Circa 2% aller Neugeborenen in Europa werden mithilfe assistierter reproduktiver Techniken (ART) gezeugt – mit steigender Tendenz [1]. Bei einer in vitro-Fertilisation (IVF) werden der Frau nach einer hormonellen Stimulation der Ovarien reife Eizellen aus dem Ovar entnommen und in einem Reagenzglas (in vitro) mit den aufbereiteten Spermien des Spenders vermischt. Erfolgt eine Befruchtung und entwickeln sich die befruchteten Eizellen weiter, wird einer, ggf. bis zu 3, der entstandenen Embryos in die Gebärmutter übertragen.
Ist eine Befruchtung auf diese Weise aufgrund ungenügender Qualität der Spermien nicht erfolgreich, kann ein Versuch mit einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) erfolgreich sein. Dabei wird ein einzelnes Spermium mit einer Mikropipette direkt in das Zytoplasma einer Eizelle injiziert. Gelingen Befruchtung und Zellteilung, werden bis zu drei Embryos in die Gebärmutter eingebracht.
Embryos können nicht nur frisch übertragen werden, sondern auch in Flüssigstickstoff kryokonserviert und für weitere Kinderwunschbehandlungen verwendet werden, sofern es gelungen ist, mehrere Eizellen nach der ovariellen Überstimulation zu gewinnen und erfolgreich zu befruchten. Gleichermaßen können überzählige unbefruchtete Eizellen eingefroren werden, die zu einem späteren Zeitpunkt für eine ICSI oder IVF verwendet werden können, so dass es keiner erneuten Stimulationsbehandlung bedarf.
Die IVF findet auch zunehmend Anklang für eine aufgeschobene Geburtenplanung („social freezing“). Besondere Bedeutung hat sie im Zusammenhang mit der Familienplanung vor einer notwendigen Chemotherapie. Medizinische Einzelheiten zu Voraussetzungen, Methoden und medizinischen Indikationen einer künstlichen Befruchtung sind in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA; [2]) sowie in der gemeinsamen Leitlinie der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe festgehalten [3].
Um mehrere Eizellen heranreifen zu lassen, wird vor der Eientnahme eine hormonelle Überstimulation der Ovarien durchgeführt. Diese kann mit starken Volumenverschiebungen, Hyperkoagulabilität und endothelialer Dysfunktion einhergehen [4], [5]. Ob dadurch ein erhöhtes kardiovaskuläres (kv) Risiko bei Frauen in dieser Situation besteht, wurde bislang nicht systematisch untersucht. Es gibt nur vereinzelte Studien mit kleineren Kollektiven und meist kurzer Nachbeobachtungszeit. In einer Metaanalyse mit 6 Kohorten und 42.000 Wöchnerinnen nach ART wurde das Risiko für kv Erkrankungen verglichen mit 1,4 Mio. Wöchnerinnen mit spontaner Schwangerschaft [6]. Die minimale Nachbeobachtungszeit betrug ein Jahr. Es fanden sich hierbei unsichere Beweise für ein erhöhtes Risiko, an zerebrovaskulären Erkrankungen zu erkranken („combined Hazard Ratio“ = HR: 1,25; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,96-1,63), aber kein erhöhtes Risiko für ischämische Herzerkrankungen (HR: 0,91; CI: 0,67-1,25).
Nun wurde dieser Frage erneut nachgegangen in einer großen skandinavischen Registerstudie, in der auch nach vorbestehenden kv Risikofaktoren recherchiert wurde [7]. Die Studie wurde aus öffentlichen Mitteln finanziert.
Studiendesign: Aus Geburtsregistern der skandinavischen Länder (Dänemark von 1994-2014, Finnland 1990-2014, Norwegen 1984-2015 und Schweden 1985-2015) wurden alle Wöchnerinnen erfasst. In einer primären Analyse wurde nur unterschieden, ob zuvor eine ART stattgefunden hatte oder nicht, wobei bei den spontanen Schwangerschaften nicht differenziert werden konnte, ob zuvor ggf. doch Ovulation-auslösende Medikamente eingenommen worden waren oder ob eine intrauterine Insemination (zyklusgerechte Übertragung von Spermien) stattgefunden hatte. In der sekundären Analyse wurde dann nach der ART-Methode differenziert: in vitro-Fertilisation (IVF) mit oder ohne intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), rsp. Transfer von frischen oder gefrorenen Embryonen. Die Daten wurden mit denen von Wöchnerinnen nach spontaner Empfängnis verglichen. Informationen über vorbestehende kv Risikofaktoren der Frauen entstammten Patienten- und Todesfall-Registern.
