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Antibiotikaverordnungen bei „Erkältungskrankheiten“

Saisonale „Erkältungskrankeiten“ wie Rhinitis, Pharyngitis, Tracheitis und Bronchitis werden in über 90% durch Viren verursacht. Deshalb sind Antibiotika in aller Regel unwirksam. Dies ist zwar eine Binsenweisheit, aber dennoch werden sehr häufig bei „Erkältungen“ Antibiotika verordnet. Trotz eindeutiger Empfehlungen der Fachgesellschaften geht ein Drittel aller Antibiotikaverordnungen auf das Konto solcher Erkältungskrankheiten. Dieses Fehlverhalten führt nicht nur zur Resistenzentwicklung vieler Erreger (immer mehr Pneumokokken sind z.B. penicillinresistent), sondern hat angesichts der Antibiotikapreise auch erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung.

Das Ausmaß und die Ursachen für dieses fragwürdige Verordnungsverhalten vieler Hausärzte versuchte eine Arbeitsgruppe aus Denver/USA zu ergründen (Gonzales, R., et al.: JAMA 1997, 278, 901). Die Daten wurden stichprobenartig aus den jährlichen statistischen Erhebungen des National Center für Health Statistics bei 3000 US-amerikanischen Hausärzten (National Ambulatory Medical Care Survey) gewonnen. Es wurden die Krankenakten aus dem Jahr 1992 von 34000 erwachsenen Patienten abgefragt, bei denen ambulant Antibiotika verordnet worden waren. Diese Behandlungsepisoden wurden nach der jeweiligen ICD-Diagnose geordnet (Tab. 1).

Hieraus läßt sich ablesen, daß unter den vier führenden Gründen für eine Antibiotikaverordnung in den USA drei Erkältungskrankheiten sind, bei denen Antibiotika primär nicht indiziert sind (30% aller Verordnungen). Rechnet man noch die akuten maxillären Sinusitiden hinzu, bei denen nach neueren Untersuchungen ebenfalls eine Antibiotikagabe nicht primär empfohlen werden kann, dann waren (im Jahr 1992) sogar bis zu 40% der ambulanten Antibiotikaverordnungen überflüssig. Die Wahrscheinlichkeit, daß bei einer Arztkonsultation ein Antibiotikum verordnet wurde, war besonders hoch bei Pharyngitis (76%) und Bronchitis (66%). Bei diesen Erhebungen wurden Patienten ausgenommen, die an Asthma, Lungenemphysem oder chronischer Bronchitis litten, da bei diesen Erkrankungen Antibiotika indiziert sein können.

Es wurden weitere Faktoren analysiert, die mit einer Verordnung von Antibiotika bei Erkältungskrankheiten assoziiert sind. Antibiotika wurden besonders häufig bei Frauen verordnet (Relatives Risiko = RR: 1,65), in Landarztpraxen (RR: 2,25) und durch „Family doctors“ (RR: 1,46). Antibiotika wurden seltener bei Patienten über 65 Jahren (RR: 0,6), Farbigen (RR: 0,44) und in den Praxen der Südstaaten (RR: 0,63) verordnet.

In einem Editorial (Schwartz, B., et al.: JAMA 1997, 278, 944) wird darauf hingewiesen, daß nach Umfragen der Centers for Disease Control die verschreibenden Ärzte immer wieder die unrealistischen Erwartungen der Patienten für ihr Verschreibungsverhalten verantwortlich machen. Es wird jedoch auch eine Untersuchung zitiert, wonach die Einschätzung des jeweiligen Arztes, ob der Patient von ihm ein Antibiotikumrezept erwartet, unmittelbar von der gestellten Diagnose abhängt. So glauben viele Ärzte, daß sie besonders bei Bronchitis um eine Antibiotikaverordnung gar nicht herumkommen. Zudem wird in diesem Kommentar ein Mangel an Wissen über den natürlichen Verlauf vieler viraler Erkältungskrankheiten beklagt. So gehört etwa ein über 10 Tage lang dauernder Husten – bei Rauchern sogar bis zu 3 Wochen – häufig zu den vielen viralen Infektionen und macht keinesfalls immer eine Antibiotikaverordnung erforderlich.

Fazit: In den USA und wohl auch in Deutschland werden Antibiotika bei Erkältungskrankheiten sicher zu häufig verordnet. Dieses Fehlverhalten trägt zur Resistenzentwicklung von Bakterien bei und außerdem zur Kostensteigerung im Gesundheitswesen. Es müssen alle – Ärzte und Patienten – dazulernen. Hier ist weniger oft mehr, auch im doppelten Sinne, denn die Nichtverordnung eines Antibiotikums erfordert oft mehr Zeit und Überzeugung.

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