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Ibrutinib: Erste Ergebnisse zu unerwünschten Ereignissen nach dreijähriger Einnahme und zum Krankheitsverlauf nach Absetzen des Wirkstoffs

Die Entwicklung neuer Wirkstoffe, die gezielt die Signalübertragung über den B-Zell-Rezeptor (B-cell receptor = BCR) unterbrechen, hat große Erwartungen ausgelöst hinsichtlich besser wirksamer, möglicherweise sogar Chemotherapie-freier Therapiestrategien bei Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (B-CLL) und Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) der B-Zell-Reihe. Wir haben bereits ausführlich berichtet über die oral einzunehmenden Inhibitoren der Bruton Tyrosinkinase (BTK) und der Phosphatidylinositol-3-Kinase p110δ (PI3Kδ), Ibrutinib bzw. Idelalisib, zur Behandlung von Patienten mit B-CLL (Ibrutinib = Imbruvica®; Idelalisib = Zydelig®) sowie von vorbehandelten Patienten mit Mantelzelllymphom (Ibrutinib) und follikulärem Lymphom (Idelalisib) (1). In einem Editorial zur Phase-III-Studie zu Ibrutinib (RESONATE) wurden offene Fragen zu dieser neuen Wirkstoffgruppe diskutiert, darunter auch die für Patienten sehr wichtige zu speziellen Nebenwirkungen, die bei längerer Einnahme des BTK-Inhibitors auftreten (1, 2).

Erste Ergebnisse zu unerwünschten Ereignissen („Adverse Events“ = AE) und zur Wirksamkeit von Ibrutinib nach dreijähriger Einnahme bei Patienten mit symptomatischer, nicht vorbehandelter („treatment-naive“ = TN) oder rezidivierter bzw. refraktärer (R/R) B-CLL bzw. „small lymphocytic lymphoma“ (SLL) wurden jetzt in Blood publiziert (3). Diese Ergebnisse basieren auf der Auswertung einer Phase-Ib/II-Studie und einer sogenannten „Extension“-Studie mit insgesamt 132 Patienten mit R/R B-CLL oder SLL (n = 101) bzw. mit symptomatischer TN B-CLL oder SLL im Alter ≥ 65 Jahre (n = 31). Die Behandlung erfolgte mit 420 mg Ibrutinib/d, der heute empfohlenen Dosierung, oder 840 mg/d bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder dem Auftreten intolerabler Nebenwirkungen. Primärer Endpunkt war die Sicherheit von Ibrutinib, ermittelt anhand der AE ≥ Grad 3 entsprechend den „Common Terminology Criteria for Adverse Events“ (CTCAE, Version 4.0) des National Cancer Institute. Weitere Endpunkte waren die Ansprechrate, das progressionsfreie Überleben (PFS) und das Gesamtüberleben (OS). Bei insgesamt 22 Patienten wurde im Beobachtungszeitraum die Behandlung mit Ibrutinib infolge Progress der B-CLL oder des SLL abgebrochen und bei 17 Patienten infolge schwerer AE. Die mediane Dauer der Behandlung mit Ibrutinib betrug bei den symptomatischen TN Patienten 30 Monate und in der Gruppe der Patienten mit R/R B-CLL/SLL 23 Monate. Die Patienten mit R/R B-CLL oder SLL waren intensiv vorbehandelt (im Median vier unterschiedliche Therapiestrategien), meist mit Zytostatika und/oder Anti-CD20-Antikörpern (z.B. Rituximab, Ofatumumab). Folgende AE mit Schweregrad ≥ 3 wurden beobachtet: Arterielle Hypertonie (bei 23% der TN und 20% der R/R Patienten), Pneumonie (6% TN, 25% R/R), Neutropenie (3% TN, 18% R/R) und Thrombozytopenie (3% TN, 10% R/R). Häufigstes AE war Diarrhö, die bei 68% der TN und 55% der R/R Patienten auftrat, häufig aber mit milden Symptomen verlief und meist spontan ohne zusätzliche Therapie sistierte. Blutungen traten insgesamt bei knapp zwei Dritteln der Patienten auf, ganz überwiegend jedoch nur mit Grad 1. Während der dreijährigen Beobachtungsdauer wurden bei insgesamt 10 Patienten schwere Hämorrhagien beobachtet. Sie führten bei 3 Patienten zum Therapieabbruch: bei einem wegen eines subduralen Hämatoms, bei einem anderen wegen gastrointestinaler Blutung und beim dritten Patienten – etwa einen Monat nach Absetzen von Ibrutinib wegen progredienter Erkrankung – wegen eines bilateralen subduralen Hämatoms, an dem dieser bei gleichzeitig bestehendem Multiorganversagen und Verbrauchskoagulopathie starb. Das Auftreten einer mitunter ausgeprägten Lymphozytose im peripheren Blut (Werte > 100 x 109/l nicht selten), eine bekannte Nebenwirkung unter Behandlung mit BCR-Inhibitoren, wurde regelmäßig beobachtet, verlief jedoch bei fast allen Patienten asymptomatisch, auch wenn sie länger als ein Jahr persistierte, und hatte keinen Einfluss auf PFS oder OS.

