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Romiplostim: Neue Therapieoption zur Zweitlinientherapie der chronischen immunthrombozytopenischen Purpura

Die chronische immunthrombozytopenische Purpura (ITP, Morbus Werlhof) ist eine seltene Autoimmunkrankheit, bei der es aus meist ungeklärter Ursache zur Bildung von Autoantikörpern gegen Antigene der Thrombozyten kommt, die zu einer verkürzten Lebensdauer der Thrombozyten und einer unterschiedlich stark ausgeprägten Thrombozytopenie führen (1, 2). Die meist in der Milz gebildeten Autoantikörper richten sich gegen Adhäsionsmoleküle der Thrombozytenmembran, wie z.B. das Glykoprotein GPIIb/IIIa. Bei den Betroffenen kann es zu einer erhöhten Blutungsneigung kommen, deren Symptomatik häufig leicht ist (z.B. Petechien, Blutergüsse). Selten treten aber auch schwere, potenziell lebensbedrohliche Blutungen auf, z.B. gastrointestinal oder intrakraniell.

Bei asymptomatischen Patienten oder bei Patienten mit einer Thrombozytenzahl > 30 000/µl besteht keine Therapieindikation. Für die meisten behandlungsbedürftigen Patienten sind Kortikosteroide die Therapie der Wahl. Etwa zwei Drittel aller Patienten sprechen darauf an, allerdings oft nur für kurze Zeit. Hochdosierte Immunglobuline i.v. haben nur einen kurzfristigen Effekt und sollten nur bei schwerer hämorrhagischer Diathese oder bei schnell erforderlicher Erhöhung der Thrombozytenzahl, z.B. vor Operationen, gegeben werden (3). Als Zweitlinientherapie gilt die Splenektomie, die bei ca. 60% der Patienten zu Remissionen bzw. zumindest einem partiellen Ansprechen führt. Als Reservemittel bei Unwirksamkeit von Primär- und Sekundärtherapie werden häufig Immunsuppressiva und Rituximab (ohne Zulassung für diese Indikation, „Off-label”) eingesetzt (4).

Mit Romiplostim (Nplate®) wurde erstmals ein Wirkstoff zugelassen, der als Thrombopoetin (TPO)-Rezeptor-Agonist die Bildung von Thrombozyten im Knochenmark stimuliert. Romiplostim ist ein neuartiges Fusionsprotein, das aus einer Fc-Domäne und Peptidketten besteht („Peptibody”). Es bindet an die TPO-Rezeptoren der Megakaryozyten und aktiviert intrazelluläre Signalwege, die zur Steigerung der Thrombozytenproduktion führen. Dabei besitzt es keine Homologie zu endogenem TPO, so dass Kreuzreaktionen zwischen Antikörpern gegen Romiplostim und endogenem TPO unwahrscheinlich sind.

Romiplostim ist für die Behandlung erwachsener, splenektomierter Patienten mit ITP zugelassen, die gegenüber anderen Therapien (Kortikosteroiden oder Immunglobulinen) refraktär sind. Auch für nicht-splenektomierte Patienten, bei denen eine Operation kontraindiziert ist, kann Romiplostim laut zugelassenen Anwendungsgebieten in der Fachinformation in Betracht gezogen werden (5).

Die Zulassung basiert auf zwei vom Hersteller finanzierten Phase-III-Studien, in denen 63 splenektomierte bzw. 62 nicht-splenektomierte Patienten mit ITP in einem Verhältnis von 2:1 randomisiert entweder einmal wöchentlich eine s.c. Romiplostim-Injektion oder Plazebo erhielten (6). Die Dosierung von Romiplostim richtete sich nach der Thrombozytenzahl (1 µg/kg bis höchstens 15 µg/kg Köpergewicht). Patienten, die zuvor eine Therapie mit Kortikosteroiden, Danazol oder Azathioprin nach einem regelmäßigen Dosierungsschema erhielten, durften diese weiter einnehmen. Die Studiendauer betrug 24 Wochen. Primärer Endpunkt war eine anhaltende Thrombozytenzahl von ≥ 50 000/µl während sechs oder mehr der letzten acht Behandlungswochen. Bei Per-Protokoll-Analyse fand sich unter Romiplostim ein dauerhafter Anstieg der Thrombozytenzahlen bei den splenektomierten Patienten bei 16 von 42 (38%), dagegen bei keinem der 21 Patienten unter Plazebo.

