgemeine Publikum gegenüber anderen Werbemaßnahmen. (..) So kann es nicht mehr weitergehen. Wir Ärzte können nicht weiter in einer Atmosphäre leben, in der die Psychologie des »Weißen Riesen« herrscht, in der jeder Tag durch einen noch weißeren Riesen abgelöst wird. Die Technik des kaufmännischen Wettbewerbs darf nicht unbeschränkt auf die Arzneimittel übertragen werden, die die Krankheit bekämpfen sollen und bei deren Anwendung objektive Maßstäbe angelegt werden müssen. (..) Auch die Preispolitik der Industrie bedarf der Nachprüfung. (..) Unsere Industrie muß sich von den schädlichen Gewohnheiten, die sich in langen Jahren eingebürgert haben, befreien, und es hat den Anschein, daß dies bei uns ohne staatliche Hilfe nicht möglich sein wird.“

Es ist ärgerlich, wie aktuell solche Sätze noch jetzt nach mehr als 50 Jahren sind. Hinzugekommen sind vielfältigere und subtilere Methoden. Pharmazeutische Unternehmen dominieren die Forschungsagenden, beeinflussen die Fragestellungen und Datengenerierung in Studien und nehmen Einfluss auf die Dateninterpretation und -darstellung, auf Evidenzanalysen und Leitlinien. Geldzuwendungen an Ärzte und Ärztinnen gibt es nach wie vor, nur wenige transparent, und die ärztliche Fort- und Weiterbildung wird nach wie vor im großen Stil von der Industrie mitorganisiert. Das alles erfolgt mit dem Ziel, Gewinne zu steigern. Mittlerweile haben uns die Wege pharmazeutischer Unternehmer zur Gewinnoptimierung – in Verbindung mit politischen Fehlern in der Gesundheitsversorgung – in Sackgassen mit Lieferengpässen bei Arzneimitteln geführt.

Aber resignieren ist keine Option. Unser langjähriger Mitherausgeber Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig wurde im Februar für sein Engagement für unabhängige Informationen und Bewertung von Arzneimitteln vom Bundespräsidenten mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. In der Laudatio hierzu wurde betont, wie wichtig Transparenz und Unabhängigkeit bei der Bewertung von Arzneimitteln für das Wohl von Patientinnen und Patienten sind. Arbeiten wir auch 2025 gemeinsam dafür! Und wenn Sie mögen, empfehlen Sie uns gerne an unsere jungen Kolleginnen und Kollegen weiter.

Literatur

  1. Herxheimer, H.: Der Spiegel, 19.7.1970. https://www.spiegel.de/kultur/jeden-tag-ein-noch-weisserer-riese-a-9938ebd4-0002-0001-0000-000044418334 (Zugriff am 9.12.2024). (Link zur Quelle)