Riociguat (Adempas®) ist ein neues, oral einzunehmendes Arzneimittel zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie (PAH). Es wurde von der Bayer Pharma AG entwickelt. Der Wirkstoff war bisher nur in USA zugelassen, hat aber am 31.3.2014 auch von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) die Marktzulassung erhalten und zwar zur Behandlung der PAH – als Monotherapie oder in Kombination mit Endothelin-Rezeptor-Antagonisten (ERA) – sowie der chronisch-thromboembolischen pulmonalen Hypertonie (CTEPH; 1). In der Praxis kommen diese beiden Erkrankungen sehr selten vor: CTEPH bei Europäern etwa 3 und PAH etwa 15-50 /Mio.
Riociguat gehört zu einer neuartigen Wirkstoffgruppe, die die lösliche Guanylat-Zyklase (sGC) stimuliert. Wenn Stickstoffmonoxid (NO) an sGC bindet, katalysiert das Enzym die Synthese des zyklischen Guanosinmonophosphat (cGMP)-Signalmoleküls. Intrazelluläres cGMP spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Prozessen, die Gefäßtonus, Proliferation, Fibrose und Entzündung beeinflussen (2). Zur Wirksamkeit von Riociguat bei CTEPH und PAH sind im letzten Jahr im N. Engl. J. Med. gleichzeitig zwei internationale, randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studien erschienen mit den Akronymen CHEST-1 und PATENT-1 (3, 4).
In CHEST-1 (3) wurden 261 Patienten mit schwerer CTEPH eingeschlossen. Für die Teilnahme mussten u.a. Ventilations- oder Perfusionsszintigraphie, Pulmonalis-Angiographie, Gefäß-CT oder MRT vorliegen. Die Patienten wurden im Verhältnis 2:1 zur Riociguat- bzw. Plazebo-Gruppe randomisiert. Die Riociguat-Dosis wurde adjustiert (systolischer Blutdruck bzw. Zeichen der Hypotension), beginnend mit 1 mg dreimal täglich oral. Nach acht Wochen lag die Dosis im Bereich von 0,5-2,5 mg dreimal täglich. Als primärer Endpunkt nach 16 Wochen wurde die Änderung der Gehstrecke nach sechs Minuten in der Verum- und der Plazebo-Gruppe miteinander verglichen. Sekundäre Endpunkte waren unter anderen: der pulmonalarterielle Druck, der pulmonale Gefäßwiderstand, die Konzentration des aminoterminalen pro B-Typs des natriuretischen Peptids (NT-proBNP), der Schweregrad der Herzinsuffizienz sowie andere klinische Scores (z.B. Atemnot) und Sicherheit.
In Tab. 1 sind die Ausgangswerte und die Veränderungen nach 16 Wochen dargestellt: Die Unterschiede der Veränderungen nach Plazebo entsprechen eher einer geringen Verschlechterung, nach Riociguat einer Verbesserung. Die Differenz von beiden ist der Therapieeffekt. Er ist gering, aber hochsignifikant. Damit ist eine positive Wirkung von Riociguat zwar nachgewiesen, aber alle Endpunkte bleiben im hochpathologischen Bereich. Auch die Zahl der klinischen Verschlechterungen ist bei Riociguat geringer (2 vs. 6; nicht signifikant), ebenso die Letalität (1 vs. 3). Die Gesamtzahl der Nebenwirkungen ist ausgeglichen (86 vs. 92), aber bei der geringen Zahl der Patienten ist das nicht sehr aussagekräftig. Bei Riociguat überwogen Kopfschmerzen, Benommenheit, Dyspepsie, Übelkeit, Diarrhö und Hypotonie – im Wesentlichen Nebenwirkungen infolge der Relaxation glatter Muskelzellen.
