Publikationen von pharmazeutischen Unternehmern (pU) zu ihren Arzneimitteln sind häufig geschönt: selektiv werden die günstigen Ergebnisse zur Wirksamkeit herausgestellt und Nebenwirkungen aktiv verheimlicht. Dies ist für mehrere Arzneimittel nachgewiesen worden (vgl. 1). Jetzt haben die New York Times und das BMJ berichtet, dass auch eine Publikation zu Dabigatran (Pradaxa®; vgl. 2) im Sinne der Marketingbotschaften des pU manipuliert wurde (3, 4). Ähnlich wie schon bei Gabapentin, Rofecoxib und Rosiglitazon geht dies aus internen Unterlagen und E-Mails hervor, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens öffentlich zugänglich gemacht wurden. Boehringer Ingelheim wird in den USA in tausenden Klagen von Patienten und Angehörigen beschuldigt, nicht angemessen auf die Risiken von Dabigatran hingewiesen zu haben, so die New York Times.
Dabigatran ist zur Prävention von Schlaganfall und systemischer Embolie bei erwachsenen Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und einem oder mehreren Risikofaktoren zugelassen (5). Als ein Vorteil von Dabigatran im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten wird vom pU herausgestellt, dass regelmäßige Messungen der Antikoagulation bzw. der Wirkstoffkonzentration nicht notwendig sind. Mitarbeiter des Unternehmens waren durch eine Analyse von Daten der Zulassungsstudie (RE-LY; 6) jedoch zu der Auffassung gelangt, dass einige Patienten von einer Bestimmung des Wirkstoffspiegels profitieren könnten. Denn trotz Dosisanpassung an Alter und Nierenfunktion (wie in der Fachinformation empfohlen) schwankten in der Untersuchung die Plasmaspiegel bei den Patienten um den Faktor fünf. Die Endpunkte der Studie – ischämischer Schlaganfall und Blutung – korrelierten direkt mit der Plasmakonzentration von Dabigatran. In einem Entwurf der Publikation wurde ein optimaler Konzentrationsbereich des Wirkstoffs definiert. Um den zu erreichen, wären Laboruntersuchungen und Dosisanpassungen notwendig.
Der Entwurf zirkulierte im Unternehmen und wurde von mehreren Mitarbeitern in E-Mails heftig kritisiert (7). Eine Mitarbeiterin sieht das Ziel jahrelanger Arbeit gefährdet: ein Arzneimittel zu entwickeln, für das keine Laborkontrollen notwendig sind. Dieses Vorgehen habe man kontinuierlich gegenüber den Zulassungsbehörden verteidigt. Nun werde es schwierig, das weiterhin zu vertreten. Außerdem würde der Wettbewerb gegenüber anderen neuen oralen Antikoagulanzien unterminiert. Sie bittet zu prüfen, ob das wirklich gewollt ist. Ein anderer Mitarbeiter fragt: „Can’t this be avoided?“ (Kann das nicht vermieden werden?). Er befürchtet mehr Schaden als Nutzen – auf dem Markt und besonders auch in der Diskussion mit den Zulassungsbehörden. In einer anderen E-Mail findet sich, dass auch auf die Entwicklung eines Labortests zur Überwachung der antikoagulatorischen Wirkung von Dabigatran mit Blick auf die Marketingbotschaft verzichtet wurde.
Die Studie wurde schließlich veröffentlicht, jedoch wurden einige Details verändert. So wurde z.B. keine Obergrenze für eine sichere Plasmakonzentration angegeben (6).
Fazit: Eine Publikation zu Dabigatran zeigt wieder einmal, wie kommerzielle Interessen eines pharmazeutischen Unternehmers über das Interesse von Patienten und Ärzten gestellt werden und dass wir dringend unabhängige Arzneimittelforschung brauchen. Unsere Empfehlungen zum zurückhaltenden Einsatz der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK; Thrombinhemmer) bleiben weiterhin gültig (8): sie sollten nur eingesetzt werden, wenn eine gute Einstellung der INR-Werte unter Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon nicht möglich ist oder Unverträglichkeiten bestehen.
Literatur
- AMB 2010, 44, 39a Link zur Quelle. AMB 2012, 46, 49. Link zur Quelle
- AMB 2011, 45, 07a Link zur Quelle. AMB 2010, 44, 06b. Link zur Quelle
- Thomas, K.: Link zur Quelle
- McCarthy, M.: BMJ 2014, 348,g1505.
- Boehringer Ingelheim InternationalGmbH: Fachinformation „Pradaxa® 150 mg Hartkapseln“. Stand:Dezember 2013.
- Reilly, P.A., et al(RE-LY = Randomized Evaluation of Long-term Anticoagulation therapy): J. Am.Coll. Cardiol. 2014, 63, 321. Link zur Quelle
- Unsealed court documentsin Pradaxa case: Link zur Quelle . New York Times Onlinevom 5. Februar 2014.
- AMB 2013, 47,40DB01. Link zur Quelle