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Cranberry-Produkte zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten?

Die Großfrüchtige Moosbeere (Vaccinium macrocarpon), auch Cranberry genannt, wird als „Kulturpreiselbeere“ bezeichnet. Sie wird in den USA großflächig angebaut und ist vor allem zu Thanksgiving als Soße sehr beliebt. Cranberry-Produkte – Saft, Tabletten, Kapseln oder Sirup – werden als „Nahrungsergänzungsmittel“ zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten (HWI) beworben. HWI sind gerade bei erwachsenen Frauen sehr häufig und neigen zu Rezidiven (1).

Wie in vitro und ex vivo gezeigt wurde, sollen Inhaltsstoffe von Cranberries – Proanthocyanidine – dosisabhängig verhindern, dass sich bestimmte Stämme von E.coli mit ihren Fimbrien an das Urothel anheften. Dies ist ein wichtiger Vorgang bei der Induktion einer Entzündungsreaktion (2). Der genaue Wirkmechanismus der Cranberry-Produkte ist allerdings nicht bekannt (3).

In einer „Clinical Evidenz Synopsis“ (3) von Autoren des 2012 überarbeiteten Cochrane Collaboration Reviews (4) werden die Ergebnisse von 13 Studien mit 2462 Teilnehmern zwischen 7,5 und 81 Jahren zur präventiven Wirksamkeit von Cranberrysaft, -konzentrat, -tabletten und -kapseln ausgewertet. Die Studien wurden zwischen 1993 und 2011 durchgeführt und die Cranberry-Produkte mit Plazebo, Wasser oder keiner Therapie verglichen. In den Verum-Gruppen traten nicht weniger symptomatische HWI auf: 32% Cranberry-Produkte vs. 35% Kontrollen (Relatives Risiko: 0,86; 95%-Konfidenzintervall: 0,71-1,04). Die Ergebnisse waren in allen sechs Untergruppen übereinstimmend: Frauen mit wiederkehrenden HWI, ältere Patienten, Patienten mit neuropathischer Blase oder Rückenmarksverletzungen, schwangere Frauen, Kinder mit wiederkehrenden HWI und Krebspatienten.

Die Cranberry-Produkte unterschieden sich hinsichtlich gastrointestinaler Nebenwirkungen nicht von Plazebo oder keiner Therapie. Allerdings war die Adhärenz bei längerer Einnahme von Cranberry-Saft schlecht. Es gab viele Studienabbrecher, was wohl auf den sauren und bitteren Geschmack des Safts zurückzuführen ist.

In den meisten Studien zu Cranberry-Produkten (Tabletten oder Kapseln) wurde nicht angegeben, welche Menge an Proanthocyanidinen in den jeweiligen Produkten enthalten war. Um eine eventuell wirksame Dosis an Wirkstoffen zu erreichen, werden zweimal täglich 300 ml (!) Cranberry-Saft empfohlen, standardisiert auf je 36 mg Proanthocyanidin (1, 3). Da in-vitro-Daten vermuten lassen, dass der Anti-Haft-Effekt der Proanthocyanidine nur acht Stunden währt, wäre wahrscheinlich eine mehr als zweimalige Gabe nötig (5). Cranberry-Saft war etwas wirksamer als Kapseln oder Tabletten, was möglicherweise auf die größere Flüssigkeitszufuhr oder auf andere, noch nicht identifizierte Inhaltsstoffe des Safts zurückzuführen ist (5). In nur fünf Studien gab es eine statistische „Powerberechnung“, und mehrere Studien hatten zu wenige Teilnehmer.

Die Ergebnisse decken sich mit den Empfehlungen aktueller Richtlinien in Großbritannien und in den USA zu Katheter-assoziierten HWI. In ihnen wird von einer routinemäßigen Anwendung bei Patienten mit neurogener Blasenstörung abgeraten (3, 6).

Fazit: Es gibt keine großen randomisierten kontrollierten und somit aussagekräftigen Studien zur Wirksamkeit von Cranberry-Präparaten mit standardisiertem Wirkstoffgehalt und definierter Dosierung. Die Adhärenz zu Cranberry-Saft ist wegen des Geschmacks schlecht. Die Wirkdauer der Inhaltsstoffe ist in vitro im Bereich von Stunden, so dass Präparate wahrscheinlich mehr als zweimal täglich und natürlich dauerhaft eingenommen werden müssten. Das ist ein Nachteil. Die Wirksamkeit einer Prophylaxe von Harnwegsinfekten mit Cranberry-Produkten ist trotz kleiner positiver Studien nicht belegt. Wir empfehlen Cranberry-Produkte nicht.

Literatur

  1. Guay, D.R.: Drugs2009, 69, 775. Link zur Quelle
  2. Howell, A.B., etal.: BMC Infectious Diseases 2010, 10, 94. Link zur Quelle
  3. Jepson, R.G., et al.: JAMA 2013, 310, 1395. Link zur Quelle
  4. Jepson, R.G., et al.: Cochrane Database Syst. Rev.2012;10:CD001321. Link zur Quelle
  5. Wang, C.H., et al.: Arch.Intern. Med. 2012, 172, 988. Link zur Quelle
  6. Hooton, T.M., et al.: Clin. Infect. Dis.2010, 50, 625. Link zur Quelle