Zu unseren beiden Hauptartikeln (AMB 1999, 33, 81 und 82), die sich kritisch mit dem Fehlen wesentlicher Elemente der Evidence-based medicine beim Einsatz von Paclitaxel und der Hochdosis-Chemotherapie beim Mammakarzinom auseinandersetzen, haben wir erwartungsgemäß zahlreiche Zuschriften bekommen: zustimmende und ablehnende. Einige seien hier (gekürzt) wiedergegeben.
Prof. Dr. U.K. aus Göttingen schreibt: >> … Die neueste Ausgabe mit insbesondere den ersten beiden wohltuenden und ach so nötigen Artikeln zum Taxol und zur Hochdosistherapie beim Mammakarzinom, die vielleicht manchem, der damit angesprochen ist, nicht behagen mögen, möchte ich zum Anlaß nehmen … << Dr. V.M.H. aus T. schreibt: >> … Nachdem ich nun die Seiten 81-83 der Novemberausgabe 1999 gelesen habe, möchte ich Ihnen unbedingt ein dickes Lob und Dankeschön senden … Was der kleine Mediziner so ahnt, aber kaum belegen kann, steht hier geschrieben … Bitte schicken Sie der Gesundheitsministerin ein Exemplar des AMB zur Erbauung … Es ist unsäglich, was zunehmend auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird an Karrierebeschleunigung und wer da bezahlt werden möchte … sie leeren die Töpfe, die eigentlich für die Patienten gedacht sind … << Dr. G.E. aus Bremen schreibt: >> … Ich schätze die nüchtern-sachliche Art Ihrer Artikel sehr … insbesondere die Übersichtsartikel. Die beiden Artikel über Paditaxel und Hochdosis-Chemotherapie aber übertreffen alles bis dahin gewesene. Ich möchte Ihnen meinen Dank aussprechen für die immer sachliche, inzwischen aber mit (notwendigem) heiligem Zorn gewürzte Berichterstattung.
Dres. M.K. und W.K. aus Berlin schreiben: >> … Der nicht namentlich erwähnte Autor versucht, einige Hintergründe zur klinischen Prüfung der Rolle der Hochdosistherapie beim Mammakarzinom kritisch zu beleuchten. Er impliziert zugleich, daß von der Hochdosistherapie bei der Behandlung des Mammakarzinoms in der adjuvanten Hochrisikosituation und in der metastasierten Situation Abschied zu nehmen sei. Obwohl eingeräumt wird, daß es sich bei den zum diesjährigen Kongreß der American Society of Clinical Oncology veröffentlichten Abstracts um vorzeitige, nicht abgesicherte Schlußfolgerungen handelt, wird die Durchführung von Hochdosistherapien beim Mammakarzinom insgesamt unsachlich und stellenweise polemisch disqualifiziert. Doch darf uns die Tatsache, daß in den ersten Jahren nach den Veröffentlichungen von W.P. Peters zahlreiche Patientinnen außerhalb klinischer Phase-Ill-Studien behandelt wurden (wenn auch großenteils im Rahmen von Phase-Il-Studien), heute nicht davon abhalten, der dringenden Frage nach dem Stellenwert der adjuvanten Chemotherapie bei Hochrisikopatientinnen lege artis, d.h. im Rahmen prospektiv randomisierter Studien, weiter nachzugehen. Das gleiche trifft auf die Prüfung der Hochdosistherapie in der metastasierten Situation zu. Der emotional aufgeladene Artikel könnte jedoch genau das bewirken, was er beklagt, nämlich daß die Regeln der Evidence-based medicine nicht eingehalten werden, indem die zur Zeit in der Bundesrepublik aktivierten, multizentrischen Phase-Ill-Studien unterminiert werden und nicht zur Komplettierung gelangen. Der Schaden derartig unbedachter Äußerungen ist unabsehbar für die Patientinnen, die eventuell von der Hochdosistherapie profitieren könnten, ganz zu schweigen von dem Verlust der Chance, den Stellenwert der Hochdosistherapie beim Mammakarzinom abzuklären.
Daher bleibt nur der Aufruf an alle Kolleginnen und Kollegen, ihre Patientinnen mit Mammakarzinomen, die die entsprechenden Einschlußkriterien erfüllen, weiterhin im Rahmen der laufenden Studien zur Prüfung des Stellenwertes der Hochdosistherapie zu behandeln. Diese Einstellung entspricht dem gemeinsamen Positionspapier der beiden Arbeitsgemeinschaften Gynäkologische Onkologie und Internistische Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft sowie der Interpretation der beim diesjährigen ASCO-meeting vorgestellten Daten durch die ASCO selbst. << Antwort: >> Es war Ziel der beiden oben genannten Hauptartikel, unsere Leser auf die Mißachtung der Regeln der Evidence-based medicine bei der Einführung von Paclitaxel in die Onkologie und die Propagierung der Hochdosis-Chemotherapie beim Mammakarzinom, insbesondere außerhalb kontrollierter klinischer Studien, aufmerksam zu machen. Die zahlreichen positiven Antworten unserer Leser verdeutlichen, daß dieses Anliegen verstanden und die von uns geäußerten Kritikpunkte geteilt werden. Die Tatsache, daß weltweit über 30000 Patientinnen mit Mammakarzinom im Rahmen der adjuvanten Therapie oder im metastasierten Stadium mit Hochdosis-Chemotherapie behandelt wurden, ohne daß Ergebnisse randomisierter Phase-Ill-Studien vorlagen, die einen validen Vergleich zur konventionell dosierten Polychemotherapie erlauben, wird weder von onkologischen Experten (1) noch kritischen Leserbriefen, wie dem von Dres. M.K. und W.K., bestritten. Die geringe Aussagekraft der zahlreichen Phase-ll-Studien zum Stellenwert der Hochdosis-Chemotherapie beim Mammakarzinom – mit häufig positivem Ergebnis aufgrund von Patientinnenselektion (2) – wird durch die vorläufigen Ergebnisse der von uns kurz referierten Phase-Ill-Studien verdeutlicht, die auf dem Kongreß der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 1999 vorgestellt wurden.