Die Ergebnisse erscheinen auf den ersten Blick als therapeutischer Fortschritt. Nach vier Monaten Therapie können die Patienten in sechs Minuten 39 m weiter gehen als ohne diese Behandlung (vgl. Tab. 1). Dies kann als Beleg für eine Wirksamkeit gewertet werden, aber ist das auch ein therapeutischer Fortschritt? Erst nach längerer Beobachtungszeit wird sich zeigen, ob sich die Behandlung mit Riociguat auch positiv auf die Lebensqualität und Lebenserwartung von Patienten mit PAH auswirkt.
Um Hinweise zur längerfristigen Wirksamkeit zu erhalten, wurden 211 Patienten (91%) aus CHEST-1 weiterbehandelt (CHEST-2; 5). Patienten der ehemaligen Plazebo-Gruppe erhielten in dieser Phase ebenfalls Riociguat. Nach einer Gesamtbehandlungsdauer von im Median 582 Tagen wurden dann die Mittelwerte dieser Patienten verglichen mit dem Ausgangswert aller Patienten aus CHEST-1, von denen ein Drittel zunächst kein Riociguat erhalten hatte. Nach Ergebnissen dieser Studie, veröffentlicht Anfang März 2014 als Referat eines Kongressvortrags (5), ist die Besserung der Patientendaten offenbar stabil geblieben. Ohne die Daten im Einzelnen zu diskutieren, wollen wir auf das vorsichtige Fazit des Erstautors kritisch hinweisen. Er sagt: „langfristige Einnahme von Riociguat scheint einen Nutzen zu haben bei allen Schweregraden der persistierenden, rezidivierenden und inoperablen CTEPH“ (5).
Die zweite Studie derselben Arbeitsgruppe (PATENT-1; 4) entspricht CHEST-1 in Fragestellung und Methodik, allerdings hatte die PAH der Patienten eine andere Pathogenese: idiopathisch, genetisch oder seltene andere Ursachen, z.B. im Rahmen angeborener Herzfehler, Bindegewebs- und Lebererkrankungen. Notabene: Die wahrscheinlich größte Gruppe der Patienten mit PAH, nämlich die mit Lungenemphysem und chronischer Bronchitis, war in beiden (für die Zulassung relevanten Studien nicht eingeschlossen. Daher wird diese Gruppe auch nicht als Indikation erwähnt. Es würde uns aber nicht wundern, wenn Bayer mit „Off-label-use“ rechnet und ihn bei den Umsatzprognosen anlässlich seiner Bilanzsitzung (s.u.) bereits einkalkuliert hat.
In PATENT-1 (4) wurden 443 Patienten eingeschlossen und im Verhältnis 2:4:1 randomisiert in drei Gruppen: 1. Plazebo, 2. Symptom-angepasste Dosierung bis dreimal 2,5 mg/d Riociguat und 3. angepasste Dosierung bis maximal dreimal 1,5 mg/d. Etwa 50% der Patienten erhielt zusätzlich eine Therapie mit einem ERA bzw. einem Prostanoid. Nach zwölf Wochen wurden dieselben Endpunkte verglichen wie in CHEST-1 (3). Die Ergebnisse waren prinzipiell identisch. Riociguat verlängerte bei Patienten mit Symptom-angepasster Dosierung (2. Gruppe) im Vergleich zu Plazebo nach drei Monaten die Gehstrecke in sechs Minuten gering, aber hochsignifikant um 30 m gegenüber dem Ausgangswert. Auch alle anderen, oben genannten Endpunkte wurden ebenfalls gering, aber signifikant günstig beeinflusst. Die Nebenwirkungen entsprachen denen, die in CHEST-1 aufgetreten waren.