Das kv Risiko wurde mittels Cox-Regressionsanalysen ermittelt, die Alter, Jahr des Beginns der Nachverfolgung, Nationalität, Diabetes mellitus, vorbestehende arterielle Hypertonie bzw. Gestations-Hypertonie, Vorliegen polyzystischer Ovarien, Tabakkonsum und Body-Mass-Index (BMI) vor oder zu Beginn der Schwangerschaft berücksichtigten. Auch die Zahl der vorausgegangenen Geburten (0 bis ≥ 3) wurde einberechnet, ebenso Schwangerschaftskomplikationen, Früh- (< 37. SS-Woche) oder Totgeburten oder niedriges Geburtsgewicht.
Ergebnisse: Es wurden 2.496.441 Wöchnerinnen ohne bekannte kv Vorerkrankungen erfasst; davon hatten sich 97.474 (4%) einer ART unterzogen. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 11 Jahre („Interquartile Range“ = IQR: 5-18). Das mittlere Alter der Frauen mit Spontan-Schwangerschaft betrug 29,1 ± 4,9 Jahre, das der Frauen mit ART 33,8 ± 4,7 Jahre. Die meisten Frauen waren normalgewichtig, nur 6% hatten Übergewicht (BMI > 30 kg/m2). Über 80% waren Nichtraucherinnen. Frühgeburten waren mit 18% im ART-Kollektiv doppelt so häufig wie nach spontaner Empfängnis. Die kv Erkrankungen im Gesamtkollektiv betrugen im Beobachtungszeitraum 153 pro 100.000 Personenjahre: 188 ohne und 152 mit ART. Frauen nach ART hatten also kein erhöhtes Risiko für eine kv Erkrankung. Die adjustierte Hazard Ratio (aHR) betrug 0,97; CI: 0,91-1,02). Auch hinsichtlich der kv Erkrankungen im Einzelnen, wie Schlaganfall, koronare Ischämie, Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz, akutes Herzversagen, Lungenarterienembolie und tiefe Venenthrombosen ergab sich bei den Frauen nach ART kein erhöhtes Risiko. Für einen Myokardinfarkt bestand sogar eine Tendenz zu geringerem Risiko nach künstlicher Befruchtung: aHR: 0,80; CI: 0,65-0,99. Das Ergebnis war unabhängig von der Zahl früherer Schwangerschaften und dem Zeitpunkt des Beginns der medianen 11-jährigen Nachbeobachtungsphase. Auch waren keine länderspezifischen Unterschiede erkennbar, außer dass Thrombosen und Lungenarterienembolien nach ART in Finnland etwas häufiger waren.
Nach Analyse des kv Risikos in Abhängigkeit von der ART-Methode scheint die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) im Vergleich zu spontanen Schwangerschaften ohne ART sogar vorteilhafter. Nur beim Transfer gefrorener Embryos zeigte sich eine höhere Rate an Schlaganfällen (HR: 1,59; CI: 1,11-2,26) im Vergleich zum frischen Embryotransfer (HR: 0,91; CI: 0,80-1,05). Diese Assoziation blieb auch unter Einbeziehung anderer Schwangerschaftskomplikationen bestehen (aHR: 1,58; CI: 1,10-1,04).
Die Autoren geben zu bedenken, dass die Nachbeobachtung mit im Median 11 Jahren zwar länger ist als in den bisherigen Untersuchungen, dies aber nur eine Beurteilung des kv Risikos für das mittlere Alter zulässt. Das ist wahrscheinlich unzureichend, da sich bei Frauen kv Erkrankungen meist erst später manifestieren. Auch bleibt aufgrund der Methodik das kv Risiko der Frauen unberücksichtigt, bei denen die ART nicht zu einer ausgetragenen Schwangerschaft geführt hatte – immerhin ein Drittel der Frauen mit ART [8]. Auch ist die Zahl erfolgloser ART-Prozeduren vor der Lebendgeburt nicht bekannt. Für eine profunde Beurteilung des kv Risikos nach ART unter Einbeziehung ggf. mehrerer erfolgloser Versuche sind weitere Studien mit längerer Beobachtungsdauer notwendig.
Ein höheres kv Risiko nach dem Transfer gefrorener Embryos diskutieren die Autoren im Zusammenhang mit den häufigeren hypertensiven Episoden nach dem Transfer, die durch das fehlende Corpus luteum mitbegründet sein könnten [9]. Sie sind aber auch denkbar im Zusammenhang mit Veränderungen durch den Konservierungsprozess selbst [10]. Über das geringere Risiko von Frauen mit ICSI im Vergleich zu Frauen ohne ART wird spekuliert, dass die Anwendung von ICSI eine isolierte Störung der Spermienbeweglichkeit widerspiegelt und nicht Ausdruck einer gesundheitlichen Störung der beteiligten Frauen ist.