Es war nicht Ziel der beiden Hauptartikel, derzeit in Deutschland laufende Phase-Ill-Studien, insbesondere zur Hochdosis-Chemotherapie beim Mammakarzinom, zu diskreditieren oder die Rekrutierung von Patient(inn)en für diese Studien zu behindern. Regelmäßige Leser des Arzneimittelbriefs wissen, daß wir uns immer wieder (vgl. AMB 1999, 33, 25) für die Durchführung großer randomisierter Studien einsetzen, da in der Regel nur auf diesem Weg Klarheit in strittige Fragen zum optimalen therapeutischen Vorgehen gebracht werden kann. Selbstverständlich ist ein Erkenntnisgewinn aber nur dann zu erwarten, wenn strenge Anforderungen an die Qualität beachtet werden. Die Frage, inwieweit die von Dres. M.K. und W.K. angesprochenen deutschen multizentrischen Phase-Ill-Studien diese Anforderungen erfüllen und wichtige zusätzliche Erkenntnisse zur Hochdosis-Chemotherapie beim Mammakarzinom ergeben, werden wir erst in einigen Jahren beantworten können. Wir glauben nicht, daß unsere Äußerungen zu diesem Thema als unbedacht bezeichnet werden können; wir halten eher die Durchführung dieser potenziell gefährlichen, kostenintensiven und in ihrem Nutzen nicht ausreichend abgesicherten Therapie (3) außerhalb kontrollierter klinischer Studien für unbedacht!
J. Köbberling hat in seinem lesenswerten Eröffnungsvortrag zum 103. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Medizin in Wiesbaden (4) die Grenzen und Unterschiede zwischen wissenschaftlicher und Paramedizin klar analysiert. DER ARZNEIMITTELBRIEF hat sich in den vergangenen Jahren (z.B. AMB 1997, 31, 33) wiederholt kritisch mit Außenseitermethoden in der Onkologie auseinandergesetzt und das Fehlen wissenschaftlicher Nachweise eines therapeutischen Nutzens kritisiert. Deshalb erscheint es uns wichtig, auch Defizite im wissenschaftlichen Medizinbetrieb und deren Hintergründe aufzuzeigen. Die Gründe für eine „schleichende Verbreitung unwissenschaftlicher Denkstrukturen“ (4) in der modernen Medizin sind unserer Einsicht nach auch mitverantwortlich für Fehlentwicklungen in der Onkologie. Nur klinische Forschung, die nicht „durch Vorurteile oder Ideologien befrachtet ist und methodisch sauber, unter Beachtung wissenschaftlicher Vorgehensweisen erfolgt“ (4), wird die Wirksamkeit neuer Medikamente bzw. Therapiestrategien in der Onkologie beurteilen können. Wir werden deshalb auch in Zukunft Außenseitermethoden ebenso wie neue Medikamente/Therapiestrategien in der Onkologie kritisch unter die Lupe nehmen. Dies erscheint uns angesichts der inzwischen für den praktisch tätigen Arzt unüberschaubar großen Zahl von Außenseitermethoden und Phase-Il-Studien, deren Ergebnisse häufig in Hochglanzbroschüren der Pharmaindustrie propagandistisch aufbereitet und verbreitet werden, unbedingt erforderlich. Auch „Auswüchse und Grenzüberschreitungen der Pharmaindustrie bei ihrer Werbung“ (4) werden uns in Zukunft weiter beschäftigen. Ein typisches Beispiel für unseriöse Werbung ist eine kürzlich erfolgte Aussendung der Firma Bristol für Paclitaxel (Taxol). Darin wird die Zulassung von Paclitaxel im Jahre 1993 zur Therapie des metastasierten Ovarialkarzinoms unter dem Motto „Nur ein Original hat auch eine Geschichte“ in einem Atemzug mit der Entdeckung von Insulin, Penicillin und der Polio-Vakzine genannt. <<
Literatur
1. Possinger, K.: Onkologe 1999, 5 (Suppl. 1), S. 6.
2. Garcia-Carbonero, R., et al.: J. Clin. Oncol. 1997, 15, 3178.
3. Hortobagyi, G.N.: J. Clin. Oncol. 1999, 17 (November Suppl.), 25.
4. Köbberling, J.: Med. Klin. 1997, 92, 181.