Ergebnisse zu Ansprechraten, PFS und OS sind angesichts des sehr heterogenen Patientenkollektivs, das im Rahmen von zwei unkontrollierten klinischen Studien behandelt wurde, nur bedingt aussagekräftig. Die TN Patienten zeigten eine Gesamtansprechrate von 84%, darunter 23% komplette Remissionen. Bei den R/R-Patienten fand sich eine Gesamtansprechrate von 90%, wobei 7% eine komplette Remission erreichten. Nach dreijähriger Beobachtungsdauer lag das geschätzte Überleben nach 30 Monaten für Patienten mit TN-CLL/SLL bei 97% und für Patienten mit R/R-CLL/SLL bei 79%. Ein Progress der Erkrankung unter Behandlung mit Ibrutinib trat auf vor allem bei Patienten mit CLL und prognostisch ungünstigen genetischen Veränderungen, z.B. Deletion (17p) und/oder komplexem Karyotyp. Erwartungsgemäß waren infektiöse Komplikationen seltener bei TN als bei R/R Patienten mit CLL/SLL. Insgesamt nahm die Häufigkeit infektiöser Komplikationen während der dreijährigen Einnahme von Ibrutinib ab. Darauf wird in einem Kommentar zu dieser Publikation ausdrücklich hingewiesen, ebenso wie auf die nach längerer Einnahme von Ibrutinib zu beobachtende Erholung der humoralen Immunität mit Anstieg der Immunglobuline im Serum, vor allem des IgA-Isotyps (4). Die Ursachen für diese beiden, klinisch relevanten Beobachtungen sind noch unklar. Möglichweise ist die Abnahme infektiöser Komplikationen auf das in Tiermodellen nachgewiesene immunmodulierende Potenzial von Ibrutinib mit verbesserter Funktion von T-Helferzellen Typ I zurückzuführen (4). Weitere Untersuchungen an größeren Patientenkollektiven sind in jedem Fall notwendig, um die immunologischen Wirkungen von Ibrutinib besser zu verstehen.

