Ivabradin (Procoralan®) senkt die Herzfrequenz durch Blockade eines kardialen Ionen-Kanals, der wie der Kalium- und Kalziumkanal für die Regulation der Repolarisationsdauer verantwortlich ist. UAW von Ivabradin auf die Kontraktilität des Herzens und die glatte Gefäß- oder Bronchialmuskulatur sind kaum bekannt bzw. nicht systematisch untersucht. Die Substanz wurde im Januar 2006 zur Behandlung der stabilen Angina pectoris bei Kontraindikation von Betablockern zugelassen (1). BEAUTIFUL war der euphemistische Name der Studie, die den Wirksamkeitsnachweis erbringen sollte (2). Die Ergebnisse waren wenig überzeugend und alles andere als beautiful. Wir haben ausführlich darüber berichtet (3).
Nun sind im Lancet zwei große Studien (4, 5) erschienen zur Wirksamkeit von Ivabradin bei Herzinsuffizienz und zur Bedeutung der Herzfrequenz für die Prognose von Patienten mit Herzinsuffizienz. Beide Studien sind Teile des SHIFT-Projekts. Hinter diesem gut klingenden englischen Akronym steckt wohl wieder eine – nicht besonders überzeugende – Marketing-Absicht. Offenbar soll schon im Titel suggeriert werden, Ivabradin sei eine Wende, ein Durchbruch in der Therapie der Herzinsuffizienz. Die Studie wird – wie BEAUTIFUL – von der Herstellerfirma Servier finanziert.
Die erste SHIFT-Veröffentlichung im Lancet (4) ist eine internationale randomisierte plazebokontrollierte Doppeltblindstudie. Es wurden 6578 Patienten eingeschlossen, die in letzter Zeit wegen Herzinsuffizienz stationär behandelt und mit einer Basistherapie stabil eingestellt worden waren. Die Herzfrequenz sollte ≥ 70/min und die Ejektionsfraktion ≤ 35% betragen. 90% der Patienten waren mit Betablockern behandelt. Zusätzlich zur Basistherapie erhielt die Verum-Gruppe maximal zweimal 7,5 mg/d Ivabradin. Primärer Kombinations-Endpunkt war Krankenhausaufnahme wegen neuerlicher Herzinsuffizienz und kardialer Tod.
Die Art der Therapie und die Ergebnisse sind in Tab. 1 dargestellt. Der primäre Endpunkt wurde in der Ivabradin-Gruppe hochsignifikant seltener erreicht als unter Plazebo. Das ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Krankenhausaufnahmen wegen Herzinsuffizienz in der Ivabradin-Gruppe seltener notwendig waren. Dagegen wurde weder die Gesamtletalität noch die kardiale Letalität signifikant verringert. Dass die Patienten unter Ivabradin seltener stationär behandelt werden mussten, ist sicher ein positives Ergebnis. Aber ist dadurch wirklich ein Zusatznutzen des neuen Präparats im Vergleich mit den bisherigen Therapiemöglichkeiten erwiesen? Wir glauben nicht. Der Autor des Editorials in derselben Ausgabe des Lancet ist derselben Meinung (6). Die mittlere Herzfrequenz der Patienten zu Beginn der Studie ist mit 80 Schlägen/min auffallend hoch. Dies spricht dafür, dass sie wahrscheinlich nicht mit einer ausreichenden Dosis Betablocker behandelt waren, obwohl die Zentren (66% in Osteuropa!) von der Studienleitung gut informiert und vorbereitet wurden. Aber es erhielten z.B. nur 26% der Patienten die optimale Dosis und nur 56% mehr als die halbe Zieldosis eines Betablockers. Der günstige Effekt von Ivabradin ist fast ausschließlich begrenzt auf möglicherweise unzureichend behandelte Patienten mit einer Herzfrequenz > 80 Schläge/min (s. Tab. 2). Der Nachweis, dass ausreichend mit einem Betablocker behandelte Patienten durch Ivabradin einen Zusatznutzen haben, steht noch aus. Übrigens war die Ausgangsfrequenz noch unbehandelter Patienten, die in die wichtigsten Betablocker-Studien zur Behandlung der Herzinsuffizienz eingeschlossenen wurden, 80-83 Schläge/min (6). Die nach Angaben der Autoren „ausreichend (auch mit Betablockern) behandelten Patienten” der SHIFT-Studie hatten ähnlich hohe Frequenzen!
