Fische aus dem Meer enthalten 0,7-1,8 Gewichts-Prozent langkettige Omega-3-Fettsäuren (FS), deren Aufnahme mit der Nahrung für den Menschen „essenziell” ist. Außer Fisch enthalten bestimmte pflanzliche Öle wertvolle, aber nicht ganz gleichwertige, essenzielle FS. Hierüber haben wir im letzten Jahr berichtet (1).
Das Gehirn besteht zu etwa 50% aus Fetten, deren FS überwiegend langkettig und mehrfach ungesättigt sind. Deshalb ist es verständlich, dass der Zusammenhang zwischen dem Fischkonsum von Müttern während der Schwangerschaft und der Entwicklung der Gehirnfunktion ihrer Kinder untersucht wird. Das Problem ist zweischneidig, da im Jahr 2004 die Food and Drug Administration (FDA) der USA Schwangeren empfohlen hatte, nicht mehr als 340 Gramm Meeresfisch pro Woche zu essen, denn er kann erhebliche Mengen an neurotoxischen Umweltgiften wie Methyl-Quecksilber enthalten.
J.R. Hibbeln et al. aus den USA und aus Bristol (Großbritannien) werteten zu dieser Fragestellung Daten der ALSPAC-Studie aus (2). Alle schwangeren Frauen, die in oder in der Umgebung von Bristol lebten und zwischen dem 1.4.1991 und dem 31.12.1992 entbinden sollten, wurden gebeten, an einer freiwilligen prospektiven Studie teilzunehmen. Den Schwangeren wurde viermal während der Schwangerschaft und später in regelmäßigen Abständen Fragebögen zugeschickt, mit denen Ernährungsgewohnheiten, demografische Daten und später Daten zur Entwicklung der Kinder erfragt wurden. Im 8. Lebensjahr wurde bei den Kindern ein Hamburg-Wechsler-Intelligenztest zur Ermittlung des IQ mit verschiedenen Sub-Qualitäten durchgeführt. Am Ende standen von 8946 Frauen und ihren Kindern komplette Daten (28 items) zur Verfügung. Der Fischkonsum wurde in drei Gruppen erfasst: Gruppe 1: null, Gruppe 2: 1-340 Gramm/Woche, Gruppe 3: > 340 Gramm/Woche. Zwischen den Gruppen 1 und 3 gab es Unterschiede in den demografischen Daten, wie Dauer des Schulbesuchs, Wohnqualität und Raucherstatus, indem mehr „besser gestellte” Schwangere viel Fisch aßen. Diese Unterschiede wurden jedoch nach Vergleich der Rohdaten in einem „Regression model adjustment” berücksichtigt.
Wichtigster Befund ist ein erhöhtes Risiko für Kinder von Frauen der Gruppe 1 – im Vergleich mit Frauen der Gruppe 3 – bei Ermittlung des verbalen IQ im untersten Viertel angetroffen zu werden, (RR: 1,48; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,16-1,90; p = 0,004). Nicht signifikant war in dieser Hinsicht der Unterschied zwischen den Gruppen 2 und 3 (RR: 1,09; CI: 0,92-1,29). Der Fischkonsum der Mütter in der Schwangerschaft war ferner positiv korreliert mit folgenden ermittelten Merkmalen der Kinder: Soziales Verhalten und Entwicklung, Feinmotorik und kommunikative Fähigkeiten. Es wurden keine negativen Auswirkungen eines hohen Fischkonsums während der Schwangerschaft auf die Entwicklung der Kinder festgestellt.
In einem Editorial (3) kommentieren G.J. Myers und P.W. Davidson aus Rochester, New York, die Befunde von Hibbeln et al. (2). Sie sind der Meinung, dass die Empfehlung zur Begrenzung des Fischkonsums während der Schwangerschaft vermutlich unbegründet sei. Auch während des Stillens solle Fisch gegessen werden, da der Gehalt der Muttermilch an essenziellen ungesättigten FS von der Zufuhr mit der Nahrung abhängt.
Eine Anfrage bei dem Leiter der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, Bereich Fischqualität in Hamburg (4) ergab folgende Informationen: In Deutschland werden auf den Markt kommende Fische durch staatliche Veterinär- und chemische Überwachungsinstitute der Länder untersucht. Die Obergrenze für den Quecksilbergehalt von Fischen allgemein liege bei 0,5 mg/kg Fisch, für einige Raubfische wie Rotbarsch und Hecht bei 1 mg/kg. Große Seefische, wie Hai und Tunfisch, werden meist einer Einzelanalyse unterzogen. Hinsichtlich chlororganischer Rückstände gelten andere komplizierte Regeln. Der weitaus größte Anteil des Quecksilbers auf hoher See komme aus vulkanischen Quellen. In Küstennähe können Industrieabwässer den Gehalt des Meerwassers an Quecksilber und anderen toxischen Schadstoffen deutlich erhöhen.
Das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM) der National Academies of Science-based Advice hat im Herbst 2006 (letztes Update: Februar 2007) im Auftrag der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) ein mehrere hundert Seiten starkes Buch mit dem Titel „Seafood Choices: Balancing Benefits and Risks” erstellt, dessen Kurzfassung (8 Seiten) im Internet zugänglich ist (5). Spezielle Empfehlungen für Kinder bis 12 Jahre und Schwangere lassen sich kurz zusammenfassen: Beide Zielgruppen profitieren eher („may benefit”) vom Verzehr von Seefischen mit hohem Gehalt an Docosapentaensäure und Eicosapentaensäure. Zweimal 3 Unzen (1 ounce = 28,35 g) pro Woche, also ca. 170 g pro Woche werden empfohlen, aber auch die doppelte Menge könne „safely” verzehrt werden. Große Raubfische wie Hai, Schwertfisch und Königsmakrele (King-mackerel) sollten vermieden werden. Vieles spricht dafür, auch Tunfisch nicht häufig zu verzehren.
Fazit: Obwohl die sorgfältig erarbeiteten Empfehlungen des Non-profit-Institutes IOM (5) vermutlich nicht auf hohem Niveau evidenzbasiert sind, können Schwangere und Stillende mit den genannten Einschränkungen Meeresfisch essen. Bezüglich der Menge können die Empfehlungen des IOM als Anhalt dienen. Aus der Studie von Hibbeln et al. (2) ging zwar hervor, dass viel Fisch besser ist als kein Fisch, jedoch ergaben sich zwischen großem und mäßigem Fischkonsum hinsichtlich der Gehirnentwicklung der Kinder keine wesentlichen Unterschiede. Es ist zu hoffen, dass die Kontrollen der deutschen Überwachungsinstitute so wirksam sind, dass kein Schadstoff-verseuchter Meeresfisch auf den Markt kommt.
Literatur
- AMB 2006, 40, 54. Link zur Quelle
- Hibbeln, J.R., et al. (ALSPAC = Avon Longitudinal Study of Parents and Children): Lancet 2007, 369, 578. Link zur Quelle
- Myers, G.J., und Davidson, P.W.: Lancet 2007, 369, 537. Link zur Quelle
- joerg.oehlenschläger@ibt.bfa-fisch.de Link zur Quelle
- http://www.iom.edu/CMS/3788/23788/37679.aspx Link zur Quelle