Die wichtige Frage nach dem weiteren Krankheitsverlauf bei Patienten mit CLL nach Absetzen von Ibrutinib wurde von Hämatologen des MD Anderson Cancer Center in Houston untersucht. Sie haben den Krankheitsverlauf von 127 Patienten analysiert, vorwiegend mit R/R CLL bzw. CLL mit Risikofaktoren (5). Die Patienten wurden im Rahmen von vier unterschiedlichen Protokollen in Houston behandelt, teilweise auch mit einer Kombination von Ibrutinib und Rituximab. Insgesamt wurde Ibrutinib bei 33 der 127 Patienten abgesetzt (medianes Alter: 61 Jahre; mediane Zahl an Vortherapien n = 2). Bei der Mehrzahl dieser Patienten hatte die CLL ungünstige prognostische Faktoren, wie beispielsweise das Fehlen einer somatischen Hypermutation im Gen, das die variable Region der schweren Ketten der Immunglobuline (IgVH) kodiert (29/31 Patienten), Deletion (17p) (19/33) oder einen komplexen Karyotyp (15/28). Gründe für das Absetzen von Ibrutinib waren vor allem die Transformation der CLL in ein aggressives Lymphom (sog. Richter-Transformation) oder bei einem Patienten in ein histiozytäres Sarkom, ein Progress der CLL unter Ibrutinib und AE, wie Infektionen, Diarrhö, schwerwiegende Blutungskomplikationen oder Vorhofflimmern. Das mediane Überleben aller 33 Patienten betrug nach Absetzen von Ibrutinib nur 3,1 Monate und war unabhängig davon, ob der Abbruch infolge Richter-Transformation oder aus anderen Gründen erfolgte. Die Autoren erklären den äußerst ungünstigen Verlauf von vorbehandelten Patienten mit CLL, die Ibrutinib nach einer medianen Behandlungsdauer von 13 Monaten absetzten, mit der insgesamt schlechten Prognose dieser Hochrisiko-Patienten und den in dieser Situation kaum noch vorhandenen Therapieoptionen. Ob Mutationen von BTK eine klonale Evolution und dadurch eine Transformation der CLL in hochmaligne Non-Hodgkin-Lymphome unter Therapie mit Ibrutinib begünstigen, ist noch unklar. Das Auftreten neuer Mutationen, die für eine Resistenz gegenüber Ibrutinib und/oder die Entwicklung bzw. Expansion aggressiver Klone der B-CLL verantwortlich sind, sollte in Zukunft systematisch untersucht werden (1, 5, 6).

Fazit: Schwere unerwünschte Ereignisse (Grad ≥ 3), die nach dreijähriger Einnahme von Ibrutinib bei Patienten mit B-CLL häufig auftraten, sind vor allem arterielle Hypertonie, Pneumonie sowie Neutro-/Thrombozytopenie. Auch Diarrhö und Blutungen waren häufig, verliefen jedoch meist milde (Grad 1 oder 2). Die Toxizität nahm nach längerer Behandlung mit Ibrutinib ab. Die immunologischen Wirkungen von Ibrutinib müssen weiterhin gründlich analysiert werden, um die Abnahme infektiöser Komplikationen während längerer Gabe von Ibrutinib und die Verbesserung der humoralen Immunität besser verstehen zu können. Die Prognose von Patienten mit rezidivierter oder refraktärer B-CLL bzw. B-CLL mit genetischen Risikofaktoren, die eine Behandlung mit Ibrutinib abbrachen – meist wegen Nebenwirkungen, Transformation in ein hochmalignes NHL oder Progress der B-CLL – ist außerordentlich ungünstig. Eine klonale Selektion aggressiver, maligner B-Zell-Klone und/oder Resistenz gegenüber Ibrutinib sind mögliche Gründe, die jedoch anhand weiterer Untersuchungen bestätigt werden müssen.

Literatur

  1. AMB 2014, 48,59 Link zur Quelle . AMB 2015, 49, 02. Link zur Quelle
  2. Foà, R.: N. Engl. J.Med. 2014, 371, 273. Link zur Quelle
  3. Byrd, J.C., et al.:Blood 2015, 125, 2497. Link zur Quelle
  4. Forconi, F.: Blood2015, 125, 2455. Link zur Quelle
  5. Jain, P., et al.:Blood 2015, 125, 2062. Link zur Quelle
  6. Woyach, J.A., et al.:N. Engl. J. Med. 2014, 370, 2286. Link zur Quelle