Unphysiologische Licht- oder Farbwahrnehmungen (Phosphene) sind eine typische UAW von Ivabradin. Sie traten bei 3% der Patienten auf, unter Plazebo nur bei 1%. Das zeigt, dass diese Substanz nicht nur kardiale Wirkungen hat. Darauf wird man sehr achten müssen.
Die Ergebnisse der zweiten SHIFT-Studie im selben Heft des Lancet (5) hätten problemlos auch noch in der ersten untergebracht werden können. Zwei Titel zum selben Thema prägen sich aber besser ein, ein beliebter Marketing-Trick. Die Botschaft des zweiten Titels ist aus Tab. 2 abzuleiten und nach dem bisher Gesagten nicht überraschend: 1. Eine hohe Herzfrequenz bei Herzinsuffizienz ist ein wichtiger Risikofaktor, 2. signifikant günstige Therapieeffekte sind nur in den Gruppen mit vergleichsweise hoher Herzfrequenz zu sehen.
Die Herausgeber des Lancet sind offenbar von den positiven Aspekten der SHIFT-Studien überzeugt. Sie schreiben auf der Titelseite, quasi als Wochenspruch: ”Die selektive Senkung der Herzfrequenz mit Ivabradin verbessert die kardiovaskulären Ergebnisse”. Es bleibt unerwähnt – und das ist sehr ärgerlich – dass ein tatsächlicher Zusatznutzen der Therapie mit Ivabradin keineswegs nachgewiesen wurde.
Der Abdruck solch großer, vom Hersteller unterstützter Studien hat erhebliche finanzielle Vorteile für die Zeitschriften. Sie werden dadurch häufiger zitiert, ihre Bedeutung steigt, und sie können mehr Sonderdrucke verkaufen. Nach einer neuen Erhebung dänischer Autoren stammen 3% (BMJ) bzw. 41% (Lancet) des Verlageinkommens aus dem Verkauf von Sonderdrucken (7). Die Autoren fordern zu Recht, dass auch Zeitschriften ihre Interessenkonflikte offenlegen müssen, nicht nur die Autoren.
Fazit: Ivabradin senkt die Herzfrequenz bei Patienten mit Herzinsuffizienz und Sinusrhythmus. Die SHIFT-Studien haben nicht nachgewiesen, dass es bei optimal mit Betablockern behandelten Patienten einen zusätzlichen Nutzen hat. Übrigens sind die Tagestherapiekosten von Ivabradin 2,39 € und von Metoprolol 0,31 € (8).
Literatur
- AMB 2008, 42, 01. Link zur Quelle
- Fox, K., et al. (BEAUTIFUL = The morBidity-mortality EvAlUaTion of the I(f) inhibitor ivabradine in patients with coronary disease and left ventricULar dysfunction): Lancet 2008, 372, 807. Link zur Quelle
- AMB 2008, 42, 87. Link zur Quelle
- Swedberg, K., et al. (SHIFT = Systolic Heart failure treatment with the I(f) inhibitor ivabradine Trial): Lancet 2010, 376, 875. Link zur Quelle
- Böhm, M., et al. (SHIFT = Systolic Heart failure treatment with the I(f) inhibitor ivabradine Trial): Lancet 2010, 376, 886. Link zur Quelle
- Teerlink, J.R.: Lancet 2010, 376, 847. Link zur Quelle
- Lundh, A., et al.: PLoS Med. 2010, 7, e1000354. Link zur Quelle
- Schwabe, U., und Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2010. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2010.