Bei den nicht-splenektomierten Patienten kam es unter Gabe von Romiplostim bei 25 von 41 (56%) zu einem dauerhaften Thrombozytenanstieg. Dies war auch der Fall bei einem Patienten aus der Plazebogruppe (1/21 = 5%). Der Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen war in beiden Studien statistisch signifikant (p < 0,01).

Schwere Blutungen wurden bei insgesamt fünf von 41 Patienten (12%) in den Plazebo- und bei sechs von 84 Patienten (7%) in den Romiplostim-Gruppen beschrieben, ausnahmslos bei einer Thrombozytenzahl < 20 000/µl. Nach Behandlungsende kam es bei den meisten Patienten, deren Thrombozytenzahlen unter Romiplostim angestiegen waren, zu einem Abfall der Werte innerhalb von zwei Wochen (37 von 51 = 73%).

In einer offen durchgeführten, einarmigen Anschlussstudie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Romiplostim bei 142 Patienten untersucht, die den Wirkstoff bis zu 156 Wochen lang erhielten (7). Ein Anstieg der Thrombozytenzahlen wurde auch hier bei den meisten Patienten beobachtet (124/142 = 87%). Als wesentliche unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) wurden bei insgesamt acht Patienten Ablagerungen von Retikulin im Knochenmark festgestellt, die zur Knochemarkfibrose führen können. Da Knochenmarkbiopsien nicht routinemäßig bei allen Patienten untersucht wurden, kann über die Häufigkeit dieser schweren UAW unter Romiplostim noch keine definitive Aussage gemacht werden. Diese sowie weitere potenzielle oder in klinischen Studien beobachtete UAW (Progression bestehender hämatologischer Neoplasien, Auftreten von Antikörpern gegen Romiplostim) müssen jetzt in weiteren kontrollierten Studien untersucht werden.

Die Zulassung von Romiplostim wurde dem Hersteller mit der Auflage erteilt, Lehrmaterial zu entwickeln. Das mit den Behörden abgestimmte Material wird vom Hersteller ausschließlich den behandelnden Ärzten vor der Verschreibung zur Verfügung gestellt. Informiert wird unter anderem über Studienergebnisse, Dosierung, Applikation sowie wesentliche Aspekte der Arzneimittelsicherheit.

Eine vierwöchige Therapie für einen 70 kg schweren Patienten kostet zwischen ca. 3229 € (1 µg/kg KG) und ca. 9589 € (10 µg/kg, maximale Dosis laut Fachinformation) (8). Da es sich um eine Dauertherapie handelt, liegen die Jahreskosten für einen 70 kg schweren Patienten bei bis zu 115.074 € (Preis ohne Berücksichtigung von Rabatten).

Fazit: Mit Romiplostim (Nplate®) steht ein neuer Wirkstoff zur Zweitlinientherapie bei chronischer ITP zu Verfügung, der bei mehr als der Hälfte der Patienten die Thrombozytenzahlen dauerhaft erhöht, solange die Behandlung durchgeführt wird. Nach Absetzen von Romiplostim ist ein erneutes Auftreten der Thrombozytopenie wahrscheinlich. Ein Vergleich mit anderen Therapieoptionen (z.B. Beobachtung mit supportiven Maßnahmen) fehlt. Da die Häufigkeit schwerer UAW, wie Retikulinablagerungen im Knochenmark, noch nicht abgeschätzt werden kann, sollte die Indikation für Romiplostim streng gestellt werden.

Literatur

  1. AMB 2007, 41, 40. Link zur Quelle
  2. AMB 2006, 40, 23a. Link zur Quelle
  3. AkdÄ (Hrsg.): Arzneiverordnungen. 21 Auflage, Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, 2006.
  4. AMB 2002, 36, 25. Link zur Quelle
  5. Amgen: Fachinformation „Nplate 250/500 Mikrogramm Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung”. Stand: März 2009.
  6. Kuter, D.J., et al.: Lancet 2008, 371, 395 18242413. Link zur Quelle
  7. Busse, J.B., et al.: Blood 2009, 113, 2161 18981291 Link zur Quelle . Erratum: Blood 2009, 113, 4822.
  8. Lauertaxe: Stand 8.10.2009.