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Behandlung des Vitamin-B 12-Mangels

Vitamin B12 gehört zu den wasserlöslichen Vitaminen und ist als Coenzym an einer Reihe enzymatischer Reaktionen (z.B. der für die DNS-Synthese wichtigen Ribonucleotidreduktion) beteiligt (1). Vitamin B12 findet sich vorwiegend in tierischen Geweben (z.B. Leber, Rindfleisch, Fisch, Austern, Eidotter, Milch), und eine De-novo-Synthese dieses Vitamins kann nur von bestimmten Mikroorganismen (insbesondere anaeroben Bakterien) durchgeführt werden (1-3). Zu einem Mangel an Vitamin B12 kommt es infolge einer unzureichenden Zufuhr mit der Nahrung (Tagesbedarf: 1-3 µg) bzw. einer Verwertungsstörung bei defekter Resorption (z.B. Abwesenheit von „intrinsinc factor“). Während zur Behandlung des diätetisch bedingten Vitamin-B12-Mangels eine entsprechende Umstellung der Ernährung, insbesondere Vermeidung einer strikten vegetarischen Ernährung, erfolgen muß, ist bei gestörter Resorption (z.B. perniziöse Anämie, Gastrektomie, Dünndarmerkrankungen) eine zumeist lebenslange parenterale Substitution (intramuskulär) von Vitamin B12 notwendig(1-4).

Wichtige Symptome des Vitamin-B12-Mangels sind neben der Beeinträchtigung der Hämatopoese (megaloblastäre Anämie, evtl. Panzytopenie) gastrointestinale Veränderungen (atrophische Glossitis, Diarrhö, Malabsorption) und insbesondere neuropsychiatrische Störungen (periphere Neuropathie, funikuläre Spinalerkrankung, Gedächtnisstörungen und Persönlichkeitsveränderungen bis hin zur Psychose; 1-3).

Bei der Behandlung des Vitamin-B12-Mangels muß zwischen einer initialen Therapie (Ziel: Auffüllung der Speicher) und einer Erhaltungstherapie (Ziel: Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtes zwischen Vitamin-B12-Zufuhr und -Bedarf) unterschieden werden (2). Eine Auffüllung der Körperspeicher (normal: 3-5 mg, vorwiegend in der Leber) kann durch die parenterale Gabe höherer Dosen von Cyanocobalamin (CN-Cbl) oder Hydroxycobalamin (OH-Cbl) innerhalb weniger Wochen erreicht werden. Obwohl OH-Cbl einige Vorteile gegenüber CN-CbI hat (z.B. stärkere Bindung an Transportproteine, höhere Serumkonzentrationen, geringere renale Ausscheidung), spielen diese Unterschiede aufgrund der meistens verabreichten hohen Dosis praktisch keine Rolle (1, 2). Nur bei einer Neuritis N. optici sollte OH-Cbl bevorzugt werden (2). Die Empfehlungen für die initiale Substitution bei gesichertem Vitamin-B12-Mangel variieren erheblich (1-5), wobei die initiale Dosierung auch vom Schweregrad der klinischen Symptome beeinflußt wird. Bei klinischen Symptomen sollte sich die Substitution an folgendem Schema orientieren (1): Woche 1: 1000 µg/d; Woche 2: 1000 µg 2mal/Woche; Woche 3-6: 1000 µg 1 mal/Woche; anschließend Erhaltungstherapie. Etwa 15% jeder 1000-µg-lnjektion verbleiben im Körper und 85% werden im Urin ausgeschieden (2). Das Ansprechen auf die initiale Therapie wird anhand des Anstiegs der Retikulozyten (Beginn nach 3-4 und Maximum nach 7-10 Tagen) geprüft. Gleichzeitig kommt es zu einer Normalisierung der deutlich erhöhten LDH-Aktivität im Serum, einem Anstieg der Harnsäure- und einem Abfall der KaIiumkonzentration im Serum (Cave: Auslösung von Gichtanfällen bei entsprechender Prädisposition und Arrhythmien bei initial niedriger Kaliumkonzentration). Auch die Empfehlungen für die Erhaltungstherapie sind nicht einheitlich (1-3).

Bei monatlicher Gabe von Vitamin B12 sollten 100-500 µg und bei vierteljährlicher Gabe 500-1000 µg i.m. appliziert werden. Nebenwirkungen treten bei parenteraler Substitution von Vitamin B12 selten auf (anaphylaktische Reaktionen, insbesondere nach i.v. Gabe, Diarrhö, Hautjucken, akneforme Hautreaktionen; 4). Bei Patienten, die im Rahmen der Erhaltungstherapie eine parenterale Gabe von Vitamin B12 ablehnen, kann eine orale Substitution in ausreichend hoher Dosierung (1000 µg/d) durchgeführt werden, da auch bei Fehlen des „intrinsinc factor“ bzw. intestinaler Malabsorption etwa 1% passiv absorbiert werden (6, 7).

Die Wirksamkeit einer Gabe von Vitamin B12 bei verschiedenen Befindlichkeitsstörungen (z.B. verminderter Appetit, Müdigkeit) bzw. Erkrankungen (z.B. Allergien, multiple Sklerose, Neuropathien) ist unbewiesen (4).

Literatur

1. Hoffmann, R., et al. (Hrsg.): Hematology. Basic Principles and Practice. 2. Aufl., Churchill Livingstone, New York 1995, S. 552.
2. Brain, M.C., et al. (Hrsg.): Current Therapy in Hematology-Oncology. 5. Aufl., Mosby, St. Louis 1995, S. 61.
3. Heimpel, H., et al. (Hrsg.): Hämatologie in der Praxis. 2. Aufl., Gustav Fischer, Jena 1996, S. 208.
4. United States Pharmacopeia, 1998.
5. Toh, B.-H., et al.: N. Engl. J. Med. 1997, 337, 1441.
6. Lederle, F.A.: JAMA 1991, 265, 94.
7. Hathcock, J.N., und Troendle, G.J.: JAMA 1991, 265, 96.