S.L. Archer aus Kingston, Ontario (Kanada), der Autor des Editorials in derselben Ausgabe des N. Eng. J. Med. (2) mit der Überschrift: „Riociguat – ein Glas halb voll“, hält die Nähe der Autoren zum Sponsor beider Studien (Bayer HealthCare) und anderen pharmazeutischen Unternehmern (pU) für bedenklich: Zwölf der 13 Autoren von CHEST haben mehr oder weniger intensive Beziehungen zu Bayer HealthCare oder anderen pU, fünf sind Deutsche (aus Gießen, Heidelberg, Wuppertal), drei sind bei Bayer HealthCare beschäftigt, darunter der für die Auswertung der Studien verantwortliche Statistiker. S.L. Archer weist außerdem darauf hin, das eine vom Sponsor bezahlte Firma, Adelphi Communications, den vom Erstautor verfassten Entwurf des Manuskripts redigiert hat. Ein Fall von Ghostwriting (vgl. 6)? Unabhängigkeit sei jedoch unabdingbar für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels – nicht nur zur Behandlung der PAH – insbesondere wenn es darum geht, geringe Effekte in der Wirksamkeit zu belegen. Der Autor erinnert auch an die zentrale Bedeutung der sGC für die Regulation des pulmonalen Blutdrucks und begrüßt, dass jetzt mit Riociguat eine oral anwendbare Substanz zur Verfügung steht. Die Effekte hält er jedoch für gering, vergleichbar mit denen der Phosphodiesterasehemmer, die allerdings nicht speziell für die CTEPH zugelassen sind. Darüber hinaus kritisiert er, dass in beiden Studien (3, 4) die Funktion des rechten Ventrikels nicht untersucht wurde.
Die Tagestherapiekosten von Riociguat betragen 45,57 €, bei Behandlung mit Tadalafil (Adcirca®) 15,02 €.
Nach Informationen anlässlich der Bayer-Jahresbilanzsitzung am 28.2.2014 (7) gehört Riociguat neben Rivaroxaban (Xarelto®; 8), Aflibercept (Eylea®; 9), Regorafenib (Stivarga®; 10) und Radium-223-Dichlorid (Xofigo®) zu den fünf Arzneimitteln, von denen Bayer HealthCare sich in Zukunft ein jährliches Umsatzpotenzial von 7,5 Mrd. € verspricht. Das verwundert uns, auch angesichts des geringen oder bisher unzureichend belegten Zusatznutzens dieser Wirkstoffe.
Fazit: Riociguat, erster Vertreter von Stimulatoren der löslichen Guanylat-Zyklase, ist ein neuartiger Wirkstoff zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie sowie der chronisch-thromboembolischen pulmonalen Hypertonie. Die in den Studien CHEST-1 und PATENT-1 beobachteten Effekte von Riociguat sind zwar signifikant, aber gering, und der Zusatznutzen ist derzeit nicht abschließend zu beurteilen. Nach unserer Meinung ist mit diesen Ergebnissen das Glas nicht halb voll, sondern halb leer – für die Patienten.
Literatur
- http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
- Archer, S.L.: N. Engl. J. Med. 2013, 369, 386. Link zur Quelle
- Ghofrani, H.A.,et al. (CHEST-1= ChronicThromboembolic Pulmonary Hypertension Soluble Guanylate Cyclase-StimulatorTrial 1): N.Engl. J. Med 2013, 369, 319. Link zur Quelle
- Ghofrani, H.A.,et al. (PATENT-1 = PulmonaryArterial Hypertension Soluble Guanylate Cyclase-Stimulator Trial 1): N. Eng.l J. Med. 2013, 369,330. Link zur Quelle
- Wang,C., et al. (CHEST-2= ChronicThromboembolic Pulmonary Hypertension Soluble Guanylate Cyclase-StimulatorTrial 2):Chest 2014, 145 (3 Suppl.), 535B. Link zur Quelle
- AMB 2002, 36, 22c Link zur Quelle . AMB 2012, 46,59. Link zur Quelle
- http://www.news.bayer.com/baynews/baynews.nsf/ID/2014-0028-eLink zur Quelle
- AMB 2011, 45, 73 Link zur Quelle. AMB 2013, 47, 40DB01 Link zur Quelle . AMB 2013, 47, 80DB01. Link zur Quelle
- AMB 2013, 47, 85. Link zur Quelle
- http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/NA/Archiv/201402-Stivarga.pdfLink